Stadtentwicklung: Status quo als verpasste Chance
Die Menschheit erscheint krisenerprobt. Erstaunlich wie schnell wir uns an die Massnahmen im Zuge der Covid-19-Pandemie gewöhnt haben und jetzt, nach Beendigung des Lockdowns, den Schalter möglichst schnell auf Normalbetrieb umlegen wollen. Als wäre die Covid-19-Pandemie nur eine kurze Episode, von der man später seinen Enkelkindern erzählen kann. Aber sicher nicht ein Anlass, um den bisherigen Lebensalltag zu reflektieren oder gar zu verändern. Getreu dem Motto: «Das erste Opfer der Krise war das langfristige Denken.» Ein schnelles Zurück zum Status quo ist jedoch eine verpasste Chance. Leugnet es doch den dringenden Handlungsbedarf für den Umbau hin zu einer postfossilen Gesellschaft.
Das Klima erwärmt sich unvermindert, die soziale Ungerechtigkeit in der Welt wird dadurch noch weiter zunehmen. Neben Kriegen und Unruhen kommen nun noch vermehrt klimatische Bedingungen wie Dürre und Überschwemmungen hinzu, die für immer mehr Menschen ein würdevolles Leben in der Heimat verunmöglichen.
Vergessen wir nicht: Die Coronakrise wie auch der Klimawandel sind beides zu lösende «Menschheitsaufgaben». Sie gefährden unseren Lebensalltag und geben Hinweise auf die Verletzlichkeit unserer Systeme. Trotz aller Unterschiede dieser beiden globalen Krisen gibt es doch viele Parallelen. Beides sind globale, nur schwer fassbare Bedrohungen, bei beiden geht es um die Gesundheit und eine intakte Umwelt als öffentliches Gut. Massnahmen, Strategien und Prozesse, die im Zuge der Coronabekämpfung verordnet und erprobt werden, liefern wichtige Denkanstösse und Erfahrungen für die Gestaltung einer künftig postfossilen Welt und einer klimagerechten Stadt.
Angefangen von Frischluftschneisen und Grünzonen, über Wohnungen, die vielfältig genutzt werden können, bis hin zu Quartieren, die ein nachbarschaftliches Handeln fördern. Wir können uns dem klimagerechten Umbau der Stadt nicht entziehen, denn es geht um Leben und Tod. Laut einer Studie der Universität Bern sterben in einer Hitzenacht in Paris 200 Menschen. Zahlen, die selbst bei Corona nicht erreicht wurden und die uns Planenden in die Verantwortung nehmen. Solidarisches Handeln ist angesagt.
Solidarität ist zurzeit ein häufig gebrauchtes und strapaziertes Wort und ihre Prämissen sind weitgehend unklar. Denn nicht nur Risikogruppen, Ladenbesitzer und Künstlerinnen erfahren Solidarität, nein es fliessen viele finanzielle Mittel in die Unterstützung von kränkelnden Branchen, die wenig Bereitschaft erkennen lassen, ihren Beitrag zum Schutz des Klimas zu leisten. Solidarität stösst hier an ihre Grenzen. So kann es meiner Meinung nach nicht sein, dass der deutsche Staat mit 9 Milliarden die Lufthansa unterstützt, aber kein Mitspracherecht haben soll. Was wäre, wenn Unterstützungsleistungen, analog dem kanadischen Modell, mit direkten Forderungen zur postfossilen Transformation verknüpft sind? Dann wäre die Solidarität eine echte Investition in die Zukunft. Die Solidaritätsbereitschaft der Gesellschaft und der Politik gilt es zu nutzen.
Die Zeit ist gekommen, den Schalter auf «vorwärts» und nicht auf «zurück» zu stellen. Aber ich höre sie schon wieder: Die Klimaleugner, die alle Zahlen der Wissenschaft in Frage stellen und sich über die Klimajugend lustig machen. Die immer noch nicht begriffen haben, dass es kein Zurück auf dem Weg hin zu einer postfossilen Gesellschaft gibt. Das ist die wahre Risikogruppe, weil sie notwendige Entwicklungen behindert und künftige Generationen ihrer Zukunft beraubt. Solidarisch handeln heisst, den künftigen Generationen die Zukunft offenzuhalten. Wer jedoch das Rad der Geschichte zurückdrehen will, wird selbst unter die Räder kommen. Oder um mit den Worten von Charles Darwin zu sprechen: Es sind weder die Stärksten der Art, die überleben, noch die Intelligentesten, sondern die, die sich am besten auf Veränderung einstellen.