Die Hochschule Luzern bietet ab 2024 einen neuen MAS Netto-Null in Unternehmen an. Warum braucht es diese Weiterbildung?
Bratrich: Die Faktenlage ist klar: Die Schweiz und die Welt sind heute schon stark vom Klimawandel betroffen. Um unsere Klimaziele zu erreichen, müssen wir auch in der Schweiz bis 2050 Netto-Null-Emissionen aufweisen. Das heisst: Wir haben eine riesige gesellschaftliche Aufgabe anzupacken, in der die Wirtschaft eine zentrale Rolle spielt. Unternehmen in allen Branchen sind betroffen und haben die Aufgabe, einen Netto-Null-Fahrplan zu erstellen. Wir unterstützen kleine und mittlere Firmen dabei, intern die nötige Kompetenz aufzubauen, um wirkungsvolle Massnahmen umsetzen zu können.
Zemp: Während sich grosse Unternehmen und Konzerne schon länger mit Netto-Null befassen, wissen KMUs oft nicht, wie sie das Thema angehen sollen. Es fehlen Spezialistinnen und Spezialisten, die sich dem Netto-Null-Ziel im Unternehmen annehmen können. Diese möchten wir im MAS ausbilden.
Was ist der Mehrwert für Teilnehmende und was ist der Mehrwert für Unternehmen, deren Mitarbeitende den MAS besuchen?
Bratrich: Das Unternehmen baut intern wertvolles Wissen und wichtige Kompetenzen auf. Zudem erarbeiten die Teilnehmenden mit ihrer Masterarbeit einen individuell auf das Unternehmen zugeschnittenen Netto-Null-Fahrplan.
Zemp: Dies unterscheidet den MAS von anderen Weiterbildungen. Da die Masterarbeit gezielt auf die Problemstellung Netto-Null für ein bestimmtes Unternehmen ausgerichtet ist, liefert dieser MAS einen sehr konkreten Output, der danach Schritt für Schritt umgesetzt werden kann. Für die Teilnehmenden ist der Mehrwert, dass sie ein extrem breites Wissen vermittelt bekommen: Von naturwissenschaftlichen Grundlagen, Innovation und betriebswirtschaftlichem Nutzen bis hin zu Leadership-Kompetenzen und Change Management.
Bratrich: Einen ganz wichtigen Mehrwert für die Teilnehmenden sehe ich auch im persönlichen Netzwerk, das sie während ihrer Weiterbildung aufbauen. Sie kommen aus verschiedenen Branchen und können viel voneinander lernen. Dazu kommen die Begegnungen mit Fachexpertinnen und Fachexperten aus der Praxis. Als Dozierende, Praxispartner oder Key-Note-Speaker werden diese das Lehrangebot bereichern und den Teilnehmenden für zukünftige Fragen zur Verfügung stehen.
An wen richtet sich das Angebot?
Bratrich: Wir sprechen verschiedene Berufsgruppen an: Personen mit technischem Hintergrund wie Nachhaltigkeits-, Energie- oder Umweltverantwortliche, Personen aus dem Management oder Verantwortliche für Organisations- und Unternehmensentwicklung. Insbesondere werden Menschen mit mehrjähriger Berufspraxis und Linienverantwortung profitieren. Sie müssen nicht jede technische Analyse selbst durchführen können – sondern die «grossen Baustellen» im Unternehmen erkennen, den Gesamtprozess führen und sich auf neue Gebiete einlassen. Jemand aus der Finanzbranche muss bereit sein zu verstehen, wie ein thermisches Netz funktioniert. Und ein Techniker muss Interesse zeigen, wie Veränderung und Kulturwandel im Unternehmen passieren. Auch selbstständig tätige Personen können von dieser Ausbildung profitieren und sich als Netto-Null-Berater:in qualifizieren.
Zemp: Die Eingangskompetenzen können dabei ganz unterschiedlich sein: Personen mit Management-Background lernen technische und wissenschaftliche Grundlagen, Personen mit technischer Ausbildung haben vielleicht noch keine Management-Erfahrung und erweitern ihre Kompetenzen im Leadership-Programm. Ich bin überzeugt, über die zwei Jahre wird eine «Ausnivellierung» stattfinden – insbesondere auch durch den gegenseitigen Austausch. Nach Abschluss des MAS sind die Teilnehmenden Spezialistinnen und Spezialisten, die wirklich fähig sind, in ihrer Organisation das Thema kompetent zu führen.
Wie ist das Dozierendenteam aufgebaut und warum?
Bratrich: Einerseits hat die Hochschule Luzern ein breites Spektrum an Expertisen, andererseits unterrichten viele Expert:innen aus der Praxis.
Markus ist Nachhaltigkeitsexperte an unserem Departement Wirtschaft und verantwortlich für den Teil, in dem es um Unternehmenskultur und Change Management geht. Technisches Fachwissen werden unsere Experten unterrichten, die seit Jahren im Bereich der Dekarbonisierung forschen, arbeiten und die Praxis beraten – sei es zur Optimierung von Heiz- und Energiesystemen, bei der Sanierung von Gebäuden, im Mobilitätsbereich oder bei der Nutzung erneuerbarer Energien. Unsere Informatik- und Design-Spezialistinnen wissen, welche Rolle ICT oder Produktdesign auf dem Weg zu Netto-Null spielen können. Die Kolleginnen der Sozialen Arbeit verstehen und begleiten Partizipationsprozesse, die für die Akzeptanz und Umsetzung von Massnahmen wichtig sind. Selbst im Leadership-Modul lernen die Teilnehmenden von einem gemischten Team. Dazu kombinieren wir klassische Führungsansätze mit wertvollen Inputs aus der Musik, um den Teilnehmenden beispielsweise zu zeigen, wie sie ihre mentale Stärke oder ihre Auftrittskompetenz verbessern.
