«Ich kenne einen Studenten, der vor praktisch jeder Prüfung in Ohnmacht gefallen ist», erzählt die Luzerner Psychologin Ines Schweizer. Der Fall zeigt, dass die Angst zu versagen bei manchen Menschen extreme Formen annehmen kann. «Ein wenig Lampenfieber ist normal – und eigentlich auch gesund», sagt Schweizer. «Es hilft, uns zu fokussieren.» Nervosität werde erst dann zum Problem, wenn sie jemanden daran hindere, die volle Leistung zu erbringen.
Ines Schweizer ist Spezialistin für kognitive Verhaltenstherapie und bietet am Departement Musik der Hochschule Luzern Kurse zum Thema «Lampenfieber und Prüfungsangst» an. Musikerinnen und Musiker sind davon besonders oft betroffen, stehen sie doch regelmässig im Rampenlicht. So leiden laut einer Studie der Hochschule Hannover rund 50 Prozent aller Musiker unter Aufführungsängsten.
Kein Patentrezept, aber patente Rezepte
Den rund 20 Studierenden, die ihren Kurs pro Semester besuchen, bietet Ines Schweizer ganz unterschiedliche Bewältigungsstrategien an. Rasch und einfach umsetzbar ist beispielsweise das Kauen eines Kaugummis. «Für Musiker ist dies vielleicht nicht gerade die perfekte Methode», erklärt die Psychologin, «aber grundsätzlich geschieht dabei etwas ganz Wichtiges – der Mensch bringt sich in Bewegung.» Dadurch bewege sich auch etwas im Kopf; das mildere Ängste und Lähmungsgefühle. Daher sei es auch hilfreich, auf dem Stuhl den Oberkörper sanft hin und her zu wiegen oder mit dem Velo an eine Prüfung zu fahren. Einfache Gymnastikübungen – insbesondere Über- Kreuz-Bewegungen der Arme – und die Stimulation von Akupressurpunkten sind laut Schweizer ebenfalls probate Mittel, um die Nerven zu beruhigen.
Ein häufiges Symptom von Nervosität ist ein trockener Mund. Für eine Posaunistin oder einen Sänger ist dies fatal. «Jazzmusiker können vielleicht ein Glas Wasser neben sich hinstellen», sagt Schweizer, «doch in klassischen Orchestern gelten viel strengere Regeln.» Deshalb hat die Expertin noch weitere Tricks auf Lager: «Man kann seinen Speichelfluss auch anregen, indem man mit der Zungenspitze den Gaumen berührt oder sich vorstellt, in eine Zitrone zu beissen.»
«Wichtig ist, das eigene Selbstbewusstsein zu stärken.» Ines Schweizer, Psychologin
Ines Schweizer zeigt den Studierenden jedoch nicht nur auf, wie sie akute Stress- und Prüfungssituationen bewältigen können, sie vermittelt ihnen auch Techniken, die das Selbstbewusstsein längerfristig stärken. Ein Beispiel: Wenn man jeden Tag drei Dinge notiert, auf die man stolz ist, werden Positivaussagen über die eigene Persönlichkeit besser im Bewusstsein verankert.
Dem Thema Termin- und Projektplanung widmet die Psychologin ebenfalls einige Stunden, denn in ihrem Berufsleben müssen Musiker häufig zahlreiche Projekte aneinander vorbeijonglieren. Ein effizientes Zeitmanagement hilft, Stress zu vermeiden und einem Burnout vorzubeugen.
Individuelles Vorgehen
«Kein Mensch ist wie der andere, deshalb müssen die Studierenden für sich selbst herausfinden, was ihnen am meisten hilft», erklärt Schweizer. In manchen Fällen lohne es sich auch, das Problem im Rahmen einer Psychotherapie oder einer individuellen Beratung näher anzuschauen. Eine Anlaufstelle, die solche Coachings anbietet, ist die Psychologische Beratungsstelle des Campus Luzern für Studierende und Dozierende.
«Pro Jahr nehmen rund 280 Personen meine Hilfe in Anspruch», sagt deren Leiterin Maria Lichtsteiner. Etwa 20 Prozent melden sich wegen Prüfungsangst bei ihr, und weitere 20 Prozent beschäftigen verwandte Themen wie Stress und Druck im Studium. «Je nach Persönlichkeit gehen wir in der Beratung verschiedene Wege», sagt Lichtsteiner. Letztlich gehe es darum, neue Verhaltens- und Erlebensmuster zu erarbeiten und brachliegende Ressourcen zu aktivieren. «Bei mir setzen sich die Studierenden in der Regel mit tiefer liegenden emotionalen Problemen auseinander. Das ist eine gute Ergänzung zu den Kursen, welche an der Hochschule Luzern zu Themen wie Auftrittskompetenz, Präsentationstechniken oder Kommunikation angeboten werden.»
Praktisch jede Fachrichtung bietet solche Module an, und beim Careers Service erhalten die Studierenden zusätzlich gezielte Unterstützung für den Berufseinstieg. Beispielsweise können sie sich an einem eintägigen Seminar zum Thema Auftrittskompetenz für Vorstellungsgespräche rüsten. Dass auch Humor ein gutes Heilmittel gegen Lampenfieber sein kann, demonstrierte der Careers Service an der Veranstaltung «Lange Nacht der Karriere». Dort konnten die Studierenden an einem Powerpoint-Karaoke teilnehmen und so den Auftritt vor Publikum proben.
Auch Sport hilft gegen Lampenfieber. Die Wahl der passenden Disziplin ist von der Persönlichkeit abhängig. Hochschulsportlehrerin Karin Udvardi, die für den Fitness- / Tanz- / Wellnessbereich des Hochschulsport Campus Luzern zuständig ist, sagt dazu: «Den einen hilft es, sich auszupowern, den anderen tut entspannendes Yoga gut. Sicher ist: Mit Sport stärken die Studierenden ihre Konstitution, lernen, sich durchzubeissen, erfahren aber auch wohltuende Ablenkung und verbessern ihre Körperwahrnehmung.»