Yvonne Anliker
Mit einem Paukenschlag starteten die Erstsemestrigen vor rund einem Jahr ihr Studium an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Die Studienanfängerinnen und -anfänger sowie ein paar Studierende aus den höheren Semestern mussten innerhalb dreier Tage Teams bilden und eine Idee sowie einen ersten Plan für eine gemeinnützige Aktion, zum Beispiel in ihrer Wohn- oder Arbeitsgemeinde, entwickeln. Zusätzlich galt es, eine dafür geeignete Kooperation einzugehen – sei es mit einer Gemeinde, einem Verein oder einer sozialen oder kulturellen Institution.
Grund für diesen aussergewöhnlichen Semesterstart war das 100-Jahr-Jubiläum der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Im Rahmen dessen sollten die Studierenden – rund 250 waren beteiligt – 100 Aktionen in der ganzen Deutschschweiz realisieren. «Wir wollten veranschaulichen, was Soziale Arbeit eigentlich ist: nämlich die Begegnung von Mensch zu Mensch», sagt Dozent Bernard Wandeler, der zusammen mit Dozentin Simone Sattler das Modul zum Jubiläumsprojekt konzipiert und durchgeführt hat. «Häufig ging es bei den Aktionen um den Austausch zwischen den Generationen, Migration, das Leben mit einer Beeinträchtigung sowie Nachhaltigkeit», sagt Sattler.
Lernen durch Engagement
Die für das Modul eingesetzte Lehr- und Lernmethode nennt sich Service Learning. Dabei wird die akademische Lehre mit einem konkreten zivilgesellschaftlichen Engagement verbunden. In der Schweiz hat es sich das Zentrum Service-Learning, das getragen wird vom Migros-Kulturprozent, zur Aufgabe gemacht, die Methode hierzulande bei Lehrpersonen und Dozierenden bekanntzumachen. Das Zentrum war für das Jubiläumsprojekt Kooperationspartner der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit.
Bei Service-Learning-Projekten sind gewisse Qualitätsstandards zu beachten: Zum Beispiel sind die Studierenden verantwortlich für die Planung, Durchführung und Evaluation. Dozierende und Kooperationspartner oder -partnerinnen agieren als Coaches. «Für die Hochschulen ist es wichtig, dass Service Learning ins Curriculum eingebettet wird. Das erhöht nicht nur die Attraktivität der Vermittlung, sondern veranschaulicht auch, wie die Verbindung von akademischer Lehre und Praxis tatsächlich erreicht werden kann», sagt Cornelia Hürzeler, Projektleiterin Soziales beim Migros-Genossenschafts-Bund.
Für die selbstständige Planung und Umsetzung der gemeinnützigen Aktion haben die Studierenden das sogenannte Service-Learning-Canvas zur Hand. Das Managementinstrument wurde im Auftrag des Zentrums Service-Learning von zwei Dozierenden der Universität St. Gallen und der Leuphana Universität Lüneburg entwickelt.
«Es geht uns einerseits um das praxisnahe Lernen, aber auch um die Förderung der Gemeinschaft, um die Förderung der Freiwilligenarbeit», sagt Cornelia Hürzeler, «denn Engagement schafft Vertrauen.» Der Vertrauens-Monitor, eine Spezialauswertung der Daten aus dem Freiwilligen-Monitor der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, mache deutlich, dass Menschen, die sich freiwillig engagieren, signifikant mehr Vertrauen in ihre Mitmenschen und Behörden haben. «Vertrauen wiederum ist die Basis für gesellschaftliche Kohäsion.»
