HSLU-Studie: Impfung, ja oder nein? Das sind die Beweggründe
Impfen lassen oder nicht? Vor dieser Entscheidung stehen wir derzeit alle. Personen, die sich piksen lassen, tun dies vor allem, weil sie wieder zur Normalität zurückkehren wollen. Bei den Impf-Unwilligen beeinflusst die Unsicherheit in Bezug auf die neuen Impfstoffe die Entscheidung am stärksten. Das zeigt eine Studie der Hochschule Luzern. Die Forscherinnen und Forscher haben zudem untersucht, wie die Impf-Diskussion das Zusammenleben der Schweizer Bevölkerung beeinflusst.
Beim Nachtessen mit der Familie oder am Pausentisch im Büro: Über kaum ein Thema wird in der Bevölkerung derzeit häufiger diskutiert als über das Impfen. Ein Forschungsteam der Hochschule Luzern hat in einer repräsentativen Erhebung mit über 1'000 befragten Personen untersucht, welche Motive die Bevölkerung zu einer Impfung bewegen und welche Argumente sie davon abhalten. Die Studienresultate lassen auch Rückschlüsse darauf ziehen, wie geimpfte und nicht geimpfte Personen die Stimmung und das Zusammenleben während der Pandemie wahrnehmen.
Impfung soll Rückkehr zur Normalität ermöglichen
Eine Mehrheit der Bevölkerung ist überzeugt von der Wirkung der Impfstoffe. So haben rund zwei Drittel aller befragten Personen der Aussage zugestimmt, dass die Impfung die Rückkehr zur Normalität möglich macht. «Der Wunsch, endlich wieder ein normales Leben führen zu können, hat viele Menschen zum Impfen bewegt», ordnet Marcel Zbinden, Studienautor und Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Luzern, die Ergebnisse ein. So bewegt die Überzeugung, dass die Impfung die Rückkehr zur Normalität beschleunigt, am meisten Menschen dazu, sich impfen zu lassen. Erstaunlich: Keinen nachweisbaren Einfluss auf die Impf-Entscheidung scheint der Schutz der eigenen Gesundheit zu haben. «Nach über eineinhalb Jahren Pandemie ist die Rückkehr zur Normalität für die Bevölkerung offenbar ein wichtigerer Impf-Motivator als die Sorge vor einer Ansteckung», so der Experte. 84 Prozent der Bevölkerung sind zudem davon überzeugt, dass wir alle gemeinsam für die Eindämmung der Pandemie verantwortlich sind. Zbinden: «Die Bekämpfung der Pandemie erfordert eine Gemeinschaftsleistung, diesbezüglich scheint ein breiter Konsens zu herrschen.»
Der Wunsch nach einer Rückkehr zur Normalität ist bei der Schweizer Bevölkerung das wichtigste Motiv, um sich impfen zu lassen. Kaum einen nachweisbaren Einfluss auf die Impfentscheidung hat hingegen das Bedürfnis, sich selbst vor einer Ansteckung zu schützen. «Nach über eineinhalb Jahren Pandemie ist die Rückkehr zur Normalität für die Bevölkerung offenbar ein wichtigerer Impf-Motivator als die Sorge vor einer Ansteckung», so HSLU-Experte Marcel Zbinden.
(Abbildung 1: So stark beeinflussen folgende Faktoren den Entscheid, sich impfen zu lassen oder nicht; umso dicker der Pfeil, desto stärker der Einfluss; zum Vergrössern klicken)
Unsicherheit wegen der neuen Impfstoffe
Hauptgrund, wieso sich Ungeimpfte nicht piksen lassen wollen, ist der Eindruck, dass die erhältlichen Impfstoffe zu neu seien. Auch die Sorge um Nebenwirkungen hat bei den Ungeimpften einen nachweisbaren Einfluss auf die Impf-Entscheidung. «Die Resultate unserer Studie zeigen: Ein wesentlicher Teil der nicht geimpften Personen fühlt sich gut genug informiert, um eine fundierte Entscheidung gegen das Impfen fällen zu können», betont Marcel Zbinden. Deshalb sei es mittlerweile auch so schwierig, Impf-Unwillige oder Unentschlossene mit Informationskampagnen von einem Piks zu überzeugen. Insgesamt macht sich allerdings mehr als die Hälfte der Bevölkerung (54 Prozent) keine oder nur wenige Sorgen um Nebenwirkungen. «Das Vertrauen in die Impfstoffe und in die medizinischen Fachkräfte ist hoch», sagt Zbinden. Das gleiche gilt auch für die Impfkampagne des Bundes. Lediglich 28 Prozent der Bevölkerung stört sich daran, dass der Bund versucht, die Menschen zu einer Impfung zu bewegen. Bei Personen, welche die Impfkampagne des Bundes als störend wahrnehmen, sinkt allerdings auch die Wahrscheinlichkeit, sich impfen zu lassen. «Einige der Ungeimpften haben in der Befragung erwähnt, dass bei ihnen der Eindruck entstehe, etwas stimme nicht, wenn die Medien und der Bund so intensiv versuchen, für die Impfung zu werben», sagt Zbinden.
