Smart, aber kaum nachhaltig
«Keine Strassen, dafür ausgeklügelte Röhrensysteme: So sieht die Stadt der Zukunft aus», dies war der Titel eines Artikels über zwei neue sogenannte Smart-Citys im St.Galler Tagblatt vom 27. Februar 2021. Der Artikel beschäftigt sich fundiert mit bestehenden Grossprojekten für stark technisierte, CO2-freie Städte der Zukunft – Planstädte, die von Grund auf neu gebaut werden.
Die durchgeplante Stadt ist kein neues Phänomen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Beispiel wurde 50 Kilometer nördlich von London die erste Gartenstadt, Letchworth Garden City, gebaut. Doch selbst hier, wo eigentlich der Mensch ins Zentrum gestellt werden sollte, zeigte sich: Letztlich geht es bei Planstädten immer um eine Effizienzsteigerung städtischer Strukturen, die fast ausschliesslich auf technologischen Fortschritt ausgerichtet ist.
Heute wird für die aktuellen Modelle die CO2-Neutralität mit immensem Aufwand im Bereich der städtischen Infrastrukturen gesucht – keine Autos mehr, dafür unterirdische Hochgeschwindigkeitszüge in Röhren, wird da zum Beispiel als Lösung angeboten. Der Haken: Selbst wenn der Betrieb möglicherweise CO2-neutral sein wird, so bedeutet die Erstellung der Röhrensysteme für Transport und Versorgung einen riesigen, energieintensiven baulichen Aufwand. Auch bleiben die daraus resultierenden hochspezifischen technischen Lösungen schwer adaptierbar.
Weiter besteht ein Problem radikaler Ansätze in der Tendenz, das Kind mit dem Bade auszuschütten: Man kann das Auto mit gutem Grund als ein gewichtiges Übel der heutigen Zivilisation sehen. Die Strasse aber hat sich als öffentlicher Raum vor allem im Siedlungsgebiet durchaus bewährt. Sie weist, entgegen der Röhre, die Flexibilität der Nutzung auf, die die Qualität einer Stadt, eines Dorfes ausmachen – solange es nicht die einzige Aufgabe der Strasse ist, den Automobilverkehr möglichst effizient durch den Ort zu schleusen.
Dieses Dilemma zwischen auto- und menschengerechten Strassen lösen die neuen Stadtmodelle nicht. Sie lenken deshalb grundlegende Fragen bezüglich heutiger Siedlungsentwicklung in eine falsche Richtung. In bester postindustrieller Mentalität definieren sie weiterhin die Effizienz als oberste Prämisse. Dem stünde ein Suffizienz-Verständnis gegenüber – vor ein paar Jahren noch ein vieldiskutiertes Wort, das zwar schnell wieder verdrängt wurde, über das nachzudenken sich trotzdem lohnt. Wolfgang Sachs, einer der Väter des Suffizienzsbegriffs, nennt dazu die vier Begriffe Entschleunigung, Entflechtung, Entkommerzialisierung und Entrümpelung. Auch wenn man ihnen nicht in allen Belangen kritiklos gegenüberstehen sollte, so sind sie in Bezug auf den Umgang mit unseren Städten doch zentral, denn Städte und Dörfer sind eben nicht leblose Objekte, deren Effizienz ungestraft immer weiter gesteigert werden kann, sondern Prozesse, deren physische Form einer permanenten Veränderung unterworfen ist.
Bewohnerinnen und Bewohner eignen sie sich immer neu an, die Anforderungen an unseren Lebensraum verändern sich ständig. Als kurzweilige und kurze Lektüre zum Bauen der Stadt der Zukunft empfiehlt sich die von den Basler Architektinnen und Architekten der Gruppe «countdown 2030» zusammengestellte kompakte Dokumentation «Hebel». Darin sind einfach und verständlich die Grundsätze für ein zukunftsfähiges Bauen und auch für zukunftsfähige Städte zusammengestellt, die diesem Suffizienzgedanken folgen. Und es wäre schön, wenn dieses Thema, trotz seiner hohen Komplexität, einen festen Platz in der Tagespresse finden könnte, denn der Wunsch nach einem lebenswerten Lebensraum ist ein Anliegen von uns allen, und darum eigentlich Pflichtteil des öffentlichen Diskurses.