Eine 17-Jährige findet ein Praktikum in einer Weberei und wird danach dort angestellt. Ein 35-Jähriger eröffnet einen Coiffeursalon. Zwei junge Musiker machen sich selbstständig und spielen bei privaten Festen auf. Drei ganz normale Berufskarrieren, würde man meinen. Nicht jedoch für Angehörige ethnischer Minderheiten in Albanien: Die Musiker und der Coiffeur sind Roma, die Weberin ist Balkan-Ägypterin. «Man kann sich kaum vorstellen, was es für diese Menschen bedeutet, sich zum ersten Mal im Leben als Teil der Arbeitswelt fühlen zu dürfen», sagt Professor Bernard Wandeler, der zusammen mit Dozent Peter Stade das Projekt für Berufsbildung und Kompetenzentwicklung in Albanien leitet. «Die Benachteiligungen dieser jungen Menschen sind enorm», ergänzt Stade. «Schätzungen zufolge können von den am stärksten diskriminierten Roma rund 40 Prozent weder lesen noch schreiben. Nur knapp die Hälfte der Roma-Kinder wird eingeschult, und von dieser Hälfte macht ein Grossteil keinen Abschluss.» Eine gravierende Erschwernis auf dem Arbeitsmarkt sei auch das allgemeine Misstrauen gegenüber Angehörigen ethnischer Minderheiten.
Benachteiligte Jugendliche bei der Jobsuche unterstützen
«Coaching for Employment», kurz C4E, heisst der neue Ansatz, den die Hochschule Luzern im Auftrag der Stiftung Swisscontact seit 2010 in Albanien praktiziert. Wandeler und Stade, unterstützt von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Martina Schilliger, bildeten vor Ort bisher insgesamt 38 Teilnehmende aus 13 lokalen Nichtregierungsorganisationen und dem National Employment Service (NES) zu Coaches für benachteiligte Jugendliche aus und begleiteten sie bei ihrer Arbeit. «Der unmittelbare Transfer in die Praxis war uns wichtig», erklärt Stade. «Deshalb war der 18-monatige Ausbildungszyklus so aufgebaut, dass die Coaches nach einer Einstiegsphase das Gelernte jeweils im Anschluss an das Modul mit den von ihnen betreuten Jugendlichen umsetzen konnten. Im darauffolgenden Kursteil diskutierten wir die Resultate.» Inzwischen wurden insgesamt 600 auf dem Arbeitsmarkt benachteiligte Jugendliche durch einen so ausgebildeten Coach oder eine Coachin begleitet. 90 Prozent von ihnen absolvierten Schnupperlehren oder mehrmonatige Praktika. 60 Prozent fanden einen Job – als Angestellte oder als Selbstständige: ein erstaunlich hoher Anteil angesichts der prekären Situation der betroffenen Jugendlichen und einer generellen Arbeitslosenquote in Albanien von fast 17 Prozent. «Wir sind selber überrascht vom Erfolg», sagt Wandeler, «denn anfangs waren wir manchmal unsicher, ob unser Konzept funktionieren würde.» Die angehenden Coaches hätten ihren Dozenten zuweilen unisono erklärt: «Was ihr da wollt, mag in der reichen Schweiz prima sein, aber hier bei uns? Vergesst es.» Ein typisches Beispiel sei das Thema Schnupperlehren gewesen. «Die Teilnehmenden des ersten Ausbildungszyklus hielten es für unmöglich, Schnupperlehren für ihre Schützlinge zu akquirieren», erinnert sich Stade. «Das gibt es in Albanien nicht, sagten sie. Schon gar nicht für Roma oder andere Randgruppen.» Aber dann gelang es einem Roma unter den Coaches, für einen seiner Jugendlichen den geeigneten Schnupperlehrplatz zu finden – und der Bann war gebrochen. «Wenn der das schafft, kriegen wir das auch hin», sei das allgemeine Credo gewesen. Im nächsten Ausbildungszyklus konnten die bereits ausgebildeten Coaches von Schwierigkeiten und Erfolgen bei der Suche nach Schnupperlehren, Praktika und Jobs berichten. Das half, die Skepsis abzubauen.
Nicht lehren, sondern beim Lernen helfen
Mit dem Prinzip des Empowerment, das an der Hochschule Luzern im Fachbereich Soziokulturelle Animation gelehrt und praktiziert wird, stiessen Wandeler und Stade zunächst manchmal auf fragende Gesichter. «Für uns ist wichtig, dass die Coaches lernen, die Jugendlichen dabei zu unterstützen, selbst weiterzukommen – nach dem Motto don't teach – help to learn», erklärt Wandeler. Das sei nicht immer gleich verstanden worden. Ebenso wenig das flexible Vorgehen der Dozierenden. Denn diese hielten sich nicht stur an einen Plan, sondern überprüften zusammen mit den lokalen Verantwortlichen und den Kursteilnehmenden immer wieder, welche Ziele beibehalten und welche aufgrund der albanischen Gegebenheiten geändert werden sollten. «Unser Bildungsverständnis traf auf Beteiligte, die autoritären Frontalunterricht gewohnt waren. Sie zeigten jedoch grosses Interesse an partizipativen und interaktiven Lernformen und wendeten sie auch in der Arbeit mit ihren Gruppen an.» Auch die Dozenten hatten einiges zu lernen. «Es war ein Austarieren zwischen Anpassung an die lokalen Verhältnisse, aber auch entschlossenem Festhalten am Vorgesehenen, wenn wir wollten, dass unsere Coaches sich in unbekannte Gefilde wagten», so Stade. «Ein Abenteuer für beide Seiten.»
Und eines, das noch lange nicht zu Ende ist. Denn der nächste Ausbildungszyklus 2015 wird für Mitarbeitende des National Employment Services konzipiert. Diese staatlichen Dienste kümmern sich um Arbeitsvermittlung und sind zurzeit in einer Umbruchphase, denn im Sozialministerium weht ein neuer Wind: Es soll kundenorientiert und unbürokratischer gearbeitet werden – Arbeitslosenverwalter sollen zu Job Coaches werden. «Einfach ist die Aufgabe nicht», schmunzelt Stade. Wandeler lacht: «Aber superspannend!»
Isabel Baumberger