Wer von Münsingen zwischen Bern und Thun mit dem Bus nach Gerzensee will, steigt seit Dezember 2019 nicht mehr in das gewohnt gelbe Postauto ein, sondern in einen roten Bus des Stadtberner Transportunternehmens (TU) bernmobil. Dieser Farben- bzw. Unternehmenswechsel ist das Resultat einer wettbewerblichen Ausschreibung des Betriebs mehrerer Buslinien des ÖV in der Region Münsingen. Durchgeführt haben dieses Ausschreibungsverfahren der Kanton Bern und das Bundesamt für Verkehr (BAV), die als sogenannte «Besteller» das gewünschte regionale ÖV-Angebot bei einem oder mehreren TU «einkaufen».
Wettbewerbliche Ausschreibungen im regionalen Busverkehr werden in der Schweiz seit rund 25 Jahren durchgeführt. Meist verfolgen die Besteller das Ziel, dank dem Wettbewerb unter den TU um einen Auftrag weniger für den Betrieb des ÖV-Angebots bezahlen zu müssen. Das eingesparte Geld kommt dann wiederum dem ÖV zugute, in Form eines grösseren Angebots oder besserer Qualität (z.B. modernere Fahrzeuge). Seit 2012 besteht zu wettbewerblichen Ausschreibungen eine umfassende gesetzliche Grundlage auf Bundesebene, die unter gewissen Umständen ein Ausschreibungsverfahren sogar vorschreibt. Trotzdem findet das Instrument bislang nur selten Anwendung. Seit 2012 wurden – bei rund 1'000 regionalen Buslinien – lediglich 10 Ausschreibungsverfahren abgeschlossen, drei weitere sind derzeit geplant. In aller Regel beauftragen die Besteller den jeweiligen «Platzhirschen» (das bestehende TU) mit dem Betrieb des gewünschten ÖV-Angebots, ohne Offerten von Konkurrenten einzuholen.
Rund 10 Jahre nach der letzten Gesetzesreform lässt das BAV das Instrument der wettbewerblichen Ausschreibung durch ein Team bestehend aus dem Kompetenzzentrum Mobilität der Hochschule Luzern, dem Büro Vatter (Bern) und KCW (Berlin) evaluieren. Dabei stehen grob zwei Fragen im Vordergrund. Einerseits soll der Prozess der Ausschreibungsverfahren an sich von der Publikation in der sogenannten «Ausschreibungsplanung» bis zur Inbetriebnahme des ÖV-Angebots durch das TU, das als Gewinner hervorgeht, untersucht werden. Daraus gilt es – gegebenenfalls – Massnahmen zur Steigerung der Effektivität und Effizienz des Verfahrens abzuleiten. Andererseits soll aus einer übergeordneten Perspektive analysiert werden, aus welchen Gründen sich gewisse Besteller für bzw. – der Regelfall – gegen die Durchführung einer wettbewerblichen Ausschreibung entscheiden. Auch daraus sollen Vorschläge entwickelt werden, um das Instrument attraktiver zu machen, primär für «willige» Besteller, die eine wettbewerbliche Ausschreibung nicht grundsätzlich ausschliessen.
Ausschreibungsverfahren können schon nur wegen der hohen Transaktionskosten nie Selbstzweck sein. Es geht in unserer Studie letztlich also darum, dieses Instrument im bestehenden «Werkzeugkasten» der Besteller so zu etablieren, dass es dann Anwendung findet, wenn es gegenüber anderen Instrumenten entsprechende Vorteile aufweist.
Methodisch bedienen wir uns verschiedener Ansätze. Neben einer standardisierten Onlinebefragung aller Besteller in der Schweiz werten wir diverse quantitative Daten im Zusammenhang mit den durchgeführten Ausschreibungsverfahren aus. Hauptsächlich führen wir jedoch Leitfadeninterviews mit allen wichtigen Stakeholdern durch. Neben den Behörden sind dies die betroffenen TU und involvierte Berater*innen. Neben übergeordneten Fragen zum Thema erlaubt uns dies auch eine vertiefte Analyse aller 10 seit 2012 durchgeführten Ausschreibungsverfahren, was wir mit einer umfassenden Dokumentenanalyse komplettieren. Die Resultate unserer Studie werden gegen Ende des laufenden Jahres erwartet.