Forscherinnen und Forscher der Hochschule Luzern haben im Zeitraum von November 2019 bis anfangs 2020 mittels einer schriftlichen Befragung bei Krebsbetroffenen und Angehörigen aus der Zentralschweiz untersucht, wie sie ihre Lebensqualität einschätzen, welche Erfahrungen sie in den verschiedenen Behandlungsphasen machten und wie gut ihre Bedürfnisse befriedigt wurden. Die Erkenntnisse sollen genutzt werden, um die Zentralschweizer Krebsversorgung und die Lebensqualität von Krebsbetroffenen und deren Angehörigen zu verbessern.
Das anwendungsorientierte Forschungsprojekt wird von der Krebsliga Zentralschweiz, zwei Patientinnen sowie verschiedenen Fachpersonen und Institutionen begleitet. Das Projekt wird im Rahmen des Forschungs- und Beratungsschwerpunktes «Öffentliches Gesundheitsmanagement» realisiert und massgeblich von All.Can Schweiz finanziert. Die wissenschaftliche Unabhängigkeit ist jederzeit vollständig gewährleistet.
Nun liegt die Auswertung der ausführlichen Antworten von 235 Krebspatient*innen und 48 Angehörigen zu ihren Erfahrungen mit der Zentralschweizer Krebsversorgung und ihren Bedürfnissen vor. Im Folgenden erhalten Sie einen Überblick über das Projekt «Verbesserung der Lebensqualität von Zentralschweizer Krebspatient*innen und der Versorgungseffizienz». Falls Sie Fragen oder Rückmeldungen haben, freuen wir uns, von Ihnen zu hören.
Machbarkeitsstudie zur Lebensqualität und Versorgungseffizienz
Ein Forschungsteam der Hochschule Luzern startete dieses Projekt 2018 mit einer Machbarkeitsstudie zur Untersuchung der Lebensqualität von Krebsbetroffenen und der Versorgungseffizienz im Kanton Luzern. Im Zentrum stand die Frage, in welchen Bereichen der Krebsversorgung die grössten Entwicklungspotenziale vorhanden sind, damit mit gezielten Massnahmen die Lebensqualität von Krebsbetroffenen verbessert und die Versorgungseffizienz erhöht werden kann. «Versorgungseffizienz» kann auf unterschiedliche Art und Weise definiert werden. Abstrakt und in Kürze zusammengefasst, beschreibt die maximale Versorgungseffizienz diejenige Gesundheitsversorgung, bei der die «optimale» Versorgung mit möglichst tiefen Kosten erreicht wird. Was unter «optimaler» Versorgung oder «guter» Lebensqualität verstanden wird, muss ebenfalls definiert werden. Denn die individuellen Bedürfnisse sind vielfältig, die Ansprüche der Gesellschaft verändern sich und die Lebensqualität ist von vielen Einflussfaktoren abhängig.
Mit einer Analyse der bis 2018 bestehenden Forschungsergebnisse und 11 qualitativen Interviews von Fachpersonen wurde eine erste Bestandesaufnahme der Situation im Kanton Luzern vorgenommen. Im Sine einer ganzheitlichen Perspektive untersuchte das Team der Hochschule Luzern die gesamte Gesundheitsversorgung im Krebsbereich und den «Patientenpfad». Die Versorgung beginnt bei der Gesundheitsförderung und Prävention, geht über die Behandlung und Betreuung, endet bei der Nachsorge und beginnt je nach Verlauf erneut bei der Vorsorge, der Behandlung und Betreuung usw. (siehe folgende Abbildung zum «Patientenpfad», in Anlehnung an Krebsliga Schweiz, 2017).
Thesen zur Zentralschweizer Krebsversorgung
Die Erkenntnisse aus der Machbarkeitsstudie machten deutlich, dass es sinnvoll ist, nicht nur die Krebsversorgung im Kanton Luzern zu untersuchen, sondern die gesamte Zentralschweiz miteinzubeziehen.
Folgende fünf Thesen resultierten aus der Machbarkeitsstudie:
- These 1: Die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige sollten besser bekannt sein und verstärkt in die Behandlungsentscheide einbezogen werden.
- These 2: Die interprofessionelle und interinstitutionelle Zusammenarbeit sollte systematisiert und durch geeignete Kommunikationsgefässe und Finanzierungsmechanismen vereinfacht und gefördert werden.
- These 3: Die Finanzierungsmodalitäten sollten angepasst werden, um eine ganzheitliche Behandlung und Betreuung mit möglichst wenigen «Brüchen» zu ermöglichen.