Weshalb ist diese fachliche Vielfalt so wichtig?
Bratrich: Es war uns von Anfang an wichtig, die gesamte, notwendige Expertise miteinzubeziehen. Eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderung dieser Grösse meistert man nicht mit einer mathematischen Formel oder einem einfachen Management-Konzept. Vielmehr braucht es die ganze fachliche Breite. Der «richtige» Netto-Null-Weg ist für jedes Unternehmen ein anderer, individueller Weg. Zudem führt Verstehen allein noch nicht selbstverständlich auch zum Handeln. Es ist uns wichtig, dass die Teilnehmenden den ganzen Netto-Null-Prozess kompetent begleiten können: von der Analyse bis zur Umsetzung. Deshalb ist das der erste MAS der HSLU, der alle Departemente einschliesst.
Zemp: Weiter unterrichten renommierte Expert:innen aus der Praxis, die ihre Alltagserfahrung einbringen und den Teilnehmenden mit Rat und Tat zur Seite stehen. Anhand von konkreten Beispielen aus unterschiedlichen Betrieben lernen die Teilnehmenden: Was hat funktioniert? Und was eben nicht? Und wie ist man dann weitergegangen? In dieser Kombination mit Expertenpool und Fallbeispielen aus der Praxis sind wir optimal aufgestellt.
Welche Unterrichtsformen kommen zum Einsatz? Online-Unterricht, Exkursionen, spannende Locations...?
Zemp: Wenn das Ziel Netto-Null erreicht werden soll, müssen sich Unternehmen von bestehenden Mustern lösen. Das wollen wir auch in der Didaktik widerspiegeln. Es werden deshalb vielfältige didaktische Methoden eingesetzt: Klassische Vorlesungen oder Praxisreferate wechseln sich ab mit Übungen, Exkursionen oder Lern-Tandems. In Simulationen aus der Praxis, spielen wir echte Fälle nach. Dabei findet der Unterricht meistens in Präsenz auf dem Campus statt. Es gibt aber auch Online-Sessions oder Unterricht bei einer Firma vor Ort. Es ist ein bunter Mix. Damit wollen wir die Teilnehmenden bei der Suche eines Wegs, der sehr individuell auf die Organisation zugeschnitten ist, möglichst breit unterstützen.
Bratrich: Und ganz wichtig: In jedem Modul gibt es als Abschluss eine Transfer-Aufgabe in den eigenen Betrieb. So kommt das Gelernte direkt zur praktischen Anwendung und der Betrieb erhält einen unmittelbaren Mehrwert.
Wie gefragt sind Absolventinnen und Absolventen auf dem Arbeitsmarkt?
Bratrich: Aus vielen Gesprächen mit Unternehmen geht klar hervor: Diese Expert:innen sind sehr gefragt. Nicht nur in KMUs, sondern auch in Nachhaltigkeitsbüros oder Beratungsfirmen fehlen Fachpersonen.
Zemp: Beratungsfirmen im Bereich Nachhaltigkeit verzeichnen eine starke Nachfrage. Es fehlen aber vor allem die Fachpersonen in den Unternehmen selbst. Ich bin überzeugt, Firmen sind erfolgreicher, wenn sie sich die Expertise intern aufbauen und das Thema nicht nach extern «delegieren». Dafür müssen sie ihre Mitarbeitenden im Bereich Netto-Null gezielt ausbilden. Die Absolventen des MAS können diese Know-how-Lücke füllen.
Im Januar 2024 geht es los: Auf was freuen Sie sich am meisten im Hinblick auf die Programmleitung?
Zemp: Ich freue mich besonders auf die Vielfalt der Teilnehmenden mit den unterschiedlichsten Rucksäcken. Aus Erfahrung mit dem CAS Sustainable Management erwarte ich Menschen mit einer sehr positiven Grundhaltung, die lernhungrig und hochmotiviert sind, einen wichtigen Beitrag für eine nachhaltigen Zukunft zu leisten. Eine mega spannende Dynamik!
Bratrich: Ich freue mich auf ein grosses Netzwerk von interessanten Firmen und Menschen, die alle einen positiven Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen – dies ist meine Grundmotivation. Ich bin überzeugt, mit diesem MAS können wir wirklich etwas bewegen. Wenn Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Innovation Hand in Hand gehen, sind wir auf dem richtigen Weg. Es wird enorm wertvolle Begegnungen geben.
Vielen Dank und viel Erfolg mit dem MAS!
Prof. Dr. Christine Bratrich ist Co-Programmleiterin im MAS Netto-Null in Unternehmen, Vizedirektorin und Leiterin der Weiterbildung an der Hochschule Luzern – Technik & Architektur. Als Dozentin unterrichtet sie Nachhaltigkeit in interdisziplinären Ausbildungsprogrammen.
Prof. Dr. Markus Zemp ist Co-Programmleiter im MAS Netto-Null in Unternehmen, Dozent und Projektleiter am Institut für Betriebs- und Regionalökonomie (IBR) der Hochschule Luzern – Wirtschaft. Er unterrichtet Leadership, Strategisches Management, Change-Management und Nachhaltige Unternehmensführung.