Meadows1 veröffentlicht die Grenzen des Wachstums zu Handen des ‘Club of Rome’, einer Gruppierung einflussreicher Welt-Leaders. In den folgenden Updates des Werks nehmen die Autoren weiter an, dass die Kapazität der Erde in Bezug auf Rohstoffe und die Aufnahme von Schadstoffen bereits im Jahr 1980 überschritten wurde. Die Überschreitung der planetaren Grenzen2 erfordert schnelles Handeln und ein Agieren der Wirtschaft. Die ‘Doughnut Economy’3 postuliert hier eine Korrektur, indem eine Balance zwischen den Bedürfnissen der Menschen und der Belastung der Umwelt modellhaft hergestellt wird.
Ausgehend von den Analysen der Textile Exchange sind neben dem ‘Slow Growth’ die ‘Aggressive Material Substitution’ und die Schliessung des ‘Innovation Gap’ die beiden wichtigste Massnahme für die Textilindustrie4. Entsprechend ist die Transformation von einer linearen zu einer zirkulären Textilwirtschaft ein relevantes Forschungsfeld5. Die zirkuläre Textilwirtschaft hat zum Ziel, die Rohstoffentnahme in der Umwelt, die zur Hälfte endliche Ressourcen betrifft und zur anderen Hälfte natürliche Ressourcen zu reduzieren. Dies kann gelingen, wenn Produkte kaskadisch genutzt werden, die Lebensdauer der textilen Rohstoffe / Produkte verlängert wird und deren Qualität erhalten bleibt.
Hierfür gilt es, aus der Designforschung heraus Handlungsspielräume für zirkuläre Prozesse, Produkte und Strategien zu erschliessen, wissenschaftliche Ansätze in der Praxis zu überprüfen und den Wissenstransfer in die Lehre und Praxis sicherzustellen.
Die Forschungsperspektive Zirkularität denkt lineare Wertschöpfungsketten von Produkten und Textilien zirkulär und untersucht den Impact von zirkulären Ansätzen wie Cradle to Cradle6 aus der Sicht der Designforschung7. Die Perspektive ist dabei vornehmlich im SDG 12 zu verorten (verantwortungsvoller Konsum und Produktion).
Unsere Forschungsprojekte basieren auf wissenschaftlichen Konzepten der ‘Circular Economy’8 um Ressourcen einzusparen. Eine systemische, zirkuläre Perspektive des Designs auf Produkt & Textil mit dem Ziel der Ressourceneffektivität sowie der Verlängerung der Produktlebensdauer berücksichtigt bei der Produktgestaltung einen kaskadischen Kreislaufansatz entlang der gesamten Wertschöpfungskette über ‘Use’, ‘Re-Use’, ‘Remanufacturing’, ‘Repair’, ‘Recycling’. Daneben eröffnen sich weitere Strategien wie beispielsweise die Auslegung von adäquater Lebensdauer von Produkten, die Steigerung der qualitativen (im Sinne von funktionalen, ästhetischen und monetären Aspekten) und emotionalen Wertigkeit oder systemische Interventionen in der Wertschöpfungskette.
Hierbei verfügen wir insbesondere über Expertise im Bereich der zirkulären Nutzung von textilen Materialien wie Mischfaser, Naturfaser oder Zellulose. Unsere Projekte sind somit einerseits theoretisch9 abgestützt und andererseits praktisch entlang der Unternehmensrealitäten unserer Forschungspartner*innen und im regulatorischen Kontext10 eingebettet. Für die Bearbeitung unserer Forschungsfragen bedienen wir uns qualitativer Forschungsmethoden, wie Experteninterviews und Fallstudien, quantitativen Forschungsmethoden, wie Higg Index, sowie Designmethoden wie Prototyping und iterative Experimente. Dies ermöglicht eine Überprüfung des Forschungsgegenstandes in der Praxis (Reality Check) und einen Wissenstransfer von anwendungserprobten nachhaltigen Designkonzepten. Der Forschungsprozess schliesst Forschungs- und Praxispartner aus verschiedenen Disziplinen resp. entlang der Wertschöpfungskette ein. Oftmals sehen sich die Designforschenden bei zirkulären Fragestellungen auch als Moderator*innen von Entscheidungen, als Materialexpert*innen, als Kommunikator*innen in transdisziplinären Netzwerken und als Prozess- resp. Produktinnovator*innen.
In der Perspektive Zirkularität werden folgende übergeordnete Forschungsfragen erforscht:
1 — Wie kann eine Rohstoffentnahme aus der Umwelt reduziert werden?
Gemäss dem ‚Circularity Gap Report‘ werden nur rund 8.6% der eingesetzten Ressourcen in gleichbleibender Qualität in den Kreislauf zurückgeführt11. Gleichzeitig hat sich der Faserverbrauchs seit dem Jahr 2000 verdoppelt12. Im Textilbereich können nur rund 1% der Textilien in gleichbleibender Qualität recycelt werden13 – die Erhöhung dieses Anteils ist dabei zentrale Zielsetzung in dieser Forschungsfrage.
Gemäss der Theorie der ‘Circular Economy’14 kann eine Rohstoffentnahme aus der Umwelt entweder vermieden, reduziert oder substituiert werden, oder aber Rohstoffe werden im Kreislauf gehalten.
Die kaskadische Nutzung sieht gemäss der Ellen McArthur Foundation vor, Produkte, Teilprodukte und verwendete Rohmaterialien möglichst lange mittels vier konsekutiver Strategien – ‘Reuse’, ‘Refurbish’, ‘Remanufacture’ und ‘Recycle’ – im Kreislauf zu halten, so dass möglichst wenig neue Rohstoffe ins System gelangen und dabei möglichst wenig Abfall entsteht. Dieses Ziel kann aus der Perspektive des Designs mit entsprechender Material- und Produktgestaltung, der Entwicklung von Modellen für verschiedene kaskadische Nutzung von Textilien, der Erschliessung von Sekundärrohstoffen, der Reduktion des Konsums oder der Integrierung von Produkten in Werkstoffkreisläufen unterstützt werden.
Ein zirkuläres System, sei es ‘closed loop’ oder ‘open loop’, ist nur dann ein valabler Lösungsansatz, wenn insgesamt weniger Ressourcen verbraucht werden. Der Rebound-Effekt15 kann sonst dazu führen, dass mehr Recycling (und mehr Ressourceneffizienz) mehr Konsum auslöst16.
2 — Wie kann der Handlungsspielraum des Designs im Hinblick auf zirkuläre Lösungen vergrössert werden?
80% der Umweltauswirkungskosten von Produkten werden dem Design zugeschrieben17. Dies ist mit einer grossen Verantwortung verbunden – aber eröffnet auch einen grossen Handlungsspielraum im Design. So, wie die Linearwirtschaft gemäss Stahel am POS endet und eine Zirkulärwirtschaft am POS startet, braucht es auch eine entsprechende Verschiebung der Perspektive in der Produktentwicklung18. Das Design hat den möglichst kaskadischen Produktlebenszyklus in der Designphase zu antizipieren. Theoretische Grundlagen bilden hierfür die vielfältig formulierten ‘Design-for-‘Ansätze19. Das setzt aber zusätzlich ein breites, neues Schnittstellen-Wissen voraus (bspw. von Konsumverhalten, Sammlung- und Sortiersysteme, Recyclingtechnologie, Supply Chain Management), bedingt eine neue Art der Kollaboration entlang der Supply Chain und bedingt neue Kriterien bei Designentscheiden (bspw. hinsichtlich Materialwahl, Konfektionierung, Style, Businessmodel, …). Ausgehend von diesem Schnittstellenwissen und neuen Kriterien eröffnen sich die Handlungsfelder aus der Perspektive des Designs im Hinblick auf eine optimierte Zirkularität. Ziel ist es, hier neues Wissen und entsprechende Kriterien ausgehend von Theorie und Praxis zu erarbeiten, um diese Handlungsspielräume für die Perspektive des Designs zu eröffnen. Neben wissenschaftlicher Publikation zu dieser Fragestellung soll dieses Wissen ebenfalls auch praxisnah aufbereitet und an Designer:innen vermittelt werden, insbesondere auch durch eine enge Verknüpfung von Forschung und Lehre.
3 — Wie kann ein zirkuläres Ökosystem in der Schweiz und Europa (unter der Prämisse von so nahe wie möglich und so weit entfernt wie nötig) für Produkt und Textil aussehen?
Die global fragmentierten Wertschöpfungsketten sind im Bereich Produkt und Textil oftmals intransparent, was dazu führt, dass einerseits soziale, aber auch technische Einblicke in die mannigfaltigen Produktionsprozesse und das Wissen um die dazu benötigten Ressourcen fehlen – was ein Hindernis in der Transformation hin zu zirkulären Textilwirtschaft darstellt. Mit dem Agieren in regionalen Ökosystemen erhöhen wir in unseren Projekten die Transparenz, zielen auf regionale Wertschöpfungsketten ab und basieren auf adäquaten sozialen Standards. Hier sollen zirkuläre Wertschöpfungsloops, ausgehend vom Design, durch entsprechend ausgelegte Produktkonzepte, aufgebaut werden, die entlang von neuen regionalen und lokalen Kollaborationen funktionieren – und ein systemisches Umdenken unterstützten. Dies führt zu einer besseren Kontrolle über die sozialen und technischen Bedingungen einzelner Werkstoffkreisläufe und nicht zuletzt bedarfsgerechten Materialqualitäten und neuen Materialstandards. Ziel ist, mittels eines anwendungsorientierten Ansatzes der Forschungsgruppe anhand von konkreten Pilotprojekten die Schweizer Industrie und die Gesellschaft aktiv in der Transformation zu unterstützen.
Autor:innen: Adler Françoise, Häusermann Martina, Bachmann Helbling Carola, Schmidt Lea, Weber-Hansen Andrea
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1 Meadows et al., 1972
2 Rockström et al., 2009
3 Raworth, 2017
4 Stoneburner, 2022
5 Circle Economy, 2022
6 McDonough & Braungart, 2010)(Ellen MacArthur Foundation, 2013
7 Ev. R. Buchanan?
8 Raworth, 2017; Stahel, 2018; Webster, 2017
9 Balkenende & Bakker, 2018; Ballie et al., 2016; Campbell-Johnston et al., 2020; Charter & Tischner, 2017; Fletcher & Tham, 2004; Goldsworthy et al., 2019; Niinimäki & others, 2018; Reike et al., 2018; RSA, 2014
10 Directive (EU) 2018/ of the European Parliament and of the Council of 30 May 2018 Amending Directive 2008/98/EC on Waste, 2018), Extended Producer Responsibility
11 Haigh et al., 2021
12 Hickel, 2021
13 EllenMacArthur, 2017
14 ebd.
15 Jevons, 1865
16 Levänen et al., 2021
17 Graedel et al., 1995
18 Stahel, 2019
19 Adler et al., 2021
Literaturliste
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