Aufzeichnung: Eva Schümperli-Keller
«Bei meiner Arbeit in der Ilgenhalde erlebe ich viele schöne und lustige Momente. Kürzlich waren einem Mädchen die Hosen etwas runtergerutscht. Ich machte es darauf aufmerksam. Das Kind zögerte kurz und rief dann seiner Kehrseite ganz enthusiastisch ‹Gugus!› zu. Solche Momente sind einfach herzerfrischend. Ich arbeite seit vier Jahren in der Ilgenhalde; zuerst war ich als Praktikantin tätig, nun bin ich in Festanstellung. Ich bin gelernte Pharmaassistentin. Nach ein paar Jahren im Job machte ich die Berufsmatur und sah mich nach einer neuen Herausforderung um. Eine Nachbarin arbeitete in der Ilgenhalde und bot mir ein Schnupperpraktikum an. Ich wusste gleich: Das ist der richtige Beruf für mich. Heute arbeite ich in einer der Aussenwohngruppen der Institution. Hier leben die kognitiv etwas stärkeren Jugendlichen, denen wir zu einem möglichst selbstständigen Leben verhelfen möchten. Meine Kolleginnen und Kollegen und ich unterstützen vier geistig und mehrfach behinderte Jugendliche im Alter zwischen 12 und 17 Jahren bei der Bewältigung des Alltags ausserhalb der Sonderschule. Wir wecken sie, helfen beim Duschen, Zähneputzen und Anziehen und nehmen gemeinsam das Frühstück ein. Wenn die Buben und Mädchen in der Schule sind, halten wir unsere Sitzungen ab, erledigen administrative Arbeiten oder putzen die Wohnung. Zu meinen Aufgaben gehört auch, den Medikamentenschrank regelmässig zu überprüfen. Die Jugendlichen kehren für das Mittagessen in die Wohngruppe zurück. Teilweise müssen wir Betreuenden ihnen beim Schneiden des Essens helfen, doch prinzipiell essen sie selbstständig, und wir begleiten die Mahlzeiten erzieherisch wie an einem ganz normalen Familientisch. Am Nachmittag sind sie noch einmal rund zwei Stunden in der Schule, anschliessend verbringen wir Betreuerinnen und Betreuer mit ihnen die freie Zeit bis zum Abendessen, ermuntern sie zum Erledigen der Hausaufgaben oder der verschriebenen Physiotherapie-Übungen, gehen in den Garten oder spielen miteinander. Nach dem gemeinsamen Abendessen dürfen die Knaben und Mädchen noch etwas fernsehen, Musik hören oder spielen, um circa halb neun Uhr ist Lichterlöschen. Jemand aus dem Betreuungsteam bleibt über Nacht in der Wohnung.
Am liebsten an meinem Beruf mag ich die intensive pädagogische Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen. Es ist schön, ihre Entwicklungsprozesse zu begleiten. Als wertvoll empfinde ich auch den regen interdisziplinären Austausch in unserem Team von Logopädinnen, Ergo- und Physiotherapeuten, Kinderpsychiaterinnen, Heilpädagogen und weiteren Fachpersonen. Ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist die Kontaktpflege mit den Eltern, mit denen wir in intensivem Austausch stehen. Schwierige Momente sind für mich, wenn ein Kind in eine Krise gerät, etwa während der Pubertät, und mühsam erlernte Fertigkeiten plötzlich wieder verliert. Ich musste erst lernen, mich in solchen Situationen etwas abzugrenzen. Emotionale Ausgeglichenheit ist wichtig in unserem Beruf; man muss aufpassen, nicht auszubrennen. Im Sozialpädagogik-Studium an der Hochschule Luzern ist die Balance von Nähe und Distanz ein wichtiges Thema. Wir Studierenden sind angehalten, unser eigenes Verhalten immer wieder zu reflektieren; das hilft uns, uns selbst gut kennenzulernen. Ich habe die letzten drei Jahre berufsbegleitend studiert, was mit meinem 60-Prozent-Arbeitspensum viel Disziplin verlangt hat. Das nächste Semester verbringe ich als Austauschstudentin an der Fachhochschule in Den Haag, einer Partnerschule der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Die Ilgenhalde verlasse ich nach all den Jahren mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Auf das Semester in den Niederlanden freue ich mich sehr. Ich möchte das Land per Velo erkunden und surfen lernen. Zudem will ich mir darüber klar werden, welchem Thema ich meine Bachelor-Arbeit widme. Wenn ich im Frühjahr 2017 in die Schweiz zurückkehre, suche ich mir eine neue Stelle. Ich kann mir gut vorstellen, auch einmal im Asylwesen oder in der schulischen Integration zu arbeiten. Uns Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen bieten sich viele Möglichkeiten.»
Dieser Artikel ist in der Publikation «Soziale Arbeit», Ausgabe Oktober 2016, erschienen.