Zwei Millionen Schweizer Beschäftigte, und damit etwa die Hälfte aller Erwerbstätigen, bräuchten keinen fixen Arbeitsplatz, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Darunter sind viele gut ausgebildete Fach- und Führungskräfte, auch Wissensarbeitende genannt. Sie könnten ihre Projekte ebenso zu Hause, unterwegs, beim Kunden oder in einem Café vorantreiben, weil in der Regel ein Smartphone oder ein Computer mit Internetzugang genügt, um auf das Unternehmensnetzwerk zugreifen zu können. Aber nur knapp ein Viertel der Erwerbstätigen arbeitet regelmässig mobil-flexibel. Zu diesen Ergebnissen kommt die Befragung «SwissFlexWork 2014» der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW.
Im Zentrum sollte das Erreichen der Ziele stehen
«Viele Firmen haben das mobil-flexible Arbeitsmodell noch nicht in ihrer Unternehmenskultur verinnerlicht, deshalb konnte es sich in der Schweiz bislang nicht stärker durchsetzen», sagt Betriebsökonomin Adrienne Schäfer von der Hochschule Luzern. So seien viele Firmenverantwortliche nach wie vor der Meinung, dass die Anwesenheit wichtig sei, um gut miteinander arbeiten zu können. Auch Yahoo-Chefin Marissa Mayer beorderte die Mitarbeitenden im Home Office zurück in die Firmenzentrale. Dass dies überwiegend negativ aufgenommen wurde, verwundert Schäfer nicht. «Heute sollte die zeitliche Präsenz im Büro eher eine untergeordnete Rolle spielen. Wichtiger ist, dass die Mitarbeitenden ihre Aufgaben erfüllen und die Ziele erreichen.»
Um die Verbreitung von mobil-flexibler Arbeit zu fördern und die Unternehmen und deren Mitarbeitende im Wandel zu unterstützen, haben sich die beiden Departemente Wirtschaft sowie Technik & Architektur der Hochschule Luzern und die Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW für das Forschungsprojekt «iMOW» zusammengetan. Gemeinsam mit den Projektpartnern RBSGROUP, SBB, Siemens, Swisscom und Vitra entwickelten sie Instrumente, mit denen Firmen zeit- und ortsunabhängige Arbeit organisieren und managen können.
Frühzeitige Planung ist wichtig
Dabei entstand unter anderem das Simulationsbrettspiel «Work a Round». Dieses richtet sich gezielt an Mitarbeitende, die wenig bis gar keine Erfahrung mit mobilflexiblen Arbeitsformen haben. «Es reicht nicht, sie mit Laptop und Smartphone auszurüsten. Sie sollten auf die neuen Herausforderungen aufmerksam gemacht werden», sagt Adrienne Schäfer. Welche das sind, weiss Niklaus Arn, Geschäftsführer der RBSGROUP, Firma für Planung und Realisierung von neuen Arbeitswelten, deren Mitarbeitende alle mobil-flexibel arbeiten und weder einen eigenen Büroplatz noch fixe Präsenzzeiten haben. «Wir planen und organisieren mehr», sagt Arn. Die Teammitglieder müssen eine bis zwei Wochen im Voraus voneinander wissen, wer wo arbeitet und erreichbar ist. Zudem ist Selbstmanagement gefragt. Alle passen ihren Tagesablauf den anstehenden Aufgaben an, weil nicht jeder Ort für alle Tätigkeiten geeignet ist: Zu Hause wird konzentriert das Konzept verfasst, das Teammeeting findet im Büro statt, den Projektbericht liest man auf der Fahrt im Zug.