Die Impfstoffe sind der Schlüssel für eine Rückkehr zur Normalität: Dieser Meinung sind 65 Prozent der Schweizer Bevölkerung. Etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung (54 Prozent) macht sich zudem keine oder kaum Sorgen über Nebenwirkungen. «Das Vertrauen in die Impfstoffe ist hoch», sagt Marcel Zbinden, Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Luzern.
(Abbildung 2: Impfmotive – Inwieweit stimmen Sie den folgenden Aussagen zu?; zum Vergrössern klicken)
Auseinanderdriften der Gesellschaft: Wahrnehmung hängt vom Impfstatus ab
Fast 70 Prozent der befragten Personen sind der Meinung, dass die Menschen seit Beginn der Corona-Pandemie weniger tolerant miteinander umgehen als zuvor. «Wie die befragten Personen das Zusammenleben der Gesellschaft wahrnehmen, hängt stark von der Tatsache ab, ob jemand geimpft ist oder nicht», stellt Larissa Dahinden, Mitautorin der Studie und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Luzern, fest. Während 66 Prozent der Geimpften der Meinung sind, die gegenseitige Toleranz nehme durch die Corona-Pandemie ab, sind es bei den Ungeimpften 81 Prozent. 56 Prozent der geimpften Personen geben an, dass die Menschen in der Schweiz weniger friedlich zusammenleben. In der ungeimpften Bevölkerung sind 70 Prozent dieser Meinung.
«Wie die befragten Personen das Zusammenleben der Gesellschaft wahrnehmen, hängt stark von der Tatsache ab, ob jemand geimpft ist oder nicht», weiss Larissa Dahinden, Mitautorin der HSLU-Studie. So fühlen sich 41 Prozent der Ungeimpften durch die Coronakrise von den Menschen in ihrem Umfeld distanziert. Bei den geimpften Personen sind es nur 22 Prozent.
(Abbildung 3: Zusammenleben – Inwieweit stimmen Sie den folgenden Aussagen zu?; zum Vergrössern klicken)
Geimpfte fühlen sich weniger isoliert
Im Verlauf der Corona-Pandemie war das öffentliche Leben immer wieder stark eingeschränkt. «Unter diesen Umständen hat die wahrgenommene soziale Verbundenheit der Bevölkerung über eine lange Zeit gelitten», erklärt Dahinden. Mit der Einführung der Zertifikatspflicht können viele Aktivitäten wieder stattfinden. Das habe einen Effekt auf die Wahrnehmung der zwischenmenschlichen Distanz, so die Expertin. «Allerdings wirkt sich dieser Effekt auf die geimpfte Bevölkerung viel stärker aus als auf die ungeimpfte.»
Dieses Phänomen zeigt sich insbesondere bei der Wahrnehmung der zwischenmenschlichen Distanz, also dann, wenn man nicht mehr die Gesellschaft als Ganzes, sondern das eigene Umfeld der Menschen betrachtet. Von den geimpften Personen nehmen heute 22 Prozent eine grössere Distanz zu ihren Mitmenschen wahr als vor der Pandemie. Bei der nicht geimpften Bevölkerung sind es 41 Prozent. Während sich nur gerade 13 Prozent der Geimpften gesellschaftlich isoliert fühlen, sind es bei den Ungeimpften 32 Prozent. «Ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung ist bereits vollständig geimpft und profitiert von der Zertifikatspflicht. Gesamthaft steigt deshalb die wahrgenommene soziale Verbundenheit langsam wieder an», sagt Marcel Zbinden. Für die kleinere Gruppe der Ungeimpften sei dieser Effekt nicht so direkt spürbar. «Unsere Studie zeigt, dass wir als Gesellschaft wieder zurück zur Normalität wollen. Dazu gehört auch ein verständnisvolles Miteinander. Eine differenzierte und konstruktive Überzeugungsarbeit für die Impfung ist in dieser Phase der Pandemie besonders wichtig», so der Wirtschaftspsychologe.
Sondererhebung zum Thema «Impfen»
Das Institut für Kommunikation und Marketing IKM der Hochschule Luzern zeigt in regelmässigen Erhebungswellen auf, wie sich das Konsum- und Freizeitverhalten sowie das Zusammenleben der Schweizer Bevölkerung durch die Coronakrise langfristig verändert. Die Befragung zum Thema «Impfen» wurde im Rahmen dieser Langzeitstudie als Sonderthema aufgenommen. In der gesamten Studie befragt das Forschungsteam um Dominik Georgi, Marcel Zbinden, Carmen Grebmer, Larissa Dahinden und Laura Oswald in mehreren Befragungswellen zwischen April 2020 und April 2022 jeweils 1'000 Personen nach ihrem Verhalten in verschiedenen Lebensbereichen.
Bisherige Erhebungswellen:
- Erste Messung, Erhebungszeitraum: 9. - 16. April 2020 (während Lockdown)
- Zweite Messung, Erhebungszeitraum: 19. - 26. Juni 2020 (nach Lockdown)
- Dritte Messung, Erhebungszeitraum: 21. Oktober - 3. November 2020 (Herbst 2020)
- Vierte Messung, Erhebungszeitraum: 28. April - 4. Mai 2021 (rund ein Jahr nach dem ersten Lockdown)
- Fünfte Messung, Erhebungszeitraum: 22. Oktober – 02. November 2021 (aktuell; nach Einführung der Zertifikatspflicht)