Gardenscape (2020)
Der folgende Hintergrund zur Entstehung des Stücks entstammt aus einem Blogbeitrag von Emily Doolittle vom 14. August 2020.
«Als Schottland am 23. März 2020 in einen COVID-19-Lockdown ging – ein Datum, das sich dauerhaft in mein Gedächtnis eingebrannt hat – fiel es mir sehr schwer, meine Arbeit als Komponistin, Forscherin oder Autorin fortzuführen. Nach einigen Wochen des ängstlichen Nichtstuns schlich sich aber langsam wieder etwas Inspiration ein, wenn auch in einer Form, die ich zunächst gar nicht recht wahrnahm. Es handelte sich um eine gewöhnliche Ringeltaube, Columba palumbus, die sich im Kirschblütenbaum vor meinem Fenster niedergelassen hatte. Diejenigen, die im Frühling 2020 in Europa waren, werden kaum eine Beschreibung ihres Rufs benötigen, aber für diejenigen, die ihn noch nicht gehört haben, fallen mir nur die Worte repetitiv, hartnäckig und aufdringlich ein. Ich hatte die Idee, entweder ein Stück für Fagott und Klavier zu schreiben, das sich an eine barocke Form anlehnt, die auf Wiederholungen beruht, die Chaconne: oder eines mit dem Titel, «Is This Wood Pigeon Ever Going to Go away?» Und plötzlich, sobald ich daran dachte, meinen Ärger in Musik zu verwandeln, war ich wieder da. Ich konnte wieder denken, fühlen, mich mit meiner Umgebung auseinandersetzen: Vielleicht konnte ich sogar wieder Musik wertschätzen und schaffen. Denn indem das Tier meine Aufmerksamkeit von meinem unruhigen Geist und dem Newsfeed ablenkte, erinnerte mich diese Ringeltaube daran, mich wieder mit der Welt direkt um mich herum auseinanderzusetzen. Pandemie hin oder her, der Gemeinschaftsgarten vor meinem Fenster beherbergte eine Vielfalt an Leben: nicht nur die aufdringliche Ringeltaube, sondern auch die fröhlich-melodische Amsel, den winzigen, aber mächtigen Zaunkönig, die sorglose Blaumeise und die marodierenden Schwärme von Mantelmöwen. Ich mag mich über die Hartnäckigkeit des Rufs der Ringeltaube beschweren, aber es war genau diese Hartnäckigkeit, die mich aus meinem eigenen Grübeln heraus- und zurück in die Welt brachte.
Durch eine glückliche Fügung des Schicksals wurde ich von der Organisation «Contemporary Music for All» gebeten, ein kurzes Auftragswerk für die Geigerin Ruta Vitkauskaite zu schreiben. Ich beschloss, die Gesänge der Vögel, die in unserem Garten beheimatet sind, zu transkribieren – nicht einfach nur die Arten, sondern auch die einzelnen Vögel – und ein Stück zu schreiben, in dem Ruta mehrere Schichten von Vogelgesang und Umgebungsgeräuschen aufnehmen oder loopen konnte, um ihre eigene Gartenklanglandschaft zu gestalten. Während ich zuhörte, Aufnahmen machte und die Lieder transkribierte, begann ich mich in dieser bizarren Zeit etwas zu entspannen. Ich lernte wieder, das zu schätzen, was noch um mich herum war, anstatt nur zu bedauern, was plötzlich nicht mehr da war. Ich dachte über vergangene Zeiten nach, in denen eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber der natürlichen Welt dazu beitrug, mich als Komponistin und Menschen zu formen: als ich 1997 nach Amsterdam zog und zum ersten Mal eine europäische Amsel hörte; als ich an Workshops und gemeinsamen Projekten mit dem kanadischen Komponisten Murray Schafer teilnahm und lernte, Musik im Freien zu machen, indem ich mit der Umwelt arbeitete anstatt gegen sie; als ich meinem Interesse an schottischer Folklore auf die Äusseren Hebriden folgte und Kegelrobben als Antwort auf menschliche Gesänge heulen hörte; und meine beiden wunderbaren Aufenthalte in der MacDowell Residency, USA, (2004 und 2012), als ich in die natürlichen Rhythmen der Tage und Jahreszeiten eintauchen und diese in den Rhythmus meiner eigenen Kreativität einfliessen lassen konnte. Ich begann, mich wieder wie mich selbst zu fühlen.»
Die von Hannah Schoepe und Patricia Jäggi interpretierte und im Rahmen der Konferenz am am 08. Oktober 2022 aufgeführte Version von Emily Doolittles Gardenscape kann hier nachgehört werden (Aufnahme: Schweizer Radio SRF).
Zu im Vorfeld durch Hannah Schoepe eingespielte einzelne Vogelstimmen, die von Patricia Jäggi arrangiert wurden, spielte die Violinistin während der Aufführung live dazu. Begleitend zu den geflügelten Violinenklängen spielten Schoepe und Jäggi über Unterwassermikrofone abgenommene Wassergeräusche dazu.
Emily Doolittle ist eine in Kanada geborene, in Glasgow lebende Komponistin und Forscherin im Bereich der Zoomusikologie, die sich besonders der Untersuchung der musikähnlichen Aspekte des Gesangs nicht-menschlicher Tiere widmet.
Patricia Jäggi ist eine Vogelstimmen und -geräusche begeisterte Forscherin und Initiantin des Projekts «Seeking Birdscapes».
Die deutsch-amerikanische Violinistin Hannah Schoepe verfolgt einen vielseitigen und eklektischen Weg beim Musizieren und in ihrem Repertoire. Derzeit studiert sie an der Hochschule für Musik in Luzern, unter der Leitung von Isabel Charisius, Violine im Master Performance Programm. Ihren Bachelor-Abschluss erwarb Hannah am Oberlin Conservatory bei David Bowlin, wo sie mit zahlreichen renommierten Dirigenten und Kammermusikern zusammenarbeiten durfte. Als Studentin war Hannah teils mehreren Festivals, dazu gehören die Voksenasen Academy in Norwegen, Bowdoin International Music Festival, Round Top Music Festival und die Meadowmount School of Music in den USA, sowie Auftritte als Teil des Luzern Festivals, Dieter Amann Festivals, Wege der Wahrnehmung, und Szenenwechsel in Kollaboration mit dem LSO in der Schweiz. Als begeisterte Akademikerin war Hannah in 2016 die jüngste Absolventin der Western Washington University mit einem B.A. in International Business und hält zusätzlich einen Associates Degree, den sie während der High School am Whatcom Community College erworben hatte, mit Auszeichnung. Ausserhalb der eigenen artistischen Tätigkeiten unterrichtet Hannah bei BaBel Strings und leitet den Blog für eine in Deutschland basierte Organisation Musicians for Solidarity. Ausserdem arbeitet Hannah im Rahmen des ARD Musikwettbewerbs für den Bayerischen Rundfunk im Rahmen von Social Media Strategien.