Hochschule Luzern: Wie bist du in die XR-Branche gekommen?
Reto Grob von augment IT: Mein Werdegang war eher typisch. Ich habe an der ETH Informatik studiert und mehrere Praktika im Ausland absolviert. Persönlich war ich sehr von Japan fasziniert, das uns in punkto Mobiltelefonie um die Jahrtausendwende drei Jahre voraus war. Während in Europa noch Nokia-Handys mit den einfachsten Funktionen im Umlauf waren, benutzte man in Japan im Alltag schon Handys mit Farbbildschirm, integrierter Kamera und Internetzugang. Das motivierte mich, nach Japan auszuwandern. Vom Forschungslabor Hitachi Research, bei dem ich zuerst arbeitete, wechselte ich in ein Start-Up, weil mir die Nähe zum Markt fehlte. Dort entwickelten wir mobile Apps. Das war noch vor dem Android- und iPhone-Zeitalter. In der Schweiz wusste man eigentlich noch gar nicht, was eine App ist.
Und doch hat es dich irgendwann wieder in die Schweiz gezogen.
In Japan war damals viel möglich, aber für Personen aus dem Ausland war es schwierig, sich langfristig dort niederzulassen. Also entschied ich mich nach fünf Jahren, in die Schweiz zurückzukehren. In der Innovationsabteilung der Swisscom konnte ich 2004 viel Relevantes einbringen, das ich in Japan gelernt hatte. Denn ich wusste gewissermassen schon, was auf uns zukommt.
Mit dem Wechsel zu Netcetera im Jahr 2011 erfüllte sich mein Wunsch, noch einmal vertieft im Engineering zu arbeiten. Und dann ergab sich eine Parallele zu meiner vorherigen Arbeit: Auch zu diesem Zeitpunkt kam eine neue Art auf, wie IT einen Mehrwert schaffen kann: Augmented Reality.
Wie gestaltete sich dieser Einstieg in die Arbeit mit Augmented Reality?
2016 war für Netcetera ein guter Zeitpunkt, um einzusteigen, u.a. weil die Hololens 1 auf den Markt kam. Wir begannen relativ schnell mit externen Firmen zu validieren, was möglich ist. Bis heute sind unsere Use Cases mit der SBB, dem Berner Inselspital und dem Verkehrshaus sehr relevant: bei der Wartung von Zügen, bei der Operationsplanung und auch bei der Vermittlung von Wissen im kulturellen Bereich kann durch AR mit überschaubarem Aufwand ein realer Mehrwert geschaffen werden.
Mich begeistert die Kreativität, die gefordert ist. Es ergeben sich immer wieder neue Problemstellungen, für die wir innovative Lösungen finden müssen. Repetitive Muster gibt es relativ selten.
XR ist ein Feld, das sich enorm schnell verändert. Welche Entwicklungen haben dich überrascht?
Dass die Fernunterstützung per AR wichtig werden würde, war schon länger klar. Bemerkenswert ist aber, dass der Markt von Industriebrillen vor Corona kurzzeitig einbrach. 2019 gingen beispielsweise die Industriebrillen-Hersteller Meta und ODG sogar Konkurs. Seit der Pandemie verzeichnen die überlebenden Anbieter wie RealWare oder Vuzix aber plötzlich einen starken Zuwachs. Das Ausmass war nicht vorauszusehen. Gleichzeitig bieten Teams und Zoom ihre Apps mittlerweile auf diesen Datenbrillen an – und diese werden intensiv genutzt. Ich sehe sie als Einstiegsapplikationen, die wichtig sind für die Entwicklung und Verbreitung von Datenbrillen in Firmen. Ihr Wert für die Firmen liegt klar auf der Hand. Das öffnet nun vielerorts die Tür für die Verwendung weiterer Apps.
Blicken wir in die Zukunft: Auf welche weiteren Entwicklungen/Meilensteine hoffst du?
Der Launch von Smart Glasses von Apple hätte rein psychologisch grosses Potential. Viele warten darauf. Apple gelingt es jeweils, neue Technologien in die breitere Öffentlichkeit zu tragen. Der Konzern entwickelt technologisch gesehen meist nichts Revolutionäres, schafft es aber, Produkte für ganz konkrete Anwendungsfälle zu optimieren. Ausserdem findet gerade ein Rennen um die Entwicklung einer AR-Cloud statt. Viele Einzelplayer tüfteln zurzeit an einer solchen Basisinfrastruktur. Das virtuelle und das reale Koordinatensystem sollen so überlagert werden, dass Geräte eine Person sofort überall verorten und Kontextinformationen einblenden können – unabhängig von der App, die man benutzt. Das könnte aber noch fünf bis zehn Jahre dauern.
Wenn sich jemand für den Einstieg in die Branche interessiert – was sollte man mitbringen?
Man muss lernwillig und flexibel sein und bereit, stets up to date zu bleiben. Denn der Technologiebereich entwickelt sich rasant weiter. Wenn man auf der Suche nach einem 9-to-5-Job ist, ist man in dieser Branche am falschen Platz. Es braucht intrinsische Motivation, an diesen Entwicklungen teilzuhaben. Dafür hat man die Chance, Dinge von Grund auf neu zu entwickeln und mitzudefinieren. Mit guten Lösungen kann man zudem schnell Visibilität erlangen.
Zuletzt: Was wünschst du dir von der Schweizer XR-Szene?
In der Schweiz gibt es sehr viele gute Expertinnen und Experten: bei den grossen Players wie Meta oder Google, Microsoft, bei kleineren Agenturen und Startups, aber auch bei Fachhochschulen. In der Schweiz ist viel Know-how vorhanden, doch sind wir untereinander kaum vernetzt. Dabei läge sehr viel Potenzial im Austausch über die Best Practices. An spannenden Themen würde es nicht fehlen. Man muss den anderen ja keine Firmengeheimnisse verraten! Mehr Veranstaltungen, an denen ein solcher Austausch stattfindet, wären wünschenswert.