Die Dissertation von Bernadett Settele betrachtet anhand eines Performancebeispiels die Bildungen und die Verwicklungen, die Situationen der Kunst erzeugen. Aus dem Erleben einer Situation der forcierten Teilhabe resultiert die Fragestellung, inwiefern Performancekunst ein Dispositiv für Bildung darstellt und welche Theoreme und Methoden für die Beschreibung und Analyse dessen zuträglich sind. Die Untersuchung versteht sich als Beitrag zum Arbeiten in der Kunstpädagogik und der künstlerischen Kunstvermittlung.
Performance bietet sich als ein spezieller Ausgangspunkt für Bildungsprozesse zur Betrachtung an, insofern sie individuelle Subjekte affiziert, ausrichtet und verwickelt: insofern sie sie eine Situation bringt, in der sich individuelle Grenzen verschieben und aufweichen. Komplex wird das, wenn das entstehende Gemeinsame durch künstlerische Strategien verschärft und infrage gestellt wird, die die Ambivalenzen dieses Gemeinsamen herausarbeiten und die versprochene Gemeinschaft zum Gegenstand der Verhandlung und der Reflexion machen. Kunst geht dabei, so wird es oft gesagt, selbstreflexiv vor. Auf der Ebene des teilnehmenden Individuums generiert dies Ent-Täuschung: einen Zustand, der als bildungsförderlich gilt.
Dieses Muster nennt Settele ‚kollektive ästhetische Situation’, und es ist relevant für die Kunstpädagogik, weil es strukturell einer gewollten Bildungssituation näherkommt als andere Ansätze.
Wie bilden kollektive ästhetische Situationen? Inwiefern können kollektive ästhetische Situationen einen Ausgangspunkt für Bildungsprozesse individueller Subjekte darstellen? Wie zeigt sich das, und wie lässt es sich schreiben?
Die Dissertationsschrift geht von zwei Setzungen aus: Sie betrachtet ein Exempel aus der Performancekunst anhand seiner Rezeption und aus der Perspektive transformatorischer und ästhetischer Bildungstheorie. Dabei geraten die Verhältnisse und Bezüglichkeiten in den Blick, die darin entstehen, die ambivalenten und diffusen sowie auch die unangenehmen und überfordernden Qualitäten der Situation. Die Untersuchung fokussiert auf die Rezeption der Performance Prom (2015) von Philippe Wicht als affiziert erfahrene Teilhabe an einer kollektiven ästhetischen Situation. Mit dem Begriffsinstrument der ‚kollektiven ästhetischen Situation’ bezeichnet Settele hierbei einen geteilten Erfahrungs- und Handlungsraum – und einen geteilten Moment –, in dem die Anwesenden zum Gegenstand einer Situation der Kunst werden und zur Medialität der Situation beitragen – durch ihr Begehren, ihre Gefühle, ihr Bewegtwerden.
Die Arbeit zielt auf der theoretischen Ebene auf die Verflechtung von kunst- und subjekttheoretischen Ansätzen ab. Diese wird in drei aufeinander aufbauenden Schritten erarbeitet. Zuerst geht es um Arbeitsprinzipien von Situationen in Performances in Kunst und Theater heute, dann um subjekttheoretische Ansätze, besonders jüngere feministische Theorie und Schriften des affective turn als deren neueren Ausformungen mit einer als grundlegend leidenschaftlich verstandenen Subjektivität (Judith Butler, Sara Ahmed). Mit den daraus gewonnenen Lesarten werden schließlich bildungstheoretische Ansätze, besonders Elemente transformatorischer Bildungsprozesse und ästhetischer Bildung, in Bezug gebracht.
Grundlegend für das methodische Framework ist die indirekte Empirie in Anlehnung an Andrea Sabisch und der Ansatz von Karl-Josef Pazzini, der dazu beiträgt, eigenen Eindrücken reflektiert nachzugehen, sie affiziert zu schreiben und mit Theorien anzureichern.
Promotion an der Universität Hamburg, Fakultät Erziehungswissenschaft – Bildende Kunst, Ästhetische Bildung. Erstbetreuung durch Prof. Dr. phil. Andrea Sabisch, Zweitbetreuung durch Prof. Dr. Karl-Josef Pazzini, beide Universität Hamburg. Gefördert von 2015 bis 2019 durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) im Forschungsprojekt 'What can art do? Zur Relevanz von politisch engagierter Kunst seit 1960'.