Aufzeichnung: Eva Schümperli-Keller
«Vor einigen Wochen habe ich meine neue Stelle bei AvenirSocial angetreten und pendle dafür mit dem Zug von meinem Wohnort im Zürcher Oberland nach Bern. Ich arbeite in einem 60-Prozent-Pensum als Verantwortlicher Fachliche Grundlagen. In dieser Funktion unterstütze ich die Geschäftsleitung inhaltlich und fachlich, erarbeite Grundlagen für die Positionierung in sozialpolitischen Themen oder plane und koordiniere Projekte zusammen mit den Regionalsektionen. Ich bin gespannt darauf, in den nächsten Monaten herauszufinden, was sonst noch so alles zu meinem neuen Job dazugehört.
In der Ausschreibung stand ‹Master erwünscht›. Ich habe letztes Jahr den Master in Sozialer Arbeit mit Schwerpunkt Sozialpolitik und Sozialökonomie an der Hochschule Luzern abgeschlossen. Während des Studiums habe ich immer gearbeitet: zuerst als Soziokultureller Animator für die Fachstelle Kinder- und Jugendanimation der Stadt Baden, anschliessend zuerst als Projektmitarbeiter, dann als Projektleiter bei jumpps, einer Fachstelle für Jungen- und Mädchenpädagogik. Dort habe ich die Projekte ‹Speed – Ist Rasen männlich?› und ‹Echt stark, Mann!› geleitet und für das Projekt ‹Mein Beruf› mit Oberstufenschülerinnen und -schülern Workshops zum Thema Berufswahl und Gender durchgeführt.
Ich habe bis jetzt immer Teilzeit gearbeitet und möchte das auch so beibehalten – aus Überzeugung und um ein Zeichen zu setzen. Meine Partnerin ist in Ausbildung zur Fachärztin und muss entsprechend viel arbeiten. Mit meinem 60-Prozent-Pensum bleibt Zeit für den Haushalt und gesellschaftliches Engagement, das mir sehr wichtig ist. Ich bin in der Sozialkommission der Genossenschaftssiedlung, in der wir wohnen, und seit 15 Jahren Volleyball-Schiedsrichter, im Beachvolleyball auch auf professionellem Niveau. Zudem engagiere ich mich im Vorstand des Volleyballvereins, in dem ich auch selber aktiv spiele.
Zur Sozialen Arbeit bin ich eher ‹durch die Hintertür› gekommen. Ich habe in Fribourg den Bachelor in Sozialarbeit und Sozialpolitik gemacht. Dieser war ziemlich wissenschaftlich aufgebaut, fast schon ein Soziologie-Studium und bereitete nicht konkret auf einen Beruf vor. Nach dem Abschluss erinnerte ich mich daran, wie viel Freude mir meine Tätigkeit als Streetworker während meines Auslandjahres in Ecuador gemacht hatte. Und so bewarb ich mich auf Praktikumsstellen im Sozialbereich. Nach einigen Absagen klappte es. Diesen Schritt habe ich nie bereut. Doch nach ein paar Jahren Berufstätigkeit wünschte ich mir wieder mehr ‹Brainfood› und neue Inputs. Und so entschloss ich mich dazu, das Master-Studium an der Hochschule Luzern aufzunehmen. Ich fand es spannend, an verschiedenen Standorten zu studieren und Mitstudierende zu haben, die alle ganz unterschiedliche Hintergründe und Werdegänge mitbrachten. Ich muss sagen: Schon nur wegen des weitverzweigten Netzwerks, über das man nach dem Master-Studium verfügt, könnte ich die Ausbildung allen nur wärmstens empfehlen. Zudem lernt man das wissenschaftliche, konzeptionelle und strategische Arbeiten. Das entspricht mir. Ich bin auch privat ein Planer. So gelang es mir gut, Studium, Beruf, ehrenamtliches Engagement und Privatleben unter einen Hut zu bringen. Es half, dass ich eine Stelle mit Jahresarbeitszeit hatte; so konnte ich etwas mehr arbeiten, wenn es in der Schule ruhig war, und etwas weniger, wenn Prüfungen oder grosse Arbeiten anstanden.
Meine Master-Arbeit habe ich zum Thema ‹Doing masculinity in Kinderkrippen› geschrieben und dafür 50 Stunden Videomaterial aus diversen Kitas analysiert. Geschlecht wird immer konstruiert, und zwar auch ganz unbewusst in unseren verbalen und nonverbalen Interaktionen. In meiner Arbeit untersuchte ich, wie die männlichen Fachkräfte in den Krippen in ihren Handlungen Männlichkeiten herstellen. Die Ergebnisse zeigen, dass die untersuchten Männer ihren Männlichkeitstyp je nach Situation anpassen. So kann ein Betreuer eher kumpelhaft beim Spielen, fürsorglich beim Trösten oder streng bis barsch beim Zurechtweisen der Kinder sein. Zudem stellte ich fest, dass der Kontext der Institutionen eine entscheidende Rolle spielt; zum Beispiel lässt eine Wald-Kita mit dem Spielen in der Natur, dem Hantieren mit Holz und Werkzeugen mehr Nischen für die Konstruktion von Männlichkeiten zu als eine Indoor-Krippe, deren Aktivitäten vorwiegend drinnen stattfinden. Dort sind Einrichtung, Spielsachen sowie der ganze Tagesablauf eher weiblich konnotiert, da deutlich mehr Frauen als Männer in der Kinderbetreuung arbeiten. Aktuell schreibe ich mit den Erkenntnissen aus meiner Master-Arbeit ein Buchkapitel. Es wird im nächsten Jahr in einem Sammelband mit anderen Studien zu ‹(Un)doing Gender in Kinderkrippen› erscheinen.
Gender, Diversity und gesellschaftliche Ungleichheiten sind generell Themen, die mich sehr interessieren. Es ist mir wichtig, auch im Alltag darüber zu sprechen und auf sie aufmerksam zu machen. Manchmal ecke ich damit an, aber ich denke, wenn ich eine Diskussion anstossen kann, ist es das wert.»