1912
Der Schweizerische Katholische Frauenbund SKF lanciert die Idee der Schulgründung. Bereits in dessen Gründungsjahr 1912 spricht die erste Präsidentin des SKF, Emilie Gutzwiller-Meyer, den Wunsch aus, dass die katholische Frauenbewegung auf sozialem Gebiet vermehrt mit ausgebildeten Frauen tätig sein könne. Sie spricht 1918 ihre Hoffnung aus, in naher Zukunft «mit theoretisch und praktisch geschulten Kräften arbeiten zu können».
1916
Maria Croenlein wird Sekretärin des Schweizerischen Katholischen Frauenbunds SKF. Am Informationskurs für weibliche Berufsberatung in Luzern trägt sie den Gedanken an die Gründung einer sozialen Bildungsstätte in Luzern zum ersten Mal in die Öffentlichkeit.
1918
Der SKF und die Kongregation der Lehrschwestern in Menzingen gründen eine Gesellschaft zur Führung der geplanten Schule und halten die Aufgaben und die finanzielle Verantwortlichkeit der Trägerschaftsmitglieder vertraglich fest.
Der Erste Weltkrieg hat auch in der Schweiz den Blick für Not und Armut breiter Bevölkerungskreise geschärft. Die sozialen Spannungen entladen sich 1918 im landesweiten Generalstreik. In sozial-caritativer Arbeit ausgebildete Frauen sollen mit der «heimatschaffenden Kraft der Frau» mitwirken, eine Beruhigung herbeizuführen und den sozialen Frieden zu sichern.
Am 3. April 1918 eröffnet der SKF zusammen mit der Kongregation der Lehrschwestern in Menzingen im Haus der Pension Faller an der Zinggentorstrasse 1 die Schweizerische Sozialcaritative Frauenschule Luzern als erste Schule für Soziale Arbeit in der Schweiz unter der Leitung von Maria Croenlein (Leitung Schule bis 1930) und Schwester Bernadette Rohrer (Leitung Internat).
Der Lehrplan lehnt sich an die sozialen Frauenschulen in Deutschland (nach Alice Salomon, Hannover-Modell) an, ist aber nach dem Motto «Aus dem Leben für das Leben» für die konservative katholische Frauenbewegung in der Schweiz angepasst und neu konzipiert.
Im Gründungsjahr der Sozial-caritativen Frauenschule Luzern folgt die Gründung der Ecole d’études sociales pour femmes in Genf als zweite Schule in der Schweiz.7 Das Projekt scheitert wenige Monate später. Mit dem regulären Betrieb startet die Schule 1921 mit ihrer eigentlichen Pionierin Marguerite Wagner-Beck.
Historische Vignette
1918 «Darauf hatten wir gewartet. Auf diese Schule.» *
«Wir kamen aus dem Leben. Schon lange hatte es die meisten aus uns fortgeführt von der Schulbank, mitgenommen zu kleineren oder grösseren Aufgaben. Man hatte einen Beruf ergriffen. War Lehrerin geworden, oder Sekretärin, oder Telegraphistin, man tat zu Hause, was gerade zu tun war, oder wartete auf dieses Tun. Man war auch sozial tätig gewesen. Schrieb als Vereinsaktuarin Protokolle, balancierte als Kassierin die ordentlichen Einnahmen mit den ebenso ordentlichen Ausgaben, hielt Berufsberatungsstunden – und wartete dabei auf den eigenen Lebensberuf, der die Leere, die innerste Leere ausfüllen würde.
Auf einmal nun wusste man: dazu braucht es Schule, nochmals Schule. Darauf hatten wir gewartet. Auf diese Schule.
Sehr leicht war es nicht, hinzukommen. Man musste sich losreissen. Vom Beruf, von der Familie. Man musste dem eigenen Herzen Gewalt antun, Zweifel niederringen und das Gesetz der Trägheit überwinden, das uns festhalten wollte. Und dann die sonderbaren Augen unserer lieben Verwandten, Freunde und Bekannten vergessen, die ganze Fragenbündel auf uns warfen, wo der Mund dies nicht zu tun wagte.
Man vergass es. Man wollte.
Und so kam dieser unvergessliche Ostermontag 1918. Ein stilles Morgenopfer in der Institutskapelle von St. Agnes. Eine Ansprache von Monsignore Meyenberg, wegweisend für Schule und Leben. Dann ein Aufruf zum Opfer unserer Talente, unserer Arbeitsfreude. Opfer? Es war uns keines. Wir waren ja noch nicht Gebende, wir durften nehmen, empfangen. Tag für Tag, Stunde um Stunde. Neu und fremd kam uns vieles vor, das wir verarbeiten mussten. Die Herren Dozenten gaben als Beste ihr Bestes her, und wir hatten tüchtig zu tun, um Wissenschaft und Leben in Verbindung zu setzen. Denn Leben wollten wir aufnehmen, Leben wollten wir lernen, Leben. Dazu waren wir in die Schule gekommen.
Und dazu war in der Schule eine lebenserfahrene, wissende Frau Schulleiterin, die mit uns in den lebenskundlichen Stunden Brücken baute vom Lehrstoff zum Leben. Das war Maria Croenlein. Und da war auch Frau Bernadette, die ihr geliebtes Menzingerseminar verlassen hatte, um den Internen ein wirkliches Heim zu bereiten.
Das war unsere Schule. Sie war uns Leben. Als wir sie verlassen hatten, da wussten wir: das Leben, das uns aufnahm, würde wieder Schule sein. Und es war Schule. Harte Schule. Aber heute, nach fünfundzwanzig Jahren, danken wir jenen, die uns gelehrt, aus der Schule Leben zu gewinnen und die Schule des Lebens zu werten als Weg in die Ewigkeit – als eine kleine, kleine Weile des Wartens.»
Rosa Maria Lusser
Absolventin des ersten Lehrgangs der Sozial-caritativen Frauenschule Luzern anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums 1943
Quelle
Lusser, Rosa Maria (1943). Wir Lernende. Leben – Schule – Leben, in: Die katholische Schweizerin. Zeitschrift für Frauenart und Frauenwirken, 30. Jg., Nr. 6, 20. März 1943, S. 166 – 167.
1919
In Freiburg wird die Ecole catholique d’études sociales eröffnet, allerdings wenige Jahre nach ihrer Gründung wieder geschlossen.