Beat Hauenstein: Unerwartete Forderungen eines Mitarbeiters, fehlende Akzeptanz bei Veränderungsprozessen – wie entsteht Widerstand, und wie sollen Führungspersonen auf Widerstand reagieren?
Erik Nagel: Widerstand hat sehr unterschiedliche Erscheinungsformen. Sie alle verbindet, dass «der Widerstand» hinsichtlich Zeitpunkt und Form überraschend auftaucht, selbst wenn man mit Widerstand rechnet.
Der erste Reflex mag sein, dem Widerständler oder der Widerständlerin eine (ver-)störende Charaktereigenschaft zuzuweisen, Menschen eine generelle Angst vor Veränderungen zu attestieren oder sich damit zu begnügen, dass ein Drittel ohnehin immer dagegen sei. Solche «Spontandiagnosen» finden dann auch gerne breite Zustimmung: Erstens, weil sie üblich sind und damit einen Gültigkeitsanspruch zu haben scheinen und zweitens, weil damit Ursachen und Erklärungen rasch identifiziert zu sein scheinen. Aber genau dies macht diese Reaktionen verdächtig. Sie stiften einen Nutzen: Das Problem ist verstanden und zugeordnet. Doch damit leisten sie uns einen Bärendienst. Der Psychologe Daniel Kahnemann formuliert, dass solche voreiligen Schlüsse riskant seien, wenn die Situation ungewohnt sei, viel auf dem Spiel stehe und keine Zeit bleibe, weitere Informationen zu sammeln. Das Problem ist damit zwar «entsorgt», aber nicht wirklich verstanden und vor allem: Es ist nicht gelöst.
Braucht es somit eine vertiefte «Diagnose»?
Richtig. Widerstand lässt sich nicht rasch verstehen. Manchmal ist es auch so, dass jene, die (angeblich) Widerstand leisten, gar nicht genau sagen können, weshalb sie es tun. Das «angeblich» steht in Klammern, da es ja auch sein kann, dass man selber den Widerstand ausgelöst hat oder gar selber Widerstand leistet, diesen aber den anderen zuschreibt. Häufig ist es auch so, dass man nicht gegen alles ist, sondern beispielswiese eine Entscheidung akzeptiert, nur den Prozess dorthin nicht.
Es braucht also einen genauen Blick. Allgemeine Handlungsanleitungen, wie z.B. dass man Widerstand als Ressource sehen solle, helfen wenig. Es geht eher darum, die eigene Haltung zu reflektieren. Aufgrund der starken Emotionalität des Widerstands bietet es sich zuerst einmal an, diese entgegenkommende Emotionalität anzuerkennen. Emotionalität will gehört, wahr oder ernst genommen werden. Dies verweist darauf, dass es in solchen Situationen das direkte Gespräch braucht, ein Gespräch auf Augenhöhe. Dies heisst wiederum nicht, dass Hierarchien grundsätzlich ausser Kraft gesetzt sind, aber für den Moment geht es um den Austausch darüber, was im Einzelnen passiert ist, wie das eine zum anderen kam und wie man das Geschehen empfindet. Im Dialog geht es darum, Verhaltensweisen besser zu verstehen.
Widerstand entsteht auffallend häufig dann, wenn Menschen das Gefühl haben, keinen Einfluss auf die Geschehnisse zu haben, sie sich also ohnmächtig fühlen. Die Aufgabe der Führungskraft besteht darin, ihren Mitarbeitenden die Chance zu geben, sich einzubringen und mitzuwirken. Sie müssen wissen, welchen Stellenwert eine Äusserung hat, was damit passiert und dass die Führungskraft sich aufrichtig damit auseinandersetzt. Die beteiligten Personen sollen sich als Teil des Ergebnisses verstehen, selbst dann, wenn sich ihre Vorstellungen nicht realisieren.
Ist Widerstand nun positiv oder negativ?
Widerstand wird landläufig leider zumeist negativ bewertet. Es wird Energie gegen den Widerstand aufgewendet, anstatt ihn genauer zu verstehen. Widerstand und der Umgang damit kann destruktiv wirken, aber er kann auch genauso Wesentliches sichtbar machen und Veränderungen überhaupt erst auslösen.
Buch zum Thema:
Nagel, Erik (2021). Glücksfall Widerstand: Vom produktiven Umgang mit normalen Ausnahmen. 2. Auflage. Zürich: Versus Verlag. Leseprobe
Video-Beitrag Prof. Dr. Erik Nagel, Programmleiter Executive MBA Luzern : Widerstand ist ein Glücksfall