Ein effektives Risikomanagement kann die Zukunft weder beeinflussen noch voraussagen. Aber es kann Unternehmen dabei unterstützen, mögliche erfolgskritische Szenarien rechtzeitig zu antizipieren und sich darauf vorzubereiten. Doch inwieweit identifizieren, steuern und überwachen Schweizer Unternehmen ihre Risiken? Um Antworten auf diese Frage zu erhalten, haben das Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern und die Swiss Enterprise Risk Management Association – SwissERM die Studie «Enterprise Risk Management 2016» durchgeführt. Die Ergebnisse basieren auf den Antworten von 189 Unternehmen, die mehr als 50 Vollzeitmitarbeitende zählen und in verschiedensten Branchen tätig sind.
Basis für erfolgreiches Risikomanagement ist gegeben
Die Analyse zeigt, dass in mehr als drei Viertel der befragten Unternehmen das Management sich explizit zu ethischem und integrem Verhalten bekennt. «Dieser sogenannte ‹tone at the top› stellt die Basis für ein erfolgreiches Risikomanagement dar», sagt Risikoexperte Stefan Hunziker von der Hochschule Luzern. Wenn Verwaltungsrat und Geschäftsleitung eine Vorbildfunktion einnehmen und ihre Verpflichtung gegenüber ethischem Verhalten und Integrität signalisieren, können sie damit das Risikobewusstsein bei den Mitarbeitenden erhöhen.
Nachholbedarf haben viele Betriebe hingegen darin, ihre Risikopolitik und ihren Verhaltens- und Ethikkodex zu dokumentieren. Dem kommt nämlich nur die Hälfte der Unternehmen nach. Aus Sicht von Hunziker ist das problematisch: «Mit der Risikopolitik werden die Grundsätze festgehalten, wie Risiken identifiziert, bewertet und gesteuert werden. Fehlt ein solches Papier, fehlt eine wichtige Grundlage für das Risikomanagement.»
Die grösste Lücke im Bereich der Risk Governance besteht in der gezielten Schulung von Mitarbeitenden auf ethische Unternehmenswerte. Weniger als ein Drittel der Umfrageteilnehmenden gibt an, Schulungen als Instrument zu nutzen.
Risiken werden im Strategieentwicklungsprozess berücksichtigt
Wenig Beachtung schenken die Unternehmen auch ihrem Risikoappetit, also ihrer Risikobereitschaft. Nur bei einem Viertel der befragten Firmen ist dieser Bereich vollständig dokumentiert. Knapp ein Fünftel hält die eigene Risikobereitschaft gar nicht fest (siehe Abbildung im Anhang). «Das erstaunt, denn eigentlich wird das Risikomanagement sehr stark davon beeinflusst, wie viel Risiko ein Unternehmen einzugehen bereit ist. Daher müssten sich die Firmen auch gezielt damit auseinandersetzen», sagt Hunziker.
In der Studie wurde auch analysiert, wie die Unternehmen ihr Risikomanagement überwachen und dessen Wirksamkeit feststellen: Mehrheitlich wird zu wenig hinterfragt und systematisch überprüft, ob das Risikomanagement funktioniert. So behalten sechs von zehn Unternehmen die Wirksamkeit nur in Ansätzen im Auge, während eines von zehn dieser gar keine Aufmerksamkeit schenkt.
Fazit: Viel Potenzial liegt brach
Aufgrund der Ergebnisse kommen die Studienverantwortlichen zum Schluss: Risikomanagement ist unbestritten zum vielbeachteten Thema in Schweizer Unternehmen geworden. «Allerdings liegt noch viel Potenzial brach», sagt Hunziker. «Denn erst wenn die Firmen konsequent einen Bezug zum strategischen Management herstellen, die Risikobereitschaft klar definieren und die Wirksamkeit wiederkehrend prüfen, wird das Risikomanagement zu einem Führungsinstrument, das Mehrwert schafft.».
Die Studie «Enterprise Risk Management 2016» kann kostenlos unter www.hslu.ch/ifz-publikationen heruntergeladen werden.
Die Auswertung des aktuellen Stands des Risikomanagements in Schweizer Unternehmen orientiert sich an dem von COSO im Jahre 2016 veröffentlichten Entwurf «Enterprise Risk Management – Aligning Risk with Strategy and Performance».
Als positiv bewerten die Studienautoren wiederum, dass ein Grossteil der Unternehmen Risiken im Strategieentwicklungsprozess berücksichtigt (79 Prozent) und identifizierte Risiken einbezieht, wenn eine neue Strategie evaluiert wird (77 Prozent). Gleichwohl gibt es auch hier Verbesserungspotenzial: Nur in knapp der Hälfte der Firmen wirken Verantwortliche für das Risikomanagement regelmässig in Strategieentwicklungsprozessen mit. «Damit der Risikomanager gerne am unternehmerischen Strategietisch begrüsst wird, braucht es ein Umdenken vom traditionellen zum modernen Risikomanagement, das den Risikomanager nicht als ‹Verhinderer›», sondern als ‹Ermöglicher› oder ‹Abwäger› von strategischen Optionen sieht», sagt Hunziker.
Finanzielle Risiken stehen an erster Stelle
Die finanziellen Risiken stehen bei der Mehrheit der Unternehmen an erster Stelle (siehe Abbildung im Anhang). 90 Prozent der Firmen berücksichtigen diese bei der Risikoidentifikation mehrheitlich oder vollständig. Strategische Risiken werden hingegen nur von 78 Prozent beachtet. Am wenigsten Aufmerksamkeit erhalten Reputations- und Technologierisiken bzw. Chancen. Je ein Drittel der Unternehmen zieht diese Risikokategorien gar nicht oder nur teilweise in die Risiko-Chancen-Betrachtung mit ein. «Im Umfeld von Industrie 4.0 sollten die Unternehmen diesem Bereich mehr Beachtung schenken», sagt Studienleiter Stefan Hunziker.