Aufzeichnung: Eva Schümperli-Keller
«Der erste Eindruck eines Gefängnisses bedrückt: Überall sind Zäune und Gitter. Ich darf nichts mitnehmen und muss sogar den Ausweis abgeben. Dann geht es durch Detektoren in den Besuchsraum. Meine Einsätze im Gefängnis zeigen mir auf, was Freiheit bedeutet: Nach dem Besuch kann ich gehen; die Person, der ich eben noch gegenübergesessen bin, muss bleiben. Seit 2017 besuche ich als Freiwillige der Organisation Solinetz Menschen in Ausschaffungshaft. Zusätzlich habe ich die Leitung der Gefängnisbesuchsgruppe übernommen, wobei ich Gespräche mit Freiwilligen führe, die sich bei uns engagieren möchten, die monatliche Austauschsitzung aller Ehrenamtlichen organisiere und den Kontakt zur Gefängnisleitung halte.
Im Ausschaffungsgefängnis sitzen Menschen, die keine Chance mehr darauf haben, in der Schweiz bleiben zu dürfen. Sie sind in einer Ausnahmesituation; die lange Dauer in Haft – bis zu 18 Monate – und die unsichere Zukunft zermürben. Die Gefangenen melden sich selber für unseren Besuchsdienst an. Wir berücksichtigen vor allem jene, die keine Besuche von Familie oder Freundinnen und Freunden erhalten, und sind für sie da, um die Isolation zu durchbrechen und zuzuhören. Wir reden, weinen und lachen mit ihnen; es entsteht eine gegenseitige Beziehung.
Die Menschen in der Ausschaffung verstehen oft nicht, warum sie im Gefängnis sein müssen. Sie haben keine Straftat begangen, sondern waren auf der Suche nach einem besseren Leben. Einige zerbrechen an dieser Situation. Es kommt auch vor, dass sie die Emotionen gegen mich richten. Dann signalisiere ich Verständnis, setze aber auch Grenzen und gestatte ihnen etwa nicht, mich anzuschreien. Generell sind die Menschen aber dankbar, wenn wir mit unseren Besuchen die Monotonie des Gefängnisalltags durchbrechen. Viele möchten mehr darüber erfahren, was draussen in der Welt läuft, oder ein wenig Deutsch lernen. Einige fassen mit der Zeit Vertrauen und erzählen aus ihrem Leben und von ihrer Flucht. Es sind tragische Schicksale darunter. Andere fragen mich über meinen Alltag aus oder verraten mir Rezepte aus ihrer Heimat. Trotzdem bin ich im Gefängnis keine Privatperson: Ich gehe als Freiwillige und lasse mich bewusst auf diese Rolle ein. Diese Unterscheidung ist wichtig. Ich muss mich abgrenzen und die Emotionen im Gefängnis lassen. Der Austausch mit den anderen Freiwilligen und die Entspannung beim Sport oder Kochen helfen dabei.
Nähe und Distanz sind auch im Studium immer wieder ein Thema. Das ist sehr wertvoll, ebenso wie die erlernten Beratungskompetenzen oder das Hintergrundwissen zu rechtlichen Fragen rund um Flucht und Migration. Ich wollte schon immer einen Beruf, in dem ich mit Menschen zu tun habe. Ich habe eine Ausbildung als Fachangestellte Gesundheit und die Berufsmatura gemacht und bei der Spitex gearbeitet. Der Pflegeberuf hat mir zwar gut gefallen, doch am schönsten fand ich dabei den Aspekt der Begleitung und Beratung. Der kam leider aber aus Zeitmangel oft zu kurz, da die Pflege im Fokus stand. Da ich bereits wusste, dass ich Sozialarbeit studieren wollte, besuchte ich auf Anraten zweier Freundinnen eine Info-Veranstaltung der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Es sagte mir sehr zu, dass die drei Studienrichtungen an der Hochschule Luzern klar getrennt sind. Ich habe Vollzeit studiert und daneben beim Verein prointegration gearbeitet, wo es um die berufliche Integration von Flüchtlingen geht. Dort werde ich auch weiter tätig sein.
Meine Bachelor-Arbeit habe ich zur Diskriminierung von geflüchteten Frauen auf dem Arbeitsmarkt geschrieben. Für sie ist die Stellensuche besonders schwierig, da die Intersektionalität mitspielt, also die Überschneidung diverser Diskriminierungskategorien.
Mein freiwilliges Engagement erlebe ich als sinnstiftend und erfüllend. Während des Lockdowns diesen Frühling durfte ich keine Besuche machen und habe diese sicher fast genauso vermisst wie die Gefangenen. Deshalb werde ich auch das weiterführen.
Diese Aussage eines Flüchtlings hat mich sehr berührt: ‹Obwohl es in Europa Menschenrechte gibt, lässt man uns Geflüchtete sommers wie winters draussen und lässt uns sterben. Mit Tieren macht man das nicht.› Wenn ich mit meinen Besuchen einen kleinen menschlichen Kontrapunkt setzen kann, ist es die Mühe mehr als wert.»
Bachelor in Sozialer Arbeit, Studienrichtung Sozialarbeit
Das Bachelor-Studium vermittelt das Basiswissen für alle Bereiche der Sozialen Arbeit und fokussiert dann auf die drei Studienrichtungen Sozialarbeit, Soziokultur und Sozialpädagogik. Sozialarbeitende unterstützen Menschen darin, ihr Leben zu bewältigen und selber zu gestalten. In Krisensituationen wie Arbeitsplatzverlust oder Armut vermitteln sie Hilfe. Das Studium kann in Vollzeit, Teilzeit oder berufsbegleitend absolviert werden.