Gebäude als temporäre Ressourcenspeicher
Im Interview beantwortet die Architektin und Nachhalitgkeitsberaterin Claudia Lüling von Werner Sobek AG drei Fragen zu ihrem Referat am Schweizer Bauforum vom 16. November 2022.
Claudia Lüling, am Schweizer Bauforum sprechen Sie über Gebäude als temporäre Ressourcenspeicher. Was verstehen Sie darunter?
Den notwendigen Paradigmenwechsel weg vom linearen Gebrauch und der anschließenden Entsorgung eines (Bau-)Produkts hin zum «closed loop design». Darin begreift sich das Gebäude nur als kurzer Lebensabschnitt des verwendeten Materials, als temporärer Ressourcenspeicher. Wir sollten gedanklich die Perspektive einnehmen, dass wir Ressourcen, die im Bauwesen eingesetzt werden, nur aus übergeordneten Kreisläufen entleihen und sie selbstverständlich im Anschluss an die Nutzungsphase wieder dorthin zurückführen. Ein weiterer Aspekt ist, dass vor allem nachwachsende Rohstoffe während ihrer Entstehungsphase Kohlenstoff in ihrer Struktur binden und damit bis zur erneuten Freisetzung am Ende des Lebenszyklus als CO2-Speicher fungieren.
Die Bauschaffenden sollen das Gebäude als Rohstofflieferant für die Zukunft verstehen. Welche Massnahmen braucht es, damit dieses kollektive Umdenken stattfindet?
Dafür ist eine Vielzahl an Massnahmen auf unterschiedlichen Ebenen nötig, die im besten Fall parallel laufen und sich gegenseitig befruchten, denn schließlich geht es um eine umfassende Umstellung des Bauwesens. Mutige Experimentalbauten nehmen dabei eine Vorreiterrolle ein, indem sie sowohl neue Ansätze auf die technische Umsetzbarkeit überprüfen als auch den Diskurs über Fachkreise hinaus in eine breitere Öffentlichkeit tragen. Ein Beispiel dafür ist die Experimentaleinheit «Urban Mining & Recycling» (UMAR) von Werner Sobek, Dirk E. Hebel und Felix Heisel auf dem NEST-Campus in Dübendorf. Dem Entwurf liegt die These zugrunde, dass alle zur Herstellung eines Gebäudes benötigten Ressourcen vollständig wiederverwendbar, wiederverwertbar oder kompostierbar sein müssen. Auf anderen Ebenen braucht es Anreizsysteme für eine schnelle und konkrete Umsetzung dieser experimentell erprobten Ansätze in klassischen Projekten, die Normierung muss angepasst und die nachhaltige Bepreisung der Umweltfolgekosten als Planungsinstrument verstanden werden.
Sie erwähnen, dass mit diesem Paradigmenwechsel auch Herausforderungen verbunden sind. Woran denken Sie da?
Eine grundlegende Herausforderung dabei ist, dass die Konsequenzen unseres Handelns örtlich und zeitlich von ihrem Entstehungsort entkoppelt sind, weil die Komplexität der globalen Stoffkreisläufe – der natürlichen wie auch der anthropogenen – weiter zunimmt. Wären die Folgen unseres Handelns unmittelbar und direkt im wahrsten Sinn des Wortes «erfassbar», fiele es uns leichter, unsere Entscheidungen zu überdenken. Hinzu kommt, dass das Bauwesen von langen Entwicklungs-, Genehmigungs-, und Lebenszyklen geprägt ist und sehr unterschiedliche Interessengruppen beteiligt sind. Das vereinfacht einen schnellen Wandlungsprozess nicht gerade.
Währenddessen wächst die Menschheit im Durchschnitt um 2,6 Menschen pro Sekunde. Es ist also die entscheidende Aufgabe unserer Zeit, für mehr Menschen mit weniger Ressourcen zu bauen und dabei den Emissionsausstoss drastisch zu reduzieren. Die Verantwortung, die wir für kommende Generationen tragen, kann dabei nicht überschätzt werden.