Autorinnen: Sonja Kobelt/Eva Schümperli-Keller
Wer kennt das nicht? Neue Ideen sind gefragt, die Zeit eilt. Unter Druck versagt man sich die Pausen, wird müde, und der Kopf ist und bleibt leer. Es wird klar: Erholt man sich nicht sinnvoll und ohne schlechtes Gewissen, bleibt die Kreativität auf der Strecke. Was ist zu tun? Eine differenzierte Lösung bietet das von Michael Doerk entwickelte Ressourcenmanagement- Modell «relax-concentrate-create», kurz: rcc. In seiner Funktion als Dozent und Projektleiter an der Hochschule Luzern bereitete der Psychologe sein Modell hochschuldidaktisch auf und entwickelte ein interdisziplinäres Modul für Studierende, das seit 2005 in jedem Semester durchgeführt wird. Aufgrund des grossen Erfolgs ergänzte er es um eine webbasierte Software-Suite, die seit Herbst 2017 einer erweiterten Zielgruppe zugänglich ist.
Erholt, konzentriert und ideenreich
Der rcc-Ansatz geht davon aus, dass durch ein optimales Zusammenspiel von Erholung, Konzentration und Kreativität die inneren Ressourcen gestärkt und Belastungsfaktoren vermindert werden. Das Credo: Neue Ideen und Kreativität entstehen dann, wenn der Organismus einerseits höchst konzentriert und gleichzeitig so entspannt wie möglich ist. Mittels Videos, Audios und Texten vermittelt das webbasierte Training Hintergrundwissen und Methoden, Übungen vertiefen das Gelernte, Praxistipps zur personalisierten Gesundheitsförderung ergänzen es. Parallel können auf einer Web-App individualisiert Schutz- und Belastungsfaktoren erfasst, Ziele selber gesetzt und mit geeigneten Massnahmen verfolgt werden, um ein ausgewogenes Nebeneinander von Lebensbereichen wie Familie, Beruf und Weiterbildung zu fördern. Michael Doerk: «Es geht darum, bewusst hinzuschauen, was ich wann und warum mache und wie es mir dabei geht. Dadurch erkenne ich, in welchen Lebensbereichen ich mein Verhalten oder meine Verhältnisse so anpassen kann, da sich eine gute Balance erreiche.» Dass sich der Aufwand lohnt, bestätigen zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer, etwa der promovierte Biologe Piero Fontana. Er ist Gründer der Highperformance Scientific GmbH, einem Spin-off-Unternehmen der ETH Zürich, hat an rcc mitgewirkt und nutzt es selbst. Er sagt: «Es hilft mir, meine Ressourcen besser einzuteilen. Ich bin überzeugt, dass ich mit rcc meine Gesundheit erhalten und meine Leistungsfähigkeit steigern kann.»
Kostenloser Zugang für Schweizer Hochschulen
Im Herbst 2017 hat die Hochschule Luzern den Zugang zu https://rcc.hslu.ch/ für aktuell rund 440’000 Personen geöffnet. Dazu gehören alle Studierenden und Mitarbeitenden der Schweizer Hochschulen und weiterer Institutionen wie Unispitäler, CERN oder Schweizerischer Nationalfonds. «Es ist eine Win-win-Situation: Die Hochschulangehörigen profitieren von rcc, und wir Forschenden erhalten anonymisierte Daten einer breiten Usergruppe, von Facility-Managern über Pflegepersonen bis zu Universitätsprofessorinnen», erklärt Michael Doerk. «Die Erkenntnisse, die wir in Prävention, Gesundheitsförderung und Didaktik über die begleitende Forschung gewinnen, fliessen direkt in die Weiterentwicklung von rcc ein und werden der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt.» Beispielsweise hat man erkannt, dass Studierende in Kreativprozessen fast ausschliesslich die Methode «Brainstorming» verwenden, die sich als eher kreativitätshemmend erwiesen hat. Daher entwickelte Michael Doerk die Plattform www.becreate.ch, dies zusammen mit Kolleginnen und Kollegen vom Zukunftslabor CreaLab der Hochschule Luzern und dem Spin-off interspin CreaLab. Die Plattform unterstützt die Nutzenden dabei, Innovationsworkshops zu planen und durchzuführen.
Die auf rcc angebotene Werkzeug- und Wissensdatenbank wird kontinuierlich erweitert. In der aktuellen Version stehen neu ein Burn-out-Indikator, ein Lern- und Arbeitsstil-Indikator sowie Forschungsergebnisse zur optimalen Gestaltung der Arbeits- und Lebensumgebung zur Verfügung.
Schweizweit einzigartig
rcc ist nicht nur eine moderne Lernmethode, sondern auch eine anwendungsorientierte Plattform, die Forschungsergebnisse aus diversen Disziplinen – von Gesundheitswissenschaften über Musik bis Architektur – berücksichtigt.
Diese Breite und die Interdisziplinarität machen rcc schweizweit einmalig und innovativ. Ein Beispiel ist der Einbezug von Erkenntnissen aus der Sportphysiologie. Piero Fontana: «Ich habe aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse in praxistaugliche Trainingsempfehlungen übersetzt.» Bewegung trägt dazu bei, konzentrierter zu arbeiten: «Training führt zu positiven Veränderungen bei der Ausschüttung von Botenstoffen, was die Konzentration fördert und die Stimmung aufhellt», so Fontana. Und das vernetzte Forschen geht weiter: Mit der Hochschule Luzern – Musik arbeitet Michael Doerk zukünftig daran, welche Möglichkeiten die Musikwissenschaft sieht, um kreative Prozesse zu beeinflussen. Mit der Hochschule Luzern – Technik & Architektur findet ein kontinuierlicher Austausch zur organismusgerechten Gestaltung unserer Arbeits- und Lebenswelt statt, etwa zur Frage, welches Licht wir Menschen brauchen, um konzentriert, entspannt und kreativ zu sein. «Ich würde mich über weitere Forschende freuen, die ihre Erkenntnisse über die Plattform teilen wollen, und bin für Anfragen offen», signalisiert Doerk.
Mittelfristig ist geplant, Kinder und Jugendliche sowie ältere Personen einzubeziehen und rcc-Varianten für diese Gruppen anzubieten. «Die eigenen Lebensbereiche in Balance zu halten, kann früh gelernt werden und hilft im Alter, interessiert und aktiv zu bleiben.»