- These 4: Es braucht klarere Strategien, Ziele und Prozesse auf politischer und auf fachlicher Ebene, um die Krebsversorgung in die gewünschte Richtung zu entwickeln.
- These 5: Sowohl quantitative wie auch qualitative Daten sollten kontinuierlich für die Weiterentwicklung der Krebsversorgung erhoben und genutzt werden.
Die Vor-Studie zeigte auch auf, dass der Fokus noch stärker auf die Lebensqualität von Krebspatient*innen und deren Angehörigen gelegt werden sollte. Um die Qualität der Krebsversorgung nachhaltig zu verbessern, ist es wichtig zu wissen, wie Menschen mit Krebs die Versorgung wahrnehmen und was ihnen während den verschiedenen Behandlungsphasen gefehlt hat. Bisher gab es dazu kaum verlässliche Daten.
Hauptstudie
«Verbesserung der Lebensqualität von Zentralschweizer Krebspatient*innen und der Versorgungseffizienz»
2019 wurde das Hauptprojekt lanciert, welches einem mehrstufigen Forschungs- und Transferprozess folgt. Ziel ist es, eine wissenschaftliche Datengrundlage zu schaffen, um entlang des Patientenpfades konkrete Verbesserungsprojekte anzustossen. Projekte, welche die Bedürfnisse der Patient*innen und die bestehenden Potenziale der Leistungserbringer sowie der Gesellschaft miteinander verbinden und dadurch die Lebensqualität und die Versorgungseffizienz erhöhen.
Das Forschungsteam hat im ersten Schritt des Hauptprojekts von Ende 2019 bis Anfang 2020 eine breit abgestützte Umfrage bei Krebsbetroffenen und Angehörigen aus der Zentralschweiz durchgeführt. Ausgewählte Ergebnisse der Antworten von 235 Krebspatient*innen und 48 Angehörigen werden nachfolgend zusammengefasst.
Verbesserungspotenzial trotz hoher Zufriedenheit
51 Prozent der befragten Patientinnen und Patienten sind mit der Krebsversorgung in der Zentralschweiz «vollständig» und 41 Prozent «mehrheitlich» zufrieden. Die Erkenntnisse der Studie und der Dialog mit den Fachleuten zeigen jedoch, dass in der Zentralschweiz trotz hoher Qualität der Krebsbehandlung auch Verbesserungspotenzial besteht. Zum Beispiel fühlen sich 20 Prozent der Befragten über-, unter- oder fehlversorgt. Das heisst, sie haben entweder den Eindruck zu viele, respektive zu wenige Behandlungen erhalten zu haben. Oder sie denken, falsch behandelt worden zu sein. Einzelne Ergebnisse der Umfrage werden in den nächsten Monaten – auch im Dialog mit der Praxis – vertieft ausgewertet.
Prävention und Früherkennung:
- Die Verbesserung der Früherkennung von Krebs wurde als wichtigste Massnahme genannt, wenn die Krebsversorgung optimiert werden soll. Der Ausbau von Beratungsstellen sowie weiteren Unterstützungsangeboten als zweitwichtigste Massnahme.
- 45 Prozent der antwortenden Patient*innen gaben an, vor der Diagnose keine Angebote oder Informationen zur Krebsprävention gekannt zu haben.
- Von Hausärzt*innen wird am ehesten erwartet, dass sie mehr Informationen abgeben sollten.
Diagnosephase:
- Fast ein Drittel der Krebsdiagnosen erfolgen im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung ohne Beschwerden oder Symptome.
- Rund ein Fünftel der Befragten hatte den Eindruck, in der Zeit zwischen Diagnose und Behandlungsbeginn nicht genügend Gelegenheiten und Zeit zu haben, offene Fragen und allfällige Vorbehalte zur Diagnose und/oder Behandlung zu klären.
Behandlungs- und Betreuungsphase:
- Verbesserungspotenziale bestehen insbesondere in sozialen, interpersonellen und kommunikativen Aspekten (Ärzt*innen untereinander, Ärzt*innen mit Patient*innen). Diese wurden durch die Krebsbetroffenen vielfach hervorgehoben und teilweise kritisiert. Eine verbesserte Kommunikation liegt an dritter Stelle der wichtigsten Verbesserungsmassnahmen, eine bedürfnisorientiertere und empathischere Betreuung an fünfter Stelle.
