«Die finanzielle Situation ist kritisch», heisst es in der Mitteilung der Luzerner Gemeinde Buchrain zur Rechnung 2014. Die Steuerkraft ist tief, und die gebundenen Ausgaben steigen stetig. Darum erwartet die Agglomerationsgemeinde mit rund 6’000 Einwohnern auch für die nächsten Jahre rote Zahlen.
Finanzielle Risiken gehören zu den Toprisiken einer Gemeinde. Das ergab eine Umfrage der Hochschule Luzern und der Fachhochschule Nordwestschweiz bei Gemeinden und Bezirken aus der Deutschschweiz. Die Ergebnisse zeigen überdies, dass die Gemeinden mit sehr verschiedenartigen Risiken umgehen können müssen – von Infrastruktur- bis zu Elementarschäden. «Ob ein IT-Ausfall, die Veruntreuung von Staatsgeldern oder eine Trinkwasserverschmutzung – am Ende belasten praktisch alle Schadensfälle die Gemeindefinanzen», sagt Stefan Hunziker, Betriebsökonom und Risikospezialist an der Hochschule Luzern.
Gesamtschau ist möglich
Buchrain setzt deshalb seit einigen Monaten auf ein umfassendes Risikomanagement: Die Verwaltung hat den Prozess, Risiken zu identifizieren und zu bewerten, systematisiert sowie ein internes Kontrollsystem eingeführt. «Die wesentlichen Risiken waren uns schon zuvor bekannt», sagt Oliver Furrer, Abteilungsleiter Finanzen der Gemeinde Buchrain. «Doch das umfassende Risikomanagement ermöglicht eine Gesamtsicht über alle Abteilungen hinweg.»
So beschert beispielsweise die Neuordnung der Pflegefinanzierung im Kanton der Gemeinde markant höhere Ausgaben. Gleichzeitig sinken die Einnahmen: Per Volksentscheid wurden in Luzern die Liegenschaftssteuern abgeschafft; zudem erhält Buchrain weniger Geld aus dem Finanzausgleich. Die Gemeinde musste Massnahmen ergreifen und hat die Arbeiten für die Entwicklung des Dorfzentrums sowie die Erweiterung des Alterszentrums gestoppt – und damit auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze verzichtet.
«Mit dem Risikomanagement können wir nicht alle Risiken ausschalten. Aber es erhöht das Bewusstsein für Stolpersteine, deckt bislang unerkannte Schwachstellen auf und führt dazu, dass wir gezielt und koordiniert Gegenmassnahmen ergreifen können», sagt Furrer. Diese reichen von einer Steuererhöhung bis zu einer Intervention beim Kanton wegen zu hoher finanzieller Belastungen.
Bislang fehlte die Systematik
Das umfassende Risikomanagement erarbeitete Buchrain mit der Hochschule Luzern und der Fachhochschule Nordwestschweiz. Die beiden Bildungsinstitutionen entwickelten im Rahmen eines Forschungsprojekts zusammen mit weiteren 18 Gemeinden und Bezirken einen Leitfaden, nach dem die Gemeinden die ganzheitliche Risikosteuerung sowie ein Kontrollsystem einführen können.
Der Leitfaden besteht unter anderem aus einem 10-Schritte-Programm, der durch die Planung, die Implementierung und die Anwendung des Instruments führt. «Der Aufbau eines funktionierenden Risikomanagements und eines Kontrollsystems bedeutet für viele Gemeinden einen Kraftakt. Der Leitfaden soll ihnen die Arbeit erleichtern», sagt Stefan Hunziker.
Er ist überzeugt, dass sich die fachlichen, finanziellen und personellen Ressourcen, die die Gemeinden einsetzen, lohnen. So müsse eine Gemeinde durchschnittlich 50 bis 100 Einzelrisiken bewirtschaften. «Eine systematische Bewirtschaftung hilft, dass die Auseinandersetzung mit Risiken – und mit Chancen – bewusst erfolgt, dass das Frühwarnsystem funktioniert und dadurch Schadensfälle minimiert werden können. So wie das in der Privatwirtschaft bereits üblich ist», sagt Hunziker.
Wie in der Privatwirtschaft
Aus diesem Grund empfiehlt der Kanton Schwyz seinen Gemeinden und Bezirken die Einführung eines ganzheitlichen Risikomanagements. «Eine Gemeinde, die bewusst ein Risiko eingeht, handelt anders, als wenn sie blind in den Hammer läuft», sagt Hermann Grab vom kantonalen Finanzdepartement. Er ist überzeugt, dass es sich heute keine Gemeinde mehr leisten kann, sich nicht gründlich auf mögliche Gefahren vorzubereiten. Auch weil dies dem Gemeinderat eine gewisse Sicherheit biete.
«Tritt ein Schaden auf, wird beispielsweise Geld veruntreut, heisst es heute viel eher als früher, die Exekutive habe ihre Aufsichtspflicht verletzt und mögliche Risiken zu wenig überprüft», sagt Grab. Diese Entwicklung sei auch in der Privatwirtschaft zu beobachten, Verwaltungsräte würden immer öfter zur Verantwortung gezogen. «Ein umfassendes Risikomanagement erhöht die Transparenz und schafft Vertrauen in der Bevölkerung, was die Handlungsfähigkeit einer Gemeinde bei einem Ereignis wiederum erhöht.»
Autorin: Yvonne Anliker
Bild: Pixabay
Zur Medienmitteilung über die ganzheitliche Risikosteuerung für Gemeinden vom 1. Juni 2015