Kommunikation als Schlüssel zum Erfolg
Vertrauen schenkte die Hochschule Luzern auch ihren Studierenden, als sie diese im ersten Semester ohne grosse theoretische Vorbereitung die Aktionen planen liess. Denn schnell zeigte sich, dass auf die Studierenden einige Herausforderungen warteten: So setzte das Budget von 500 Franken pro Team enge Grenzen. Deshalb gingen zum Beispiel Studentin Janina Schneider und ihre Teamkollegin, die Schwimmkurse für Flüchtlinge organisierten, auf Sponsorensuche – was gar nicht einfach war. Ausserdem brauchten sie kurzfristig einen Busersatz für die Fahrt von der Asylunterkunft zum Hallenbad. «Wir mussten flexibel und spontan sein», sagt Schneider. Andere Gruppen kämpften mit der kurzen Vorbereitungszeit, langwierigen Entscheidungsprozessen bei den Kooperationsorganisationen oder ungünstigen Witterungsbedingungen bei der Durchführung. Das Modul verlangte den Studierenden auch zeitlich einiges ab.
Simone Sattler und Bernard Wandeler waren sich von Anfang an bewusst, dass die Studierenden viel Engagement an den Tag legen müssten. Deshalb war ihnen eine gute Betreuung der zwei- bis vierköpfigen Gruppen durch Dozierende wichtig. Jedes Team hatte eine Ansprechperson. Diese Ansprechpersonen wiederum tauschten sich regelmässig aus, um voneinander zu erfahren, wo die Studierenden anstanden und wie die Probleme gelöst werden können, denn auch für die Dozierenden war das Jubiläumsprojekt Neuland.
Aus Sicht der Modulleitenden war vor allem die Suche nach einer geeigneten Kooperation sowie die Zusammenarbeit mit den Institutionen eine Herausforderung – weil es zum Beispiel unterschiedliche Ansichten über die Durchführung einer Aktion gab. Es zeigte sich, dass die Kommunikation der Schlüssel zu vielen Lösungen war: Was sage ich wann und wie, wie viel kann ich fordern, wo mache ich einen Kompromiss?
Pionierarbeit geleistet
Um das Jubiläumsmodul zu ermöglichen, leisteten Simone Sattler und Bernard Wandeler Pionierarbeit. «Wir konnten nicht auf Bestehendes zurückgreifen», sagt Sattler. Es galt, das Service Learning – als vorläufig einmaliges Projekt – ins bestehende Curriculum zu integrieren. Etwas, was bislang in der Schweiz noch keine andere Institution auf Tertiärstufe gemacht hatte. Cornelia Hürzeler war beeindruckt davon, wie viel Aufwand es dafür bedurfte. «Umso mehr imponiert uns, wie mutig und mit welchem Engagement die Hochschule Luzern – Soziale Arbeit das Projekt vorangetrieben hat. Sie hat einen grossen Meilenstein gesetzt. Wir hoffen, damit andere Hochschulen in der Schweiz motivieren zu können, in Service Learning einzusteigen.»
Der Mut und der geleistete Aufwand der Hochschule Luzern hätten sich gelohnt, sagen Wandeler und Sattler. «Die Studierenden haben mit ihren Aktionen gesellschaftliche Kohäsion und Inklusion gelebt. In den nächsten Semestern werden wir die Theorien dazu diskutieren und können dabei auf den gemachten Erfahrungen aufbauen», so Wandeler. «Die Studierenden durften erfahren, dass sich mit Engagement, Wille und guter Organisation viele Ideen umsetzen und Probleme lösen lassen», ergänzt Sattler.
Und die Studierenden? «Uns ist bewusst geworden, wie wichtig ein guter, vorausschauender Zeitplan ist», lautet das Fazit einer Gruppe auf der Projektplattform benedu, auf der alle Aktionen ausführlich beschrieben sind. Janina Schneider hat erlebt, «dass man auch mit einem kleinen Budget sehr viel erreichen kann». Sie spricht von einer «unglaublich bereichernden Zeit». «Meine anfängliche Überforderung wich rasch einer grossen Begeisterung. Die gemachten Erfahrungen haben mich in meiner Berufswahl bestärkt.» Und ihre Schwimmaktion wirkt nach. Die Studentin begleitet nun im Rahmen eines Tandemprojekts einen Flüchtling, lernt mit ihm die deutsche Sprache und zeigt ihm ihre Lieblingsplätze in Bern.