Ein lichtdurchfluteter Raum auf Dreilinden, Parkettboden. Acht Musik- Studierende in lockerer Kleidung, barfuss oder mit Socken. Die Violine, das Cello und das Fagott liegen eingepackt in ihren Kästen in der Ecke. Denn in diesem Seminar geht es nicht um die Klangkörper der Instrumente, sondern um die Körper der Musikerinnen und Musiker selbst.
Sie stehen im Kreis, die Arme hängen locker. Sie sollen, sagt Dozentin Sarah Keusch, die vier Punkte spüren, mit denen sie ihre Füsse im Boden verankern, zwei in der Ferse, zwei im Fussballen. Später sitzen sie auf kleinen Holzkisten: «Spürt ihr eure Sitzbeinhöcker?», fragt Keusch, «wie sitzt ihr beim Spielen?» Jetzt nähern sie sich dem Punkt, an dem es weh tut. Denn eine Violinistin etwa, die täglich stundenlang übt, dabei den linken Arm hochhält und zudem noch von innen nach aussen dreht, spürt irgendwann ihren Körper. Schmerzhaft. Nicht nur für sie: Eine Untersuchung, die die Hochschule Luzern 2013 im Auftrag des Opernhauses Zürich durchführte, ergab, dass zwei Drittel der Berufsmusikerinnen und -musiker wegen ihrer Arbeit an mindestens einem gravierenden Gesundheitsproblem leiden.
Fester Bestandteil im Unterricht
Sarah Keusch leitet an der Hochschule Luzern den obligatorischen Grundlagenkurs «Musik und Körper», in dem die Musik-Studierenden Bewegungsmuster erkennen und ihre bewusste körperliche und räumliche Wahrnehmung steigern sollen. Da aber nicht nur Violinistinnen, Fagottisten und Pianisten spezifisch verspannen, sondern jeder Mensch unterschiedlich auf Stress oder Lampenfieber reagiert, sollen sie eine eigene Übung zur persönlichen Anwendung im Berufsalltag erarbeiten.
In dieser sechsten Kursstunde ist die Gruppe noch nicht bei der persönlichen Übung angekommen, aber alle haben bereits ihre Erfahrungen eingebracht. Sarah Keusch rät der Violinistin, eine Gegenbewegung zur stundenlangen Einseitigkeit zu finden und diese in Pausen auszuführen. So könnte sie etwa den linken Arm nicht nach aussen, sondern nach innen drehen, oder die Hände mit den Handflächen aneinander hinter dem Rücken zusammenbringen.
Man kann den Körper so trainieren, dass er durchlässig wird und die Energie ungehindert fliessen kann.
Verkrampfung wirkt auf den Ton
Der Fagottist hat bemerkt, dass es ihn nicht weiterbringt, wenn er stundenlang krampfhaft versucht, Fehler zu beheben. Unter Anspannung zieht er die Schultern hoch – das aber klemmt den Brustkorb ein und blockiert den Atem. Dann kann der Ton im Instrument nicht frei fliessen, sondern wird ebenfalls eingezwängt. Dem stimmen alle zu, egal, welches Instrument sie spielen, etwa die Cellistin, die wegen ihrer schmerzenden Schultern schon in physiotherapeutischer Behandlung ist. Auch die Violinistin sagt: «Wenn ich nicht verkrampfe, sondern selbstbewusst bin, den Körper öffne, kann sich auch der Ton öffnen und frei fliessen. Der Klang wird dann viel voller.»
Ein guter Auftritt heisst, körperlich energievoll und präsent zu sein, sagt Dozentin Sarah Keusch. Nicht überspannt, dann verkrampfe alles und die Leichtigkeit gehe verloren. Nicht unterspannt, dann fehle dem Ton die Energie und dem Klang die Fülle. Musikerinnen und Musiker müssten konzentriert bei sich sein und gleichzeitig das Publikum wahrnehmen. «Man kann den Körper so trainieren, dass er durchlässig wird und die Energie ungehindert von Spannungspunkten fliessen kann», sagt Keusch.
Mit der richtigen Atmung gegen Lampenfieber
Sarah Keusch ist Tänzerin. Daher weiss sie, was Lampenfieber mit dem Körper macht. Sie rät den Studierenden, die Wahrnehmung ihres Körpers zu schulen, genau zu spüren, wo individuelle Grenzen sind und welche Muster ablaufen – beim Üben, beim Auftritt, im Alltag. «Oft helfen schon kleine Dinge, um sich vor einem Auftritt zu beruhigen», sagt Keusch. Etwa das Anwenden einer passenden Atemübung. So helfe es bei Stress, bewusst ein- oder zweimal tief ein- und auszuatmen, sich zu sammeln und den Körper zu spüren. Auch sollten sie den Sitz oder Stand überprüfen und bewusst Gewicht an die Füsse abgeben oder über die Sitzbeinhöcker an den Stuhl.
Es sind kleine Bewegungen mit grosser Wirkung: Eine Veränderung der Zehen wirke bis zum Knie, erklärt Keusch den Studierenden, und die der Finger bis zum Ellenbogen. Es ist für die Musikerinnen und Musiker eine neue Erkenntnis, dass ein so feines Beachten des Körpers nicht nur den Schmerz bannt, sondern direkt Auswirkungen auf das Spiel hat. Sarah Keusch ist es ein Anliegen, den Studierenden einen bewussten Prozess zu eröffnen: «Wer einmal beginnt, auf die Signale des Körpers zu achten, und merkt, mit welchen oftmals kleinen Bewegungen er sich entspannen oder freier machen kann, der spürt Veränderungen sehr bald selbst.»
Autorin: Valeria Heintges
Foto: Marko Rantanen
Machen Sie sich locker! Ein Tipp von der Bewegungstrainerin Lockerung von Rücken und Nackenmuskulatur: Im Stehen langsam Wirbel für Wirbel abrollen, die Knie leicht beugen. Dabei langsam ausatmen. Dann Wirbel für Wirbel aufrollen. Am Schluss den Kopf wie einen Ballon zur Decke ziehen und Schulterblätter gleichzeitig sinken lassen. Wichtig: Arme und Nacken sollten dabei locker bleiben. Dreimal wiederholen.