Wohnhäuser, die heute in der Schweiz entstehen, werden voraussichtlich auch in 40 oder 50 Jahren noch genutzt. Doch viele dieser Gebäude sind kaum für die heissen Sommer der Zukunft gerüstet, weil die Bauplanung die Klimaerwärmung noch zu wenig berücksichtigt.
In der Deutschschweiz ist es im Verlauf des letzten Jahrhunderts rund 1,3 ºC wärmer geworden, in der Westschweiz sogar 1,6 ºC. Dieser Trend wird sich laut den Prognosen der Klimaforschung weiter fortsetzen. Je nach Region und Zukunftsszenario ist bis zum Ende dieses Jahrhunderts mit einer Temperaturzunahme von 3,2 bis 4,8 ºC zu rechnen.
Eine neue Studie der Hochschule Luzern im Auftrag des Bundesamtes für Energie BFE und des Bundesamtes für Umwelt BAFU zeigt auf, von welchen Temperaturen wir in Wohnbauten künftig ausgehen müssen und wie sich die Hitze in den Räumen möglichst klimaschonend reduzieren lässt. «Insbesondere in den Städten sind innovative Ansätze gefragt. Hier werden die Temperaturen im Sommer vor allem aufgrund der versiegelten Böden noch stärker ansteigen», sagt Gianrico Settembrini, Forschungsgruppenleiter am Institut für Gebäudetechnik und Energie IGE der Hochschule Luzern.
Zahl der «Überhitzungsstunden» explodiert
Das Team der Hochschule Luzern aus dem IGE und dem Kompetenzzentrum für Typologie und Planung in Architektur hat in Zusammenarbeit mit Meteo Schweiz ein Zukunftsszenario simuliert, das aufzeigt, wie sich die Raumtemperaturen von vier real existierenden Gebäuden – zwei Neu- und zwei Altbauten in Lugano und in Basel – entwickeln werden und wie sich dies auf deren Energiebedarf auswirkt.
Für ein Referenzgebäude «Neuer Massivbau nach Minergiestandard » zeigen die Berechnungen im durchschnittlich warmen Jahr 2004 insgesamt 27 Überhitzungsstunden. Im wärmeren 2068 beispielsweise wird die Zahl der Überhitzungsstunden förmlich explodieren: es ist mit rund 900 Stunden zu rechnen. Im Tessin fallen die Zahlen noch extremer aus: Dort käme es in einem solchen Gebäude im Jahr 2068 sogar zu 1’400 Überhitzungsstunden. «Überhitzt» ist ein Gebäude während des Sommerhalbjahres dann, wenn im Innenraum mehr als 26,5 Grad herrschen.
«Bei diesen Temperaturen fühlen sich die meisten Menschen in künstlich belüfteten Räumen nicht mehr wohl», sagt Settembrini. Interessant ist, dass die Toleranz gegenüber Temperaturen in Altbauten ohne Lüftungsanlagen höher ist und diese Gebäude auch objektiv gesehen weniger stark überhitzen. Ein Hauptgrund dafür sind kleinere Fenster. Ihre Schwächen offenbaren Altbauten im Winter: Sie sind schlecht gegen Kälte isoliert.
Der Bedarf an Heizwärme wird sich künftig um 20 bis 30 Prozent reduzieren.
«Die Architektur steht jetzt vor einem Paradigmenwechsel», so Settembrini. «Der Schutz gegen Kälte ist nach wie vor wichtig. Aber unsere Daten zeigen, dass sich der Bedarf an Heizwärme in Zukunft um 20 bis 30 Prozent reduzieren wird.» Der grosse Knackpunkt für die Planung behaglicher Wohnhäuser sei in Zukunft die Kühlung.
Klimaanlagen – eine unbefriedigende Lösung
In der Schweiz können wir uns problemlos Klimaanlagen leisten, doch ihr Stromverbrauch belastet die Umwelt zusätzlich. Die Studie der Gebäudetechnikingenieure und Architektinnen nimmt deshalb auch alternative Methoden unter die Lupe und betont die zentrale Rolle einer sorgfältigen Gebäudeplanung: «Mit optimalem Sonnenschutz und genügender Nachtauskühlung sind behagliche Innenraumtemperaturen auch ohne Klimaanlage erreichbar».
Eine Schlüsselfunktion hat dabei der Fensteranteil in Gebäuden. Werden wir also wieder in dunklen Wohnungen mit kleinen Fenstern leben? Nein, meint Settembrini: «Grosse Fenster an der Südfassade sind – zumindest im Mittelland – auch in Zukunft empfehlenswert.» Aber die Architekten sind gefordert. Sie müssen Fensterfronten so konzipieren, dass die flach stehende, wärmende Wintersonne ins Gebäude gelangt, während die hochstehende, intensive Sommersonne abgeschirmt wird. Zudem müssten sie Beschattungssysteme – festinstallierte ebenso wie flexible – von Anfang an in die Planung einbeziehen.
Wichtig sei, dass der Wärmedurchlass nach innen und nach aussen jeweils optimal dem Standort des Gebäudes angepasst würde. «Zusätzlich kann eine starke Erwärmung der Räume auch mit innovativen Kühlsystemen abgefedert werden», erklärt Settembrini. Eine immer grössere Rolle würden dabei energiesparende Kühlsysteme spielen, wie etwa «Geocooling» (siehe Kasten) oder «Freecooling», die Abgabe von Wärme an die Luft während der Nacht. Den grossen Herausforderungen zum Trotz zeigt sich Settembrini optimistisch: «Wenn wir es geschickt anpacken, werden wir trotz steigendem Kühlbedarf unseren Energieverbrauch reduzieren und trotzdem in Wohnungen mit Aussicht leben können.»
Die vollständige Studie: www.hslu.ch/climabau
Autorin: Mirella Wepf
Foto: Istockphoto