2008 fragte der Sportbekleidungshersteller Mammut auf einer Innovationsplattform nach einer Ersatzlösung für den klassischen Reissverschluss. In vier Wochen bekam er 345 Ideen von 245 Teilnehmern. Doch die möglichen Alternativen – Klett-, Magnet- oder Faltverschlüsse – wurden nie produziert. Nichtsdestotrotz: Das Beispiel wird immer erwähnt, wenn von kollaborativen Arbeitsformen die Rede ist. «Wir haben Erfahrungen gesammelt und Lehren aus dem Versuch mit dem Klettverschluss gezogen», sagt Gregor Hirner, Chef des Produktmanagements bei Mammut.
Eine Erkenntnis: Das gemeinsame Arbeiten mit Kunden an einem Projekt eignet sich für die Ideenfindung im Bereich Design, nicht aber für technische Aspekte wie einen neuen Reissverschluss. In den letzten Jahren rief Mammut die Kunden darum regelmässig zu einer Art Brainstorming auf. «Gezielte Ansprache auf gezielten Plattformen mit der passenden Form der Zusammenarbeit ist wichtig», sagt Hirner.
Tatsächlich unterscheiden sich kollaborative Arbeitsformen stark (siehe Box unten). Vorangetrieben durch die Digitalisierung, gelten sie als modern, doch der Ursprung liegt in den 1970er-Jahren. «Neu ist die globale und virtuelle Ebene der Zusammenarbeit», sagt Patricia Wolf. Sie ist Professorin für Innovation und leitet das Zukunftslabor CreaLab der Hochschule Luzern. Sie hat in ihren Forschungen Vor- und Nachteile, aber auch Gefahren für Unternehmen sowie Teilnehmer solcher Prozesse herausgearbeitet.
Profitmaximierung statt echtes Interesse
Generell stellt sie fest: Die Unternehmen beachten zu wenig, worum es bei kollaborativer Arbeit wirklich geht. Die meisten denken an Profitmaximierung. Sie starten einen Prozess und hoffen, dafür weniger bezahlen zu müssen als für externe Berater. Sie freuen sich über ein paar Fans, die gute Ideen einbringen. In Anlehnung an Max Frisch könnte man sagen: Man ruft Arbeiter, und es kommen Menschen mit echten Anliegen und Interesse an der Sache. «Unternehmen sollten ihre Kollaborateure als erweitertes Entwicklungsdepartement betrachten, das dazugehören will», sagt Patricia Wolf.
Schliesst ein Unternehmen Mitglieder einer Community beispielsweise plötzlich aus Entwicklungsprozessen aus, kann das eine Protestaktion oder den Verlust wichtiger Käufergruppen auslösen. «Eine Rückkehr zu geschlossenen Entwicklungsprozessen lässt sich schlecht erklären», sagt Wolf. Auch Urs Gaudenz, der am Departement Technik & Architektur der Hochschule Luzern ein Modul unterrichtet zu Open Innovation, einer anderen Form der Zusammenarbeit, sagt: «Voraussetzung für offene Prozesse ist eine entsprechende Unternehmenskultur. Man muss die Kunden wirklich einbeziehen.» Zudem warnt er: Kunden denken anders, halten dem Unternehmen vielleicht einen Spiegel vor, in den es gar nicht sehen will. Gaudenz spricht auch als Praktiker: In der Firma Helbling, für die er früher tätig war, war Open Innovation Teil der Unternehmenskultur.
Urs Gaudenz sieht keine Gefahr, dass Patente geklaut oder kopiert werden könnten. Denn technische Neuerungen liessen sich heutzutage fast nicht geheim halten. Konkurrenten stünden bei Entwicklungen meist kaum nach. Einen echten blinden Fleck bei Unternehmen sehen die Experten im sogenannten Open Knowledge Sharing. Daten, Methoden und Prozesse, welche Unternehmen eigentlich für sich beanspruchen, werden dadurch öffentlich. Die Gemeinschaft, die an einer Entwicklung mittüftelt, sieht diese als kollektives Eigentum. Patente sollten in diesem Umfeld also tabu sein. Kollaborationsstrategien sind aber kaum vorhanden.
Was bedeutet kollaboratives Arbeiten für den Einzelnen? Privatpersonen, die nicht nur in ihrer Freizeit in solchen Arbeitsformen mitwirken, sondern ihren Lebensunterhalt damit verdienen müssen, sind durchaus gefährdet. «Diese Menschen arbeiten isoliert, es gibt keine Kollegen und Chefs», sagt Patricia Wolf. Sie nennt dieses Phänomen soziale Vereinsamung bei der Arbeit. «Zudem erhalten die Auftragnehmer oft keine vom Unternehmen bezahlten Sozialleistungen, sie fallen durch das soziale Netz. Wenn Personen in kollaborativen Formen ausgebeutet werden, ist das auch gesellschaftlich nicht sinnvoll.»
Autorin: Lucia Theiler
Crowdsourcing: Unternehmen schreiben eine Aufgabe aus, um die sich Interessierte bewerben können. Bei «Amazon Mechanical Turk» z.B. bewerben sich Selbstständige um sogenannte «Human Intelligence Tasks». Das kann eine spezifische Aufgabe sein wie die Wahl von Bildmaterial für eine Website. Eine andere Form des Crowdsourcing ist der Wettbewerb. Der beste Bewerber bekommt den Job, etwa das Umsetzen eines Designs. Nur der Gewinner wird bezahlt – meist schlecht. Echte Zusammenarbeit entsteht nicht. Wer den Auftrag erhält, arbeitet isoliert und ist einzig mit der Umsetzung beschäftigt. Wissen wird nicht geteilt, sondern zugekauft.
Open Innovation: Nutzer und Kunden arbeiten an einem neuen Entwicklungsschritt oder an neuen Produkten. Diese Arbeit wird meist nicht bezahlt. Echte Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Nutzern und Kunden kann je nach Ausgestaltung begrenzt entstehen und Wissenstransfer stattfinden.
Open Knowledge Sharing: Anliegen ist ein demokratischer Zugang zur Information. Open Knowledge Sharing ist eine Gegenbewegung zu geschlossenen Entwicklungsprozessen. Bezahlt wird diese Arbeit nicht, dafür entsteht echte Zusammenarbeit, und Wissen wird geteilt.