Diesen und weiteren Fragen geht die Abschlussarbeit «Elternschaft von Menschen mit einer geistigen Behinderung» nach, die im Rahmen des MAS-Programms Sozialarbeit und Recht verfasst
wurde.
Die Autorin Sibylle Meier, die selbst bei einer Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde
(KESB) tätig ist, untersucht
die Situation in der Schweiz anhand
von Befunden aus der Forschung.
Neben dem Forschungsstand fasst sie die
gesetzlichen Rahmenbedingungen
zusammen und beleuchtet die allgemeine
und fachliche Einschätzung des Themas
im Wandel der Zeit. Am Schluss werden
die Erkenntnisse aus der Forschung im
Sinne einer Entscheidungshilfe mit der
Praxis verknüpft. Die Literaturarbeit
beschränkt sich auf Personen mit leichten
geistigen Behinderungen, da die im
deutschsprachigen Raum untersuchten
Schwangerschaften und Geburten vor
allem diese Personengruppe betrafen.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Das Recht auf Elternschaft geistig
behinderter Menschen leitet sich von der
UNO-Behindertenrechtskonvention ab,
welche die Schweiz 2014 ratifizierte. Mit
ihrem Beitritt verpflichten sich die Vertragsstaaten,
die gesellschaftliche Gleichstellung
von Menschen mit Beeinträchtigungen
in allen Lebensbereichen zu
fördern. Dies schliesst ausdrücklich auch
die Aspekte Ehe und Familie ein. Das
heisst, rechtlich geht es nicht mehr um
die Frage, ob eine Elternschaft möglich
ist, sondern nur wie. Allerdings wird die
Selbstbestimmung der Erwachsenen, wie
bei allen Eltern dort eingeschränkt, wo
das Wohl des Kindes nicht mehr gewährleistet
ist und der Staat dessen Schutz
und Förderung sicherstellen muss.
Wenig erforschtes Thema
Angesichts der (bisherigen) Seltenheit
dieser Elternschaften erstaunt es nicht,
dass dazu wenig systematisch gewonnenes
und empirisches Wissen vorliegt. Deswegen
kann die grundlegende Frage, wie
sich eine geistige Einschränkung auf die
Erziehungskompetenz und damit auf das
Kindeswohl auswirkt, nicht eindeutig
beantwortet werden. Die Eignung, hier
sind sich die Forschenden einig, hänge
aber sicher nicht nur von kognitiven
Fähigkeiten allein ab, sondern auch von
anderen Kompetenzen – also etwa von
der Fähigkeit, empathisch zu reagieren
oder sich im Alltag zurechtzufinden. Je
nachdem seien die betroffenen Eltern
sehr wohl in der Lage, unter Anleitung
Erziehungskompetenzen zu erlernen und
weiterzuentwickeln. Damit ein gemeinsames
Leben dauerhaft gelänge, müsse
jedoch sowohl auf der Seite der Kinder wie auch der Erwachsenen differenzierte und engmaschige Unterstützung
gesorgt werden.
Interdisziplinäre Vernetzung und Unterstützung
In Anbetracht der Seltenheit und Komplexität der Fälle könne es bei Fachstellen verständlicherweise zu Handlungsunsicherheiten kommen. Um hier Abhilfe zu
schaffen, sei eine ganzheitliche und individuelle Beurteilung der Situation unerlässlich. Dafür böten die differenzierten Instrumente des Kindes- und Erwachsenenschutzes
Hand. Zusätzlich plädiert die Autorin aber auch für eine interdisziplinäre Vernetzung und den Einbezug der Forschung bei den Abklärungs- und Entscheidungsprozessen. Vor allem, wenn die Elternschaften in Zukunft zunehmen sollten, sei der überfachliche Wissensaustausch sehr erstrebenswert. Unter anderem könne die Soziale Arbeit hier einen Beitrag leisten, da sie auf die Beurteilung von Mehrfachproblematiken und Spannungsfeldern spezialisiert sei.
Die Abschlussarbeit schliesst mit dem Wunsch, dass das Bewusstsein für die Rechte der Behinderten und ihrer Familien allgemein wachsen möge. Die Gesellschaft müsse für die Ziele der Behindertenrechtskonvention stärker sensibilisiert werden, um die Integration der Kinder und Eltern zu erleichtern und ihre Gleichstellung zu fördern.
Zur Abschlussarbeit: «Elternschaft von Menschen mit einer geistigen Behinderung» (DOI: 10.5281/zenodo.3465612)