Mit dem Brettspiel «Work a Round» können sich Mitarbeitende mit diesen Herausforderungen vertraut machen und Strategien für mobil-flexibles Arbeiten erproben und entwickeln. «Sie nähern sich spielerisch dem Thema und lernen, wie nebst dem Büro auch andere Orte für die täglichen Aufgaben verwendet werden können», erläutert Innenarchitekt Jan Eckert vom Kompetenzzentrum Typologie & Planung in Architektur (CCTP) der Hochschule Luzern. Dafür lösen die Spielenden unter Anleitung einer Moderation Einzel- und Teamaufgaben aus dem Büroalltag. Je nach Aufgabe und deren Anforderungen an beispielsweise die Konzentration oder Privatsphäre erledigen sie diese im Unternehmen, zu Hause, im Zug oder in einem sogenannten Third Place wie einem Co- Working Hub.
«Die Spielenden sollten dabei nicht individuell versuchen, möglichst rasch alles abzuarbeiten», sagt Eckert. Es gibt keine Gewinner oder Verlierer. Vielmehr geht es darum, als Team zu funktionieren und alle Aufgaben in möglichst wenigen Spielrunden auszuführen. In der Hälfte und am Ende der Spielzeit wird der Verlauf zusammen mit dem Moderator oder der Moderatorin analysiert. Welche Arbeitsplätze eignen sich für welche Arbeit, welche werden kaum genutzt? Wie unterscheidet sich die Arbeit in der Realität von jener in der Spielwelt? «Diese Analyse ist wichtig: Die Mitarbeitenden reflektieren ihre Spielzüge und ziehen daraus Erkenntnisse für ihre mobil-flexible Arbeitsform im echten Arbeitsalltag», sagt Eckert.
Zufriedenheit der Mitarbeitenden steigt
Das Spiel «Work a Round» wird von den Projektpartnern RBSGROUP und Vitra, Herstellerin von Büromöbeln und Planerin von Büroeinrichtungen, bei der Beratung ihrer Kunden genutzt. «Das Potenzial von mobil-flexibler Arbeit ist gross», sagt Niklaus Arn. «Die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden wird gestärkt, das wirkt sich auf ihre Zufriedenheit positiv aus. Und weil mobil-flexible Arbeit aufgabenorientiert ist, steigt auch die Effizienz.» Die oft geäusserte Kritik, das Arbeitsmodell führe automatisch zu höheren Arbeitszeiten, weist Arn zurück. «Wir arbeiten nicht mehr als andere.»
Gleichwohl kann der Umstand, dass jederzeit und überall Aufgaben erledigt werden können, dazu führen, dass sich Arbeit und Freizeit stärker vermischen. «Deshalb ist eine bewusste Trennung wichtig, dafür trägt jeder selber die Verantwortung», sagt Adrienne Schäfer.
Schäfer und Arn sind überzeugt, dass in den nächsten Jahren immer mehr Schweizer Unternehmen ihre Mitarbeitenden zeitlich und örtlich unabhängiger werden arbeiten lassen. «Seit 20 Jahren befinden wir uns in einer grundlegenden Transformation der Wissensgesellschaft, die – bedingt durch die Digitalisierung – nicht aufzuhalten ist. Nicht auf mobilflexible Arbeitsweise umzustellen, ist keine Option mehr», sagt Arn, im Wissen darum, dass der Wandel Zeit braucht. «Aber in ein paar Jahren werden uns unsere Kinder fragen: ‹Was? Du bist ins Büro gefahren, um E-Mails zu beantworten und ein Protokoll zu schreiben?›»
Autorin: Yvonne Anliker
Im Rahmen des Forschungsprojekts «iMOW» wurden insgesamt drei Werkzeuge entwickelt. Nebst dem Simulationsbrettspiel «Work a Round» entstand das Analyse-Instrument Profiler. Damit können Unternehmen ihr Potenzial für mobilflexibles Arbeiten erfassen und abklären, wo diese Arbeitsform gefördert werden könnte. Als drittes Werkzeug baute das Forschungsteam eine Wissensdatenbank namens Mobile Work Directory auf. Darin werden für die Projektpartner Erfolgsrezepte und Daten zum zeit- und ortsunabhängigen Arbeiten hinterlegt. Das Forschungsprojekt wurde von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) des Bundes unterstützt.