Der Dialog zwischen Mensch, Vogel und Umwelt, aber auch der jeweilige Hör-, Seh- und Aufnahmeakt eröffnen und produzieren immer wieder neue individuelle wie kollektive Erinnerungs- und Imaginationsräume. Solche Bedeutungszuschreibungen und Assoziationen lassen sich aktiv nutzen, um eine breitere Öffentlichkeit für die gesellschaftliche Bedeutung von Birdscapes in unserem Alltag, für das immaterielle akustische Erbe zu sensibilisieren. Künste und Tiere stehen dabei seit langem in einer bedeutsamen wechselseitigen Beziehung, die heutzutage weit über Fragen der Repräsentation der Tierwelt hinausreicht; vielmehr betonen die jüngeren kulturwissenschaftlichen, philosophischen Debatten die performative, kommunikative Dimension, die gemeinsame Natureculture (Donna Haraway) und Artfulness (Erin Manning). Gerade künstlerische Zugangsweisen werden hierbei als privilegierte Praktiken angesehen, um einen artenübergreifenden Dialog zu eröffnen (Filipa Ramos u.a.).
Für die Ausstellung «Birdscapes» im Natur-Museum Luzern wurden für den Transfer der Forschungsprozesse und -resultate unterschiedliche Methoden der visuellen und/oder akustischen Verdichtung respektive Verkörperung von Klangraumerfahrungen verwendet, die in Form einer Soundscape Komposition, einer Filmdokumentationen und einer Live-Performance (siehe Box) multisensorisch erlebt werden können. Die Entwicklung solcher Vermittlungs- und Ausstellungsformate stand im Zentrum des Teilforschungsprojekts «Seeking Birdscapes: Art Mediation», eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Forscher:innen und Soundspezialist:innen der Hochschule Luzern Design & Kunst und Musik.
– Marie-Louise Nigg
«Of Decay & Friends» – eine Performance von Anna Lena Eggenberg und Sophie Germanier
Klangereignisse genauso wie aktives (Zu-)Hören erzeugen die uns umgebenden Räume und deren Atmosphäre permanent mit, sie lenken unsere Blicke und Gesten, bringen unsere Körper zum Resonieren und Räsonieren. Sound- respektive Birdscapes, ob Teil unserer alltäglichen Klangwelt oder in einer Soundinstallation oder Kunstperformance erfahrbar gemacht, sind deshalb nie nur akustische, sondern immer auch visuelle, taktile und damit grundlegend leibliche Erfahrungen. Performativ-künstlerische Praktiken können unsere Sinne für dieses dynamische, oft auch unbewusste Zusammenspiel der unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen schärfen, aber auch neue Deutungs- und Imaginationsräume zwischen Menschen, Vögeln und ihrer Umwelt eröffnen:
Die beiden Künstlerinnen Anna Lena Eggenberg und Sophie Germanier bespielen mit ihrer dreiteiligen Performance den Innen- und unmittelbaren Aussenraum des Natur-Museums. Sie interessieren sich insbesondere für das Hören als ganzheitlichen, körperlichen Prozess bzw. für den Akt des Hinhörens, der zum genauen Hinschauen führen kann. Dabei nähern sie sich über unterschiedliche sensorische Zugänge dem Thema «Birdscapes», erweitern den artenübergreifenden Erfahrungsraum durch Zeichnungs-, Text- und Körperfiguren. Ausgangspunkt ist das Treppenhaus mit seinen Fenstern, die je nach Standpunkt den Blick auf den Himmel oder das Wasser freigeben: Dieser Durchgangsraum dient den Performerinnen als erste Bühne für ihren Dialog, der die ausgestellten Vögel und aufgezeichneten Birdscapes im Innenraum des Natur-Museums mit den freilebenden Vögeln rund um das Gebäude verbindet. Vom Fenster aus begeben sie sich performativ, visuell und sprachlich auf die Suche nach verschiedenen Beziehungslandschaften. Diese werden im Oszillieren zwischen Facts und Fiction, zwischen theoretischer Annäherung, konkreten Beobachtungen vor Ort und persönlichen Begegnungen mit Vögeln laufend neu erschaffen. Was für Wechselbeziehungen zwischen Innen- und Aussenraum, zwischen den freilebenden und den ausgestellten Vögeln können über die Fenster entdeckt werden, welche Imaginationsräume eröffnen die Zeichnungen und Texte der beiden Künstlerinnen? Anschliessend begeben sie sich vor das Spalier im Aussenraum des Natur-Museums, wo sich die Spatzen gerne aufhalten, und performen für die Vögel.
1. Akt: Scales on Window
2. Akt: Readings
3. Akt: Performing for Sparrows
Anna Lena Eggenberg (1996) hat einen Bachelor in Kunst und Vermittlung an der Hochschule Luzern Design & Kunst absolviert und arbeitet seither als freischaffende Künstlerin. Sie lebt und arbeitet in Bern. In ihrer künstlerischen Arbeit beschäftigt sie sich mit artenübergreifenden Beziehungsstrukturen und deren alltäglichen und historischen Narrativen. Diese Auseinandersetzungen finden ihren Ausdruck bevorzugt in Malerei und Text oder in installativen, auch multimedialen Settings.
Sophie Germanier (1996) hat nach ihrem Tanzstudium, einen Bachelor in Kunst und Vermittlung an der Hochschule Luzern Design & Kunst absolviert. Sie lebt in Zürich und arbeitet als freischaffende Künstlerin und Tänzerin. In ihren Arbeiten sucht sie nach verschiedenen Strategien, um den Menschen nicht mehr als ein der Natur übergeordnetes Individuum zu verstehen; hierzu kreiert sie körperlich-sinnliche Narrationen und Audiowalks, welche die Durchlässigkeit des menschlichen Körpers erfahrbar machen und ihn so mit nonhumanen Akteur*innen verbindet.