- Wenn während der Behandlung Bedürfnisse nicht erfüllt werden, geschieht dies gemäss Patient*innen oft aufgrund fehlender Zeit, der mangelhaften Kommunikation und der teilweise durch die Krebsbetroffenen wahrgenommene, mangelnde Empathie von Fachpersonen. 15 Prozent der Patient*innen gaben an, dass ihre Bedürfnisse aufgrund von Zeitmangel auf Seite des Fachpersonals nicht erfüllt wurden. Der Vergleich mit einer Befragung aus dem Jahr 2005 der Krebsliga Schweiz zeigt, dass damals nur 8 Prozent der Befragten angaben, dass dies der Grund für die Nichterfüllung ihrer Bedürfnisse sei.
- Unerfüllte Bedürfnisse und Beratungs- oder Unterstützungsbedarf bestehen auch in spezifischen Lebensbereichen (z.B. Haushalt, finanzielle Schwierigkeiten).
- Informationen zu paramedizinischen oder nicht medizinischen Bereichen werden durch Ärzt*innen deutlich weniger vermittelt, als zur Behandlung, zur Diagnose und zu möglichen Nebenwirkungen, obwohl oft ein Bedürfnis nach diesen Informationen besteht.
- Die Wahrnehmung der Entscheidungsfindung in Bezug auf Behandlungen/Therapien scheint kritisch zu sein. In 32 Prozent der Fälle, in denen bei der Entscheidung über die Behandlung ein/e Spezialist*in involviert war, hatten die Patient*innen den Eindruck, dass sie nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen wurden. In den Fällen, in denen ein/e Hausärzt*in die Entscheidungsfindung involviert war, hatten 25 Prozent der Patient*innen das Gefühl, nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen gewesen zu sein.
- 12 Prozent der Patient*innen haben in den vergangenen 12 Monaten Komplementärmedizin in Anspruch genommen.
33 Prozent der Patient*innen hatten Kontakt mit einer Psychoonkologin resp. einem Psychoonkologen.
Survivorship und Rehabilitation:
- 27 Prozent der Patient*innen haben Angebote der Rehabilitation und Reintegration genutzt.
Lebensqualität schlechter als bei der Gesamtbevölkerung
Nicht überraschend, schätzen die 235 Krebspatient*innen aus der Zentralschweiz ihre Lebensqualität deutlich schlechter ein als die schweizerische Gesamtbevölkerung. Im Jahr 2017 haben 91,7 Prozent der Stichprobe der schweizerischen Gesundheitsbefragung ihre Lebensqualität als «gut» bis «sehr gut» bezeichnet. Im Vergleich dazu sind es in der vorliegenden Stichprobe der Studie der Hochschule Luzern nur 73,1 Prozent.
Es zeigt sich gemäss dem von der Hochschule Luzern entwickelten statistischen Modell, dass die unterschiedliche Einschätzung der eigenen Lebensqualität zu 5% durch behandlungsbezogene, zu 11% durch personenbezogene und zu 31% durch krankheitsbezogene und damit indirekt durch das Versorgungssystem beeinflussbare Faktoren erklärt werden kann.
Betroffene möchten persönlich und ganzheitlich betreut werden
Laut den befragten Personen wird die Lebensqualität während der Krebsdiagnose und -behandlung stark davon beeinflusst, ob sie in dieser schwierigen Zeit eine positive Lebenseinstellung bewahren können. Dafür ist die Unterstützung durch das soziale Umfeld besonders wichtig. Ebenfalls entscheidend ist die persönliche, empathische und professionelle Betreuung durch Fachpersonen. Gerade auch die Übergänge zwischen den Behandlungsphasen und die Kommunikation zwischen den Leistungserbringern ist zentral. Wenn der interdisziplinär vernetzte und koordinierte Umgang mit der Krankheit oder der frühzeitige Einbezug der sozialen und beruflichen Lebensumstände fehlt, scheint sich das negativ auf die wahrgenommene Qualität der Behandlung und den Genesungsverlauf auszuwirken.
Vertiefter Dialog mit Betroffenen und Fachpersonen geplant
Gemeinsam mit der Begleitgruppe wird das HSLU-Forschungsteam die Umfrageergebnisse vertieft auswerten, um mögliche Massnahmen zur Verbesserung der Zentralschweizer Krebsversorgung zu entwickeln. Die Ergebnisse werden – sobald das wieder möglich ist – an Dialogveranstaltungen mit Betroffenen, Angehörigen und Fachleuten diskutiert. Daraus sollen konkrete Handlungsempfehlungen für Organisationen und Fachpersonen, die am Behandlungsprozess von Krebspatientinnen und Krebspatienten beteiligt sind, abgeleitet werden.
Die weiteren Projektschritte werden auf dieser Seite laufend ergänzt. Falls Sie aktiv informiert werden wollen, senden Sie bitte ein E-Mail an oliver.kessler@hslu.ch.
Weitere Informationen zum Projekt und einen Projektbeschrieb finden Sie hier.