Interview: Eva Schümperli-Keller
Colette Peter, Sie sind begeisterte Hobby-Ornithologin. Was fasziniert Sie so an Vögeln?
Ich liebe es, in den Wald zu gehen, ihnen zuzuhören und zu warten. Dann sehe ich plötzlich irgendwo einen Vogel, sagen wir: einen Zaunkönig. Ich beobachte ihn nur, bleibe respektvoll auf Distanz. Das sind sehr intensive, schon fast mythische Momente. Es existieren nur noch der Zaunkönig und ich.
Sie sind auch sonst gerne draussen, wandern, haben einen grossen Garten: Brauchten Sie diesen Ausgleich zu Ihrem Beruf?
Das war kein «Gegenprogramm» zu meiner Arbeit, sondern hat diese einfach gut ergänzt. Ich hatte ein enorm bereicherndes Berufsleben: spannende Projekte, gute Vorgesetzte, die mir Vertrauen entgegenbrachten, überaus kompetente und engagierte Mitarbeitende, die einen sorgsamen und wertschätzenden Umgang miteinander pflegten, und kein Arbeitstag war gleich wie der andere.
Sie haben 22 Jahre lang an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit gewirkt, erst als Dozentin und Projektleiterin, seit 2010 als Leiterin des Instituts für Soziokulturelle Entwicklung, seit 2012 als Vizedirektorin. Ihre Erstausbildung – ein Klavier-Lehrdiplom – hätte nicht auf eine solche Karriere hingedeutet. Wie kam es dazu?
Ich habe rund 15 Jahre lang Klavierunterricht an diversen Gymnasien gegeben. Irgendwann habe ich aber gemerkt: Ich möchte noch etwas anderes. Als Hörerin habe ich mich zum Soziologie-Studium angemeldet. Die Materie hat mich aber so gepackt, dass ich das Studium schliesslich regulär mit den Nebenfächern Philosophie und Musikwissenschaft absolviert und abgeschlossen habe – finanziert durch den Klavierunterricht.
Wie sind Sie schliesslich an die Hochschule Luzern gekommen?
Ein Bekannter, der an einer der drei Vorgängerinstitutionen der Hochschule Luzern als Dozent in der Soziokulturellen Animation gearbeitet hat, sagte mir: «Bei uns suchen sie jemanden; ich habe dich angegeben.» Und so wurde ich Lehrbeauftragte. Mein erster Auftrag war ein Projekt für Erwerbslose und dauerte gleich fünf Jahre. Als die ehemals drei Schulen für Soziale Arbeit auf dem Platz Luzern fusionierten, wurde ich an der neuen Institution fest angestellt.
Erinnern Sie sich an ein prägendes Erlebnis aus dieser Anfangszeit?
An der Schule ging es mit rund 25 Mitarbeitenden sehr familiär zu und her; alle kannten sich. Das kann man sich heute – wo die Schule um die 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt – fast nicht mehr vorstellen. Ich war Teil eines sechsköpfigen Teams, das den Auftrag erhielt, innert sechs Monaten ein neues Curriculum für das Bachelor-Grundstudium zu entwickeln. Das war eine enorm intensive, aber auch lustvolle Zeit. Ich mag es, wenn ich Dinge mitgestalten kann.
Was waren die Themen der Soziokultur, die Sie vor 22 Jahren beschäftigt haben?
Die Soziokultur war damals vorwiegend in der Kinder- und Jugendarbeit verankert. Man stellte den Jugendlichen Räume zur Verfügung, die sie selber gestalten und verwalten konnten. Die Soziokultur ermöglichte also schon damals Beteiligung. Das tut sie heute auch noch, aber ihre Zielgruppen und Handlungsfelder haben sich stark erweitert.
Inwiefern?
Die Soziokulturelle Animation antwortet auf gesellschaftliche Veränderungen; deshalb erschliessen sich ihr immer wieder neue Handlungsfelder. Beispielsweise ist Partizipation schon seit jeher ein Thema der Soziokultur; sie hat Methoden und Konzepte dafür entwickelt. In der Gesellschaft ist der Wunsch nach Beteiligung und Mitsprache während der letzten Jahre deutlich gewachsen. Nennen Sie uns ein Beispiel. Nehmen wir die Raumplanung: Gebauter Raum ist auch immer Sozialraum, räumliche Entwicklung ist soziokulturelle Entwicklung. Sagen wir nun, es geht um ein Projekt zur Innenentwicklung einer ländlichen Gemeinde. Entscheidend ist, dass man «lokales Wissen» einbezieht, also die Wahrnehmung, Aneignung und Bedeutung von Räumen der Nutzenden und der im Raum Tätigen in Erfahrung bringt. Eigentümerinnen, Anwohner, Politikerinnen und so weiter sollen ihr Wissen einbringen können. Dieses kann die Soziokulturelle Animation mit dem Fachwissen der Architektinnen und Architekten und der Planungsfachleute verbinden. Das Ziel ist eine sozial nachhaltige Lösung dank Diskussion und Austausch mit allen Betroffenen. Ich denke, dass gerade die Raumplanung die Soziokultur in Zukunft stark beschäftigen wird. Eine meiner Vorgesetzten hat diese Entwicklung vorausgesehen und mich schon vor über zehn Jahren ermuntert, ein Nachdiplomstudium in Raumplanung zu absolvieren, was ich dann auch getan habe.
Eine neue Studie aus Ihrem Institut hat gezeigt, dass die Soziokultur auch in Wohnbaugenossenschaften gefragt ist, weil der Zusammenhalt unter den Genossenschafterinnen und Genossenschaftern bröckelt. Haben diese mehr Interesse an günstigen Wohnungen als am Genossenschaftsgeist?
Das kann man so sicher nicht sagen. Die Studie konnte unter anderem herausarbeiten, dass sich mit der Individualisierung der Gesellschaft auch das Engagement der Genossenschaftsmitglieder individualisiert hat. Dieses ist heute eher projektbezogen als auf die Genossenschaft als «grosses Ganzes» ausgerichtet und orientiert sich an den Wünschen und Bedürfnissen der Engagierten selbst. Junge Eltern, die in einer Genossenschaft wohnen, engagieren sich etwa stark für einen neuen Spielplatz, bleiben aber der Mitgliederversammlung fern, wenn dort über Dinge diskutiert wird, die sie aktuell nicht betreffen. Diese neuen, eher informellen Formen des Engagements zu fördern, ist auch eine Aufgabe der Soziokultur. Ebenso, die Genossenschaftsverwaltungen dabei zu unterstützen, den Fokus wieder mehr auf das soziale Miteinander zu legen als auf blosses Wachstum, was da und dort aufgrund der stetigen Nachfrage nach günstigem Wohnraum geschehen ist.
Sie haben kurz vor Ihrer Pensionierung eine Studie in Auftrag gegeben, welche die Karriereverläufe der Soziokultur-Absolventinnen und -Absolventen der Hochschule Luzern untersucht hat. Was ist dabei herausgekommen?
Die Studie hat gezeigt, dass viele Absolventinnen und Absolventen mit einer Stelle in der Jugendarbeit in ihr Berufsleben einsteigen. Mit zunehmendem Alter und wachsender Erfahrung wechseln sie in andere Handlungsfelder wie Siedlungsanimation, Arbeit mit älteren Menschen oder ländliche Regionalentwicklung, bleiben aber in aller Regel Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren und üben den Beruf engagiert und mit hoher Zufriedenheit aus. Diese Erkenntnis hat mich sehr gefreut.
Als Vizedirektorin waren Sie auch Leiterin des Ressorts Internationales, haben Partnerschaften mit anderen Hochschulen etabliert oder Entwicklungsprojekte unterstützt.
Mein Grundsatz bei den Partnerschulen war: Weniger ist mehr. Es war mir wichtig, mit ausgesuchten Schulen Partnerschaften zu pflegen, von denen beide Seiten profitieren. Mit dem College of Urban Planning and Public Affairs der University of Illinois at Chicago haben wir beispielsweise einen regen Austausch. Diese Universität ist ein Geburtsort der Stadtsoziologie; sie ergänzt die Kompetenzen unserer Hochschule optimal. Ein weiteres wichtiges Anliegen war für mich, dass unsere Fachpersonen ihr Know-how auch ausserhalb unserer Landesgrenzen gewinnbringend einsetzen können, etwa in einer Zusammenarbeit mit Swisscontact Albanien, wo die Hochschule Luzern – Soziale Arbeit Mitarbeitende albanischer Arbeitsämter zu Coaches für arbeitslose Jugendliche aus Randgruppen ausgebildet hat.
Ihre lange Berufskarriere in der Soziokultur geht nun zu Ende. Sie haben sich schon vor einiger Zeit zu einer frühzeitigen Pensionierung entschlossen. Weshalb?
Zwischen dem 60. und dem 70. Lebensjahr ist der Mensch in der Regel noch körperlich und geistig fit. Diese Phase, in der ich noch Kraft und Mut für Neues habe, möchte ich intensiv nutzen, um Kontakte und Interessen zu pflegen, für die mein intensives berufliches Engagement wenig Zeit gelassen hat.
Welche Pläne hegen Sie für den neuen Lebensabschnitt?
Bei diversen Bekannten konnte ich mitverfolgen, dass es besser ist, wenn man nicht sofort nach der Pensionierung mit Vollgas in etwas Neues einsteigt. Man muss zuerst im neuen Lebensabschnitt ankommen, und das braucht Zeit. Deshalb möchte ich es die ersten sechs Monate ruhig angehen.
Und wie geht es weiter, wenn Sie im nachberuflichen Lebensabschnitt angekommen sind?
Ich habe soeben ein Diplom in Feldornithologie erworben. Diese Weiterbildung ermöglicht es mir, als Laiin in ornithologischen Projekten mitzuwirken, beispielsweise in einem mir zugeteilten Revier Daten zu sammeln. Ich könnte mir auch gut vorstellen, meine Erfahrung in partizipative Prozesse einfliessen zu lassen, etwa in Projekte, bei denen Vogelschutzvereine mit Landwirtinnen und Landwirten zusammenarbeiten. Langweilig wird es mir bestimmt nicht.
Das Institut für Soziokulturelle Entwicklung der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit
Die 25 Mitarbeitenden des Instituts für Soziokulturelle Entwicklung bearbeiten Frage- und Problemstellungen in der Stadt- und Quartierentwicklung, im öffentlichen Raum, im Zusammenleben von Generationen und in der Zivilgesellschaft. Das Team ist im vierfachen Leistungsauftrag tätig, das heisst in Lehre, Weiterbildung, Forschung und Entwicklung sowie Dienstleistungen.
Die Nachfolge von Colette Peter als Leiterin des Instituts tritt Ulrike Sturm an, die bis anhin den Interdisziplinären Schwerpunkt «Kooperation Bau und Raum» der Hochschule Luzern geleitet hat.
Die erwähnte Studie zu den Wohnbaugenossenschaften kann hier heruntergeladen werden: www.hslu.ch/wohnbaugenossenschaften ; die Studie zu den Karriereverläufen von Absolventinnen und Absolventen eines Studiums in Soziokultur findet sich hier: www.hslu.ch/ska-karriereverlaeufe