Verhalten systematisch beeinflussen, dies jedoch ohne monetäre Anreize und insbesondere ohne die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen einzuschränken: Ein solches Konzept klingt schon fast zu gut um wahr zu sein, aber genau diese Idee steckt hinter dem Konzept Nudging (Englisch «to nudge» = (an)stupsen).
Nudging, welches insbesondere durch den Chicagoer Verhaltensökonomen Richard Thaler und den Harvard-Juristen Cass Sunstein (2008) geprägt wurde, versucht sich genau an diesem Spagat: Entscheidungen – und damit Verhalten – beeinflussen, aber gleichzeitig nicht in die individuelle Freiheit eingreifen. Folglich präsentiert sich Nudging, auf den ersten Blick, als rechtlich und moralisch vollkommen unverfängliches Konzept. Der positive, unverfängliche Eindruck wird zusätzlich deutlich, wenn man die Worte berücksichtigt, welche Richard Thaler seinem aktuellen Buch Mishaving (2018) voranstellt: «Nudge for good» (sprich, nutze den Stupser, um Gutes zu tun).
Aber genau hier offenbart sich das moralische (und auch rechtliche) Problem des Nudging-Ansatzes: Wenn man «for Good» nudgen kann, kann man auch «for Bad» agieren. Leider gilt die empirisch bestätigte Wirksamkeit bestimmter Nudge-Hebel unabhängig davon, ob man etwa seinen Mitarbeitenden zu einer sichereren Rente verhilft (Thaler & Benartzi, 2004), oder Kunden mittels Abofallen um ihr Erspartes bringt. Eine aktuelle Studie von Korneeva und Kollegen (2020) zeigt beispielsweise, dass mittels subtiler Eingriffe in die Webseitengestaltung, Personen ohne weiteres sensible Privatdaten herausgeben. Der Verzicht auf einen monetären Anreiz ist hierbei gar nicht entscheidend. Die potentielle Freiheit diese Informationen auch nicht zu teilen, wird schlicht oftmals in der digitalen Informationsflut übersehen. Die Existenz von sogenannten Dark Nudges ist daher ein unerfreulicher Nebeneffekt, welcher in die ethische Gesamtbewertung des Nudging einfliessen muss.
Bei der Bewertung von Nudging ist zusätzlich herausfordernd, dass in zahlreichen Kampagnen und Strategien Nudges selten in Reinform auftreten. In Zeiten von digitalisierten Kundenspuren und Standards wie A/B-Testing ist nahezu das gesamte Erscheinungsbild der meisten online Angebote ein einziges grosses Beispiel angewandter Entscheidungsarchitektur. Als Konsequenz dieser Vielschichtigkeit bleibt die Erkenntnis, dass zumindest ein zentraler Hebel im Umgang mit Nudging unumgänglich ist: Wissen.
Unternehmen und die Mitarbeitenden in den betroffenen Abteilungen sollten die Prinzipien einer kundenorientierten Entscheidungsarchitektur kennen. Dazu gehört insbesondere, die typischen Verhaltensmuster eines Kunden zu antizipieren und nicht von einer durchgängig anzutreffenden Rationalität der Akteure auszugehen. In der Verantwortung sind aber auch die Konsumentinnen und Konsumenten selbst zu sehen, welche sich mit den neuen Optionen digitaler Angebotspräsentationen vertraut machen und diesbezüglich eine Sensibilität entwickeln müssen. Rein rechtliche Forderungen ohne eine Berücksichtigung der jeweiligen Kompetenzen sind daher als wirkungsarm einzuschätzen. Dennoch wird es wichtig sein, klar irreführendes, täuschendes oder besonders aggressives Nudging durch den «Stupser» rechtlich zu verfolgen und ggf. mit Augenmass zu sanktionieren