Bisher war die Welt der Elektrizität überschaubar. Der Strom floss von den Kraftwerken über Unterwerke und Transformatorenstationen zu den Verbrauchern. Die Kraftwerke produzierten den Strom am Tag und in der Nacht, bei Regen und bei Sonnenschein verbrauchergerecht, im Fachjargon Top-down-Versorgung genannt.
Doch schon heute ist alles anders – und die Energiewende, wie sie in der Energiestrategie 2050 des Bundesrates formuliert ist, macht alles noch komplexer. Das eine Haus hat Sonnenkollektoren auf dem Dach, die aber nur funktionieren, wenn die Sonne scheint. Vor dem anderen treibt ein Bach ein Wasserkraftwerk
an, aber nur wenn genug Wasser fliesst. Grosse Windräder auf dem Berg produzieren Strom, aber nicht bei Windstille.
Bodenständige Schaltungen
Die neuen Stromquellen haben Folgen für die Energiewerke. Messstellen müssen installiert, Leitungen gelegt bzw. verstärkt werden, und zusätzlich erzeugter Strom muss verteilt werden. Wird die Energiewende wie geplant umgesetzt, benötigt man – so die Prognose – zehnmal mehr Messstellen. Viele davon sind intelligente Smart Meter, die den Energieversorgern Informationen über den Stromverbrauch einzelner Häuser liefern.
All das führt dazu, dass in den Trafostationen viel öfter geschaltet werden muss. «So eine Schaltung muss man sich recht bodenständig vorstellen», erklärt Informatiker René Meier vom Kompetenzzentrum Distributed Secure Software Systems der Hochschule Luzern. «Ein Schaltbeauftragter muss zu einer Anlage fahren, hineingehen, dabei Sicherheitsvorschriften einhalten, unter Umständen Schutzkleidung anlegen und dann ein Schaltelement umlegen.»
Zusätzliche Info-Tags an den Anlagen
Die Mitarbeiter in der Zentrale sind immer informiert: «Wir wissen, wann welche Person vor Ort ist, weil sie es quittieren muss», sagt Andy Kreuzer, Geschäftsführer der IDS Gruppe Schweiz AG. «Und per GPS wissen wir, wo sich jedes Team befindet. Auf die Art haben wir eine ganz saubere Dokumentation, auch im Gefahrenfall.» Die App selbst funktioniert vor allem für die sogenannten geplanten Schaltungen. «Wenn wir an jedem Punkt alle möglichen Fälle programmierten, würden wir effektiv nie fertig», sagt René Meier. Um sicherzustellen, dass ein Techniker am richtigen Gerät schaltet, will das Forschungsteam aber die Anlagen mit Informations-Tags ausrüsten, die bei Bedarf zusätzliche Hinweise geben. Richtungsweisend hierfür sind Tags basierend auf der «near-field communication».
Das Projekt soll im Frühjahr 2017 abgeschlossen sein, die IDS Schweiz AG will es 2018 auf den Markt bringen. Einige Forschungsfragen sind daher noch offen. Aber in einem Punkt ist René Meier ganz strikt: «Das System darf nicht selbstständig entscheiden. Wichtige Entscheidungen kann ein Mensch, ein Vorgesetzter mit entsprechender Ausbildung und Kenntnis, viel besser und effizienter treffen. Da muss Gehirnschmalz dahinter sein, alles andere wäre zu gefährlich.»
Autorin: Valeria Heintges
Bilder: Beat Brechbühl, Hochschule Luzern
Fehler können tödlich sein
So einfach, wie es scheint, ist es aber nicht. Kommt es zu einer Störung in der Stromversorgung, muss für die Reparatur die Leitung stückweise ausgeschaltet werden. Davon können fünf bis sechs Leitungen betroffen sein, die in einer bestimmten Reihenfolge zu- und wieder abgeschaltet werden müssen. Auch sonst kann es vorkommen, dass ein Energietechnikerteam eine Schaltung erst tätigen darf, wenn ein anderes Team an einem anderen Ort ein Schaltelement umgelegt und diese Schaltung bestätigt hat. «Ein Fehler kann tödlich verlaufen – das kommt leider immer wieder vor», sagt René Meier.
Es gibt zudem viele Anlagentypen; jede will anders behandelt werden. Eine Schaltanlage kann über 50 Jahre treu ihren Dienst verrichten, die nächste ganz neu installiert worden sein. Andererseits gehen relativ viele Energietechniker in den Ruhestand; jüngere folgen, denen die Erfahrung und die Schaltsicherheit fehlen: Viele Gründe für eine Firma wie die IDS Schweiz AG, spezialisiert unter anderem auf Netzleit-, Fernwirk- und Automatisierungstechnik und darauf, das System sicherer und flexibler gestalten zu wollen. René Meier brütet mit seiner Forschungsgruppe Mobile Systeme deshalb über einem neuen, intelligenten Softwaresystem zur Erweiterung bestehender Leittechniksysteme, welches die Energietechnikerinnen und Energietechniker per Smartphone-App gezielt durch die Schaltungen führen soll.
Arbeit in kleinste Schritte unterteilt
Für das Projekt «Smart Energies – Energiemanagement der Zukunft», gefördert von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI), hat die Forschungsgruppe die Arbeiten der Teams in kleinste Schritte unterteilt. Diese werden in einer Art Baukastensystem automatisch zu geführten und synchronisierten Arbeitsabläufen zusammengesetzt. Vorbereitung im Werk – Anfahrt – Vorbereitung vor Ort – Sichere Schaltung – Zusatzaufträge – Rückmeldung – Rapportieren. «Jedes Element hat eigene Eigenschaften, manche müssen mit anderen Teams synchronisiert, andere nur angezeigt, wieder andere vom Nutzer quittiert werden. Manche kann man unterbrechen, andere nicht», sagt Meier.
Auf dem Bildschirm werden kleine Boxen aufleuchten, auf die man klicken kann. Dann werden die nötigen Informationen geliefert, etwa die Karte mit dem Anfahrtsweg, der jeweilige Typ Schutzkleidung oder die Schaltpläne der Anlagen. «Bisher haben die Energietechnikerinnen und Energietechniker die Unterlagen auf Papier mitgeschleppt und sich entsprechend verhalten, zukünftig gibt die App die Schritte vor», sagt Meier. «Arbeiten wie das Anlegen der Schutzkleidung oder die eigentliche Schaltung müssen bestätigt werden. Das wird zurückgemeldet in die Zentrale und mit anderen Teams synchronisiert – egal, ob sich eines in Luzern und das andere im Zürcher Oberland befindet.»