Dieses Interview ist am 1. Oktober 2021 im Informatik-Blog der Hochschule Luzern erschienen.
Hochschule Luzern: Liebe Nathaly, die Hochschule Luzern – Informatik betreibt für KMU und Bildungsinstitute ein Immersive Realities Center. Was erfährt und erlebt man dort?
Nathaly Tschanz: Im Immersive Realities Center der Hochschule Luzern verschmilzt Virtuelles mit Realem. Hier lernen Schulen und KMU die Technologien Augmented und Virtual Reality kennen. Die Besuchenden testen dabei zum Beispiel unterschiedlichste Headsets und Software aus und tauchen in andere Realitäten ein. Sie können auch mal eine HoloLens ausprobieren oder Hologramme mit Gesten steuern. Man kann die «Immersion» schlecht beschreiben, man muss sie einfach erlebt haben! Es ist ein «Eintauchen» in andere Realitäten.
Das klingt nach guter Unterhaltung. Wo liegt der ernsthafte Nutzen eines Besuches?
Im Center beraten und coachen wir auch Unternehmen und realisieren zusammen XR-Projekte. Die KMU lernen neue Technologien kennen und testen Prototypen. Das Angebot des Centers ist schweizweit einmalig.
Was sind die drängendsten Fragen der KMU im Bereich XR?
Viele Branchen setzen AR und VR bereits heute ein. Trotzdem sind sich viele KMU unsicher, welchen Mehrwert immersive Technologien bieten. Eine ihrer grossen Fragen ist, ob sich die entsprechenden Investitionen lohnen werden. Das Center bietet ihnen dazu ein niederschwelliges Angebot. Ebenso steht es Bildungsstätten offen.
Wo konkret kann sich der Einsatz von XR lohnen?
Beispielsweise in Arbeitsbereichen, die ressourcen- oder verschleissintensiv sind. Es kostet zum Beispiel weniger, wenn Mechanikerinnen und Mechaniker ihr Training in virtuellen Räumen abhalten. XR ist überall dort nützlich, wo es Menschen hilft, etwas zu üben, zu trainieren und einen Lernprozess zu beschleunigen. Aber es gibt noch ganz viele andere Anwendungsfelder, wo AR und VR einen deutlichen Mehrwert bringen können.
Dann ist das Immersive Realities Center also auch eine neue Form von Weiterbildung?
Ja. Ich bin ganz begeistert von diesem Ansatz, weil es schweizweit noch nichts Vergleichbares gibt. Genau solche Initiativen wie das Center braucht es, wenn wir die Verbreitung der Technologien fördern wollen. Indem wir Unternehmen niederschwellig Zugang zu Hardware ermöglichen, Inspirationen und Anregungen bieten, tragen wir auch zur Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Wirtschaftsstandortes bei. Das Center soll ein «Network Hub» werden, ein Ort, wo man sich vernetzt. Es soll eine Community entstehen.
Warum ist das wichtig?
Die Schweizer XR-Szene ist im Moment noch ein recht loses Konstrukt. Überall in der Schweiz entstehen ganz viele spannende Umsetzungen und Lösungen mit immersiven Technologien. Es wird geforscht, Innovationen werden hervorgebracht. Das möchten wir sichtbar machen. Wir stärken den gegenseitigen Austausch in der Branche, aber auch darüber hinaus. In der Schweiz tendieren wir leider dazu, unsere Leistungen unter Wert zu verkaufen. Dabei haben wir das absolut nicht nötig. Wir dürfen ruhig zeigen, was wir zu bieten haben.
Du «brennst» für XR. Was macht für dich die Faszination aus?
Dass mit XR praktisch nichts unmöglich ist. Wir können die Realität erweitern und verändern. Wir schaffen Illusionen, die sich real anfühlen. XR kann sogar physikalische Gesetze aushebeln. Das begeistert mich, seit ich vor zwölf Jahren erstmals damit in Kontakt gekommen bin. Es gibt noch so viel zu erforschen, man betritt immer wieder Neuland. Das passt einfach zu mir wie der Deckel zum Topf.
Du bist schon lange in der Schweizer XR-Landschaft aktiv. Was hat dich dazu motiviert, an die Hochschule Luzern – Informatik zu kommen?
Ich verfolge die Aktivitäten der Hochschule Luzern im XR-Bereich schon länger. Das Informatik-Departement investiert stark in Personal und Infrastruktur. Für mich wurde offensichtlich, dass da Leute dahinterstehen, welche die gleiche Passion für XR empfinden wie ich. Daher reizt es mich, mein Know-how und mein Netzwerk nun auch hier einzubringen.
Dein Fachgebiet ist hochgradig innovationsgetrieben. Wie hältst du dich auf dem Laufenden?
Um stets auf dem neusten Stand zu bleiben, müssen wir viel Zeit aufwenden. Ich geniesse daher den Austausch im Team. Wir ergänzen uns mit unseren unterschiedlichen Schwerpunkten sehr gut, lesen neu erschienene Papers und tauschen uns untereinander aus. Wir diskutieren zusammen und befruchten uns gegenseitig.
Durch dich wurde das Forschungsteam des Immersive Realities Research Lab mit einer Dozentin erweitert. Wofür machst du dich stark?
Als Erstes werde ich am Informatik-Departement zusätzliche Weiterbildungsangebote aufbauen. Wir bieten auf Bachelor-Stufe im Informatik-Studiengang bereits sehr erfolgreich einen Major in Augmented und Virtual Reality an. Aber die Schweiz braucht auch im Weiterbildungssektor entsprechende Angebote.
Das ist nötig, denn in der Schweiz fehlen ausgebildete Fachkräfte mit spezialisiertem Know-how.
Viele Führungskräfte und Verantwortliche von Innovationsabteilungen stehen vor diesem Problem. Wer XR-Projekte lancieren will, kämpft mit Fachkräftemangel. Man muss sich selbst in die Materie einarbeiten und tastet sich in Trial- und Error-Manier heran. Wenn aber alle bei null anfangen, bindet das wertvolle Ressourcen. Projekte verzögern sich wegen fehlender Expertise. Das möchte ich ändern.
Wie wirst du deine bereits gesammelten Erfahrungen in der Weiterbildung einbringen? Wie baust du das neue Curriculum auf?
XR ist sehr interdisziplinär. Da greifen ganz viele unterschiedliche Kompetenzen ineinander und ergeben ein grosses Ganzes. Der Anspruch an eine Weiterbildung in diesem Themenfeld kann nicht sein, dass alle am Schluss alles gleich gut können. Die einen spezialisieren sich auf die technische Umsetzung oder auf das Design. Für andere stehen Schnittstellen-Kompetenