Sabrina Contratto, Sie sprechen auf dem Schweizer Bauforum über «10-Minute Neighbourhood – Kurze Wege sind die Zukunft». Was ist darunter zu verstehen?
Heutzutage wohnt, arbeitet und konsumiert kaum mehr jemand am selben Ort. Rund vier Millionen Schweizerinnen und Schweizer pendeln zur Arbeit, morgens hin, abends zurück. Ein energetischer, ökonomischer, ökologischer und gesundheitlicher Wahnsinn. In einer 10-Minuten Nachbarschaft hingegen rücken die unterschiedlichsten Nutzungen wieder näher zusammen, so dass ich meinen Alltag innerhalb von 10 Minuten bewältigen kann, und zwar zu Fuss.
Was sollten Menschen in ihrem Zehn-Minuten-Fussweg-Radius vorfinden?
Ein alltägliches Angebot an Detailhandel, Fitnesscenter, Restaurants und Gesundheit. Damit dieses Angebot jedoch überlebt, muss es genügend häufig nachgefragt werden, es benötigt also genügend Personen, die in der Nähe wohnen und arbeiten. Dabei sprechen wir gerne von einem optimalen Verhältnis von 2 Bewohnern zu 1 Vollzeitstelle, um eine monotones Schlaf- oder ein langweiliges Bürogebiet zu vermeiden. Eine hohe Personendichte verlangt nach einer hohen Qualität und adäquaten Quantität des öffentlichen Raums.
Warum sind in der Praxis viele Quartiere nicht lebenswert?
Aus meiner Sicht spricht man aus unterschiedlichen Gründen von einem sogenannten (urbanen) lebenswerten Quartier. Sozial und angebotsmässig durchmischt, sorgfältig gestalteter und vielseitiger Aussenraum, hochwertige Architektur und gute Infrastruktur, bestehend aus ÖV-Anschluss, Quartierladen, guten Schul- und Gastroangeboten. Ist einer oder mehrerer dieser Aspekte nicht gegeben, wird es anstrengend.
Leider sind an zentralen Lagen die zulässigen Baudichten restriktiv, was dazu führt, dass an Siedlungsrändern verdichtet wird, wo niemand wohnen will und die Infrastruktur fehlt, was wiederum zu hohem Leerstand und somit zu monotonen und unbewohnten Quartieren führt. Also keine räumliche Qualität zur Folge hat. Leider fehlt es nach wie vor an grossräumigen, datenbasierten und städtebaulichen Gesamtstrategien. Eine verpasste Chance, wie ich finde.