Aufzeichnung: Janet Stojan
«Bevor ich morgens in mein Büro gehe, laufe ich durch die Büros auf der Etage, gehe in jedes hinein und wünsche den Mitarbeitenden einen guten Morgen. Am Abend verabschiede ich mich meist auf die gleiche Weise. Dieses Ritual ist mir wichtig. Ich leite fachlich und personell zwölf Mitarbeitende in meinem zweisprachigen Team in der Langzeitberatung der Sozialhilfe. Mein Team betreut somit Menschen mit geringem Potenzial, sich von der Sozialhilfe abzulösen. Wir sind für die Existenzsicherung sowie für die soziale und berufliche Integration zuständig. Die Balance zwischen Hilfe und Kontrolle zu wahren und den Einzelfall adäquat zu berücksichtigen, ist für unsere Arbeit zentral. Dies wird beispielsweise beim Thema Sanktionen besonders deutlich.
Einen grossen Teil meiner Arbeit macht die Führungsarbeit aus. Ich unterstütze die Sozialarbeitenden meines Teams fachlich und methodisch. Ich arbeite für meine Mitarbeitenden, nicht umgekehrt. ‹Was muss ich tun, damit sie ihren Job gut machen können?›, das ist mein grundsätzliches Verständnis von Führung, ich habe einen funktionalen Ansatz, keinen hierarchischen. Ein für mich sehr wichtiges Führungsinstrument ist der regelmässige persönliche Austausch. All meinen Mitarbeitenden stelle ich pro Woche eine Stunde meiner Zeit zur Verfügung, in der sie zu mir kommen können. Wir sprechen beispielsweise über herausfordernde Fälle, über mögliche Lösungswege oder aber über Arbeitsbelastung oder bei Bedarf auch über etwas Privates. Niemand muss bei mir um einen Termin betteln oder ständig anfragen – dieses Zeitfenster steht immer und allen offen. So bleibe ich mit allen Mitarbeitenden vertrauensvoll in Kontakt und verliere nicht die Haftung. Die grösste Herausforderung im Job ist für mich, mit den verfügbaren Ressourcen und den anstehenden Aufgaben Prioritäten zu setzen. Das gelingt nicht immer gut. Denn der Mensch steht an erster Stelle – die Klientin oder der Klient und die Mitarbeitenden. Dadurch geraten andere Themen, die beispielsweise mit der Weiterentwicklung der Strukturen zu tun haben, ins Hintertreffen. Das ist für mich unbefriedigend. Ich muss Kompromisse schliessen und kann nicht immer die Wirkung erzielen, die ich anstrebe. Auch die Zeitressourcen der Mitarbeitenden sind knapp. Eine Sozialarbeiterin oder ein Sozialarbeiter betreut im Durchschnitt pro 100 Stellenprozente ca. 90 Dossiers. Ein Teil der administrativen Aufgaben kann delegiert werden – trotzdem ist es nicht immer möglich, allen Menschen und Situationen gerecht zu werden.
Während meines Master-Studiums der Sozialen Arbeit hatte ich die Schwerpunkte Verwaltung, Politik und Ökonomie gewählt. Die Sozialhilfe bietet Spannungsfelder genau in diesen Zusammenhängen. Mit dem Bachelor- und dem Master-Studium konnte ich das fachliche Fundament entwickeln, um in diesem Arbeitsfeld anschlussfähig zu sein. Ich habe ein differenziertes Verständnis davon, wie komplex die Arbeit mit Menschen am Rande der Gesellschaft ist. Ihre Bedürfnisse, gesellschaftliche Bedingungen und die Gesetzeslage sind mitunter entgegengesetzt, es gibt kein Schwarz oder Weiss. Der Umgang mit dieser Komplexität ist etwas, das mir an meiner Arbeit sehr gefällt. Denn es gibt immer wieder neue Herausforderungen, um den Einzelfällen und den gesetzlichen Vorgaben möglichst gerecht zu werden. Gleichzeitig muss auch den Anforderungen der öffentlichen Verwaltung und dem herrschenden politischen Willen Rechnung getragen werden. Hier versuche ich – nicht zuletzt auch durch meine Führungsarbeit – den Sozialarbeitenden immer wieder die Gestaltungsräume für ihr professionelles Handeln aufzuzeigen.
Ich war immer schon sehr vielseitig interessiert, ein einheitliches Berufsbild hatte sich lange nicht ergeben. Mangels Alternativen absolvierte ich ganz pragmatisch eine kaufmännische Ausbildung und legte einfach los. Ich landete im Informatikbereich, sammelte Projektleitungs- und damit erste Führungserfahrungen, führte Organisationsberatungen und Schulungen durch. Dieses Brückenbauen zwischen Technik und Mensch – das hat mich interessiert und erfüllt. Dann kam die Zeit für eine Neuorientierung und eine Freundin sagte mir: ‹Schaffen mit Menschen kann man auch studieren.› Ich hatte keine genaue Vorstellung von der Sozialen Arbeit und wollte gar nicht Sozialarbeiterin werden. Der Studienplan aber offenbarte jene Vielfalt an beruflichen Themen, die mich interessierte: von den Beratungsmethoden über Rechtliches bis zu gesellschaftspolitischen Themen. Mit dem gesparten Geld aus meinen Informatikjahren im Rücken schrieb ich mich für das Studium ein, habe inzwischen den Bachelor- und den Master-Abschluss der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit und eine stärkere Professionsidentität entwickelt, als ich es je erwartet hätte. Mit dem Ende des Master-Studiums im Februar 2018 trat ich im März nahtlos die Stelle in Biel an.
Nach inzwischen knapp zwei Jahren als Bereichsleiterin gibt es beruflich immer noch viel kennenzulernen, zu kommunizieren und zu entdecken. Privat bin ich sehr gern zu Hause, dort fühle ich mich wohl und kann abschalten. Freundschaften pflegen, digitale Schatzsuche, Berge, Seen und Kultur mag ich ebenso und ich treffe mich regelmässig mit meiner Bachelor-Clique. Diese Gruppe ehemaliger Studierender der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit ist für mich eine wichtige Ressource und ich geniesse den Austausch und die Freundschaften, die sich daraus entwickelt haben, sehr.»