Ein Auslandspraktikum ist eine einmalige Gelegenheit, nicht nur berufliche Fähigkeiten zu erweitern, sondern auch persönlich zu wachsen und die eigene Perspektive zu verändern. So war es auch für Eveline Moor, die sich für ein Field Practice in Frankreich entschied, genauer gesagt in Aix-en-Provence. In einem soziokulturellen Zentrum, das Ferienangebote für Kinder organisiert, konnte sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen aus der Sozialpädagogik mit der Perspektive der Soziokultur erweitern. Eveline Moor berichtet.
Erste Schritte und ein überraschender Anruf
Der Weg zu meinem Praktikum zeigte sich zuerst steinig. Bereits im Bewerbungsprozess merkte ich, dass anders vorgegangen wird, als ich es gewohnt bin. Schliesslich hatte ich bei einem Zentrum Glück und es wurde überraschend unkompliziert. Ich hatte das Zentrum angerufen und gefragt, ob sie Praktikant:innen suchen – die Antwort war sofort positiv: „Ja, wir brauchen immer Leute!“ Das war der Beginn einer aufregenden Reise, auf die ich mich mit gemischten Gefühlen einliess. Ich war gespannt auf das, was mich erwartete, wusste aber auch, dass es eine grosse Chance sein würde, mich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln.
Kulturelle Unterschiede: Ein spannender Lernprozess
Obwohl Frankreich unser Nachbarland ist, gab es doch viele kulturelle Unterschiede, die mich überraschten. Besonders auffällig waren das Temperament und Emotionalität der Menschen. In den Teamsitzungen ging es oft lebendig und chaotisch zu – alle sprachen gleichzeitig, es wurde viel gelacht, und manchmal hatte ich das Gefühl, dass niemand wirklich zuhören konnte. Für jemanden wie mich, die es gewohnt ist, in geordneten und strukturierten Umfeldern zu arbeiten, war das eine echte Herausforderung. Doch gleichzeitig merkte ich, wie viel Energie und Lebendigkeit diese Art der Kommunikation mit sich brachte.
Mit der Zeit wurde ich gelassener und konnte mich besser anpassen. Ich lernte, dass es nicht immer eine detaillierte Planung braucht, um Dinge zum Laufen zu bringen. Und obwohl die Organisation manchmal chaotisch erschien, war ich zuversichtlich, dass alles doch irgendwie klappen würde. Es war eine wertvolle Erfahrung, die mich in meiner eigenen Arbeitsweise verändert hat. Ich wurde flexibler und offener für unvorhergesehene Situationen.
Sprachliche Herausforderungen und persönliche Erkenntnis
Ein wichtiger Aspekt meines Praktikums war, meine Französischkenntnisse anzuwenden. Zu Beginn hatte ich noch Sprachhemmungen, was mich noch verunsicherte. Doch im Laufe der Zeit verlor ich diese Hemmungen, weil ich erkannt habe, dass ich mich in keinem Sprachkurs auf diese Erfahrung hätte vorbereiten können. Es war eine wertvolle Erfahrung, in einer Umgebung zu arbeiten, in der ich nicht perfekt in der Sprache war. Ich konnte mich besser in die Lage der Kinder und Teilnehmer:innen hineinversetzen, die oft in einer ähnlichen Situation sind, wenn sie bei uns eine Fremdsprache lernen oder aufgrund Entwicklungsverzögerungen oder Beeinträchtigungen Schwierigkeiten haben, sich sprachlich auszudrücken.
Die Sprachbarriere zu überwinden, war nicht nur wichtig für die Kommunikation mit den Kindern, sondern auch für meine persönliche Entwicklung. Ich lernte, geduldiger mit mir selbst zu sein und mehr Empathie für andere zu entwickeln. Ich war plötzlich auf der anderen Seite – diejenige, die sich in einer neuen Umgebung zurechtfinden musste. Diese Erfahrung hat mir viel über das Gefühl beigebracht, „fremd“ zu sein, und das hat meinen Blick auf die soziale Arbeit und meine Haltung dazu verändert.
Kreativität und Partizipation in der Arbeit mit Kindern
Was ich besonders schätzte, war die kreative Freiheit, die mir im soziokulturellen Zentrum eingeräumt wurde. Es war neu für mich, keine klaren Anforderungen erfüllen zu müssen, sondern ermutigt zu werden nach der Frage zu suchen, was ich einbringen möchte. Ich durfte viel mit den Kindern ausprobieren, hatte Spielräume für eigene Ideen und konnte mich aktiv in die Ferienangebote einbringen. Besonders wichtig war für mich das Prinzip der Partizipation: Die Kinder sollten die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, was sie tun wollen, was sie organisieren und planen möchten. Diese Haltung ist für mich als Sozialpädagogin sehr bedeutend, da sie dem Empowerment-Konzept entspricht – den Kindern nicht nur zuzuhören, sondern sie aktiv in die Gestaltung ihres Umfeldes einzubeziehen.
Es war faszinierend zu sehen, wie einerseits die Mitarbeitenden und andererseits die Kinder ohne strenge Struktur durchaus in der Lage sind, sich zu organisieren und kreativ zu werden. Weniger Struktur, mehr Eigeninitiative – das war der Grundsatz, der mich beeindruckte. Ich merkte, dass es nicht immer notwendig ist, alles genau vorzugeben. Die Kinder konnten sich sehr gut selbstständig aktivieren, wenn sie die Gelegenheit dazu bekamen und die Animator:innen weckten Begeisterung, wenn sie ihre Leidenschaften vermittelten.
Neue Verbindungen und persönliche Entwicklung
Ein besonders schöner Moment meines Praktikums war mein letzter Arbeitstag. Die Kinder verabschiedeten sich herzlich von mir, und ich konnte die positiven Verbindungen spüren, die in der kurzen Zeit zwischen uns gewachsen waren. Es war eine Bestätigung, dass auch in einem kurzen Zeitraum Beziehungen entstehen können, wenn man sich auf die Menschen einlässt und mit ihnen auf Augenhöhe kommuniziert.
Ein weiterer wichtiger Aspekt meines Praktikums war, in einer WG zu wohnen. Dies half mir wesentlich dabei, mich in der neuen Stadt zu orientieren, Kontakte zu knüpfen, meinen Alltag zu organisieren und mein eigenes Netzwerk aufzubauen. Ich habe darin ein weiteres Zuhause gefunden.
Tipps für zukünftige Field Practice Studierende
Für alle, die sich für ein Auslandspraktikum im sozialen Bereich entscheiden, möchte ich folgende Tipps mit auf den Weg geben:
- Sei dir bewusst, was du willst: Überlege dir im Vorfeld, warum du das Praktikum machst und was du dir davon versprichst. Was sind deine Ziele, und was erhoffst du dir von der Erfahrung?
- Selbstorganisation ist wichtig: Du wirst viele neue Eindrücke sammeln und dich selbst organisieren müssen. Überlege dir, wie du deinen Tag strukturierst und wie du mit Einsamkeit oder Unsicherheiten umgehst.
- Durchbeissen: Es lohnt sich, die organisatorischen Anstrengungen und die Hürden der Stellensuche im Ausland auf sich zu nehmen. Die einmalige Erfahrung ist es wert!
- Sei offen für Neues: Du wirst in einer anderen Kultur arbeiten, also sei flexibel und bereit, neue Ansätze und Arbeitsweisen kennenzulernen.
Mein Auslandspraktikum in Aix-en-Provence war für mich eine unglaublich wertvolle Erfahrung, sowohl beruflich als auch persönlich. Ich habe viel über mich selbst, die Arbeit mit Kindern und die Bedeutung von Partizipation und Empowerment gelernt. Es hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, die Perspektiven von anderen zu verstehen und sich auf neue Herausforderungen einzulassen.