Die Zeit für Vorsätze ist abgelaufen
Eigentlich wie immer: Das Jahr ist um, die Zeit für Vorsätze gekommen. Irritierend allerdings: Dieses Jahr richten sich die Vorsätze nicht nach vorne, sondern rückwärts: Wir wollen «Zurück zur Normalität». Zugegeben, die Covid-19-Pandemie hat in der Tat unseren Alltag gehörig verändert. Aber Rettung naht: Ein kleiner Pieks mit dem neuen Impfstoff, dem Virus geht es an den Kragen und die gewohnte Normalität wird wieder zum Alltag. In ihrem Schlepptau: Ungebremstes Wachstum, ungezügelter Konsum und weiterhin Ausbeutung der Ressource Erde auf Kosten weniger privilegierter Erdbewohner und künftiger Generationen. Ist das die Normalität, die wir anstreben? Persönlich hoffe ich, dass diesem Vorsatz das gleiche Schicksal zu Teil wird, wie vielen seiner Artgenossen zuvor: vergessen zu werden.
Trotz allen Herausforderungen, Leid und Verzicht hat das vergangene Jahr wichtige Weichen für die Zukunft gestellt. Es liegt an uns, diese Erkenntnisse für die Behebung der anderen, weit gefährlicheren und umfassenderen Gesundheitskrise, dem Klimawandel, zu nutzen. Dies gilt auch für die Entwicklung unserer Städte. Die «Virokratie» in Coronazeiten zeigt uns, dass Menschen bereit sind, sich anzupassen und solidarisch zu verhalten, wenn die Argumente schlüssig sind und die Einhaltung dieser Regeln auch gesellschaftspolitisch abgesichert ist.
Jedoch dürfen wir uns nicht täuschen lassen. Im Unterschied zu Corona ist der Verursacher ein wesentlich komplexerer Sachverhalt, nämlich unsere eigene Lebensgestaltung und Anspruchshaltung. Das Handling der Klimakrise ist also nicht nur eine medizinisch-technische, sondern eine kulturelle Angelegenheit. Ihre Herausforderung liegt in der Transformation hin zu einer postfossilen Zukunft. Die Überwindung der fossil getriebenen Wachstumsgesellschaft ist in engem Zusammenhang mit den anderen grossen Entwicklungen wie Migration, soziale Ungleichheit oder Arbeitsplatzverlagerung durch die Entwicklung von künstlicher Intelligenz zu sehen. Sie betrifft alle unsere Lebensbereiche wie Versorgung, Arbeit, Wohnen, Mobilität und Freizeitgestaltung. Ziel ist eine Welt, die im Einklang mit den Ressourcen unseres Planeten steht und auch künftigen Generationen Heimat und Handlungsmöglichkeiten bieten soll.
Die Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie bieten Chancen, in Richtung «Postfossil» Erfahrungen zu sammeln. Viele Dinge, die wir jetzt erproben, können Modelle für die Zukunft sein und beibehalten werden. Wieso also ein Zurück, wenn es doch ein richtiger Schritt in die Zukunft sein könnte? Ich denke da etwa an die Unterstützung durch Nachbarschaftsinitiativen, Reduzierung der Pendlerströme durch Homeoffice oder die Stärkung des Regionalen. Auch die enge faktenbasierte und ideologiefreie Zusammenarbeit von Politik und Wissenschaft bewährt sich.
Dass Geld offensichtlich nicht das Problem ist, zeigen uns die laufend gesprochenen Milliardenbeträge zur Abfederung der Folgen der Pandemie. Denn machen wir uns nichts vor: Ohne staatliche Anreizsysteme wird sich die Wirtschaft nicht überzeugen lassen, die Transformation einzuleiten. Dies, obschon die Wirtschaft von der Transformation profitiert: Alleine schon der Umbau in eine postfossile Stadt löst ein gewaltiges Impulsprogramm aus, sei es die Umstellung von Versorgungsinfrastrukturen auf postfossil oder Umbau und Gestaltung unserer Strassen und Plätze, die bei den erwarteten starken Wetterereignissen Wasser aufnehmen, speichern und bei Dürre wieder abgegeben können. Ein Mobilitätskonzept, das den individualisierten motorisierten Verkehr überflüssig macht. Co-Working-Spaces in den Quartieren, multifunktionale Gebäude. Durchmischte und belebte Innenstädte, die trotz Onlinehandel überleben können.
Vieles ist dabei noch unklar. Wir wissen nur eines: Die Klimaerwärmung schreitet stetig voran, der CO2-Ausstoss steigt trotz Corona weiter. Die Zeit für Vorsätze ist abgelaufen. Handeln ist angesagt. Die einzige Impfung, die gegen den Klimawandel wirklich hilft, ist der gelungene Umbau in eine postfossile Zukunft. Nebenwirkungen wie eine Stadt der kurzen Wege, Stärkung des Gemeinwohls und Fahrradgebimmel und spielende Kinder auf unseren Strassen sind garantiert und werden gerne in Kauf genommen.