«Mich hat Europa als Ziel gereizt, weil man dort mit ähnlichen Problemen wie in der Schweiz konfrontiert ist. Und ich wollte gerne mein Französisch auffrischen, deshalb habe ich mich für einen Austausch in Frankreich entschieden. Inhaltlich habe ich von den vier Wochen am IUT nicht so viel erwartet, weil ich Sozialarbeit studiere und der Schwerpunkt in Bordeaux Soziokulturelle Animation ist. Das war dann aber doch sehr spannend. Zudem arbeiten wir in der Sozialarbeit auch mit den Soziokulturellen Animatoren und Sozialpädagoginnen zusammen. Wie diese arbeiten ist deshalb wichtig zu wissen, so können alle und vor allem die Klientel profitieren.
Die Module dauerten jeweils von Montag bis Freitag. Das war dann auch meine erste Schwierigkeit: Kaum hatte ich am ersten Montag angefangen, musste ich am Freitag auch schon einen Leistungsnachweis auf Französisch schreiben. Ich habe dann verzichtet, mir die Module anrechnen zu lassen. Glücklicherweise brauchte ich die ECTS-Credits nicht. Besonders interessant war mein Modul zur Integration, denn dieses Thema wird in den beiden Ländern jeweils komplett anders angegangen: In Frankreich werden Ausländer assimiliert, und sobald jemand den französischen Pass hat, wird er auch als Franzose wahrgenommen – in der Schweiz bleibt die Ausländerin auch mit Schweizer Pass eine Ausländerin.
Das Thema Integration hat mich auch bei meiner Arbeit im Centre social et culturel La Colline begleitet. Dieses Centre bietet auf freiwilliger Basis Sprachkurse, einen Kinderhort und einen Jugendtreff, Familien- sowie Sozialhilfeberatung und Beschäftigungsprogramme an. Zuerst hatte ich eine Begleiterin, die letzten eineinhalb Monate habe ich selber Familien beraten, beispielsweise beim Einsatz des Feriengeldes, das sie vom Staat erhalten.
Am besten gefallen hat mir jedoch die Arbeit mit Flüchtlingen, zum Beispiel in den Kochateliers. Die Frauen und wir vier Animatorinnen haben zusammen eingekauft und gekocht, jedes Mal ein Menü aus einem anderen Land. Die einzige Bedingung war, dass während des Nachmittags Französisch gesprochen wurde. Ganz wichtig: Auf religiöse Vorgaben Rücksicht nehmen – bei der Auswahl ‹meines› Schweizer Gerichts habe ich erst gemerkt, wie viel Schweinefleisch wir essen. Ich entschied mich dann für Älplermagronen und Basler Läckerli.
Von der Arbeit habe ich am meisten profitiert, fachlich wie auch persönlich. Dazu gehören die praktischen Erfahrungen, die ich sammeln konnte, die Zusammenarbeit in einem tollen Team, in dem ich herzlich aufgenommen wurde. Und natürlich habe ich auch mein Französisch verbessert. Dabei hat mir auch mein Tandempartner von der Université geholfen, mit dem ich einiges unternommen habe.
Zu kämpfen hatte ich mit der Einsamkeit ganz zu Beginn. Ich bin am Donnerstag angekommen und habe bis am Montagmorgen sehr viel Zeit alleine verbracht, weil ich noch niemanden im Wohnheim kannte. Weiter habe ich erfahren, was es heisst, fremd zu sein: Ich wurde einmal in der Bank abgekanzelt, ich bräuchte ein Visum, um ein Bankkonto zu eröffnen – auf meine Schengen-Erklärung hat der Schalterbeamte gar nicht reagiert. Eine unangenehme Erfahrung! Auch war ich am Anfang sprachlich überfordert – darauf muss man einfach gefasst sein.
Sonst haben sich die Clichés bestätigt: Gemäss Stundenplan hätte der Unterricht um 8.30 Uhr beginnen sollen, vor 9 Uhr war aber niemand da. Auch das detaillierte Praktikums-Pflichtenheft bereitete meiner Betreuerin Schwierigkeiten beim Ausfüllen. Dafür habe ich für mich festgestellt, dass ich strukturierte Tagesabläufe und Pünktlichkeit eigentlich ganz gerne mag. Überrascht hat mich, dass trotz des sozialen Auffangnetzes scheinbar viel mehr Leute als bei uns in Armut leben. Darauf kann ich mir bis heute keinen Reim machen.
Diese Auslanderfahrung hat mir viele neue Ideen für meine Arbeit hier in der Schweiz gebracht – wir können über die Ländergrenzen hinweg nur voneinander lernen. Gerade in der Integration: Wieder einmal war der Kontakt mit Flüchtlingen unglaublich bereichernd. Hier könnte man in der Schweiz noch viel mehr machen. Gerne wäre ich später in diesem Arbeitsfeld tätig – deshalb werde ich auch meine Bachelor-Arbeit zu diesem Thema schreiben.»
Aufgezeichnet von: Alexandra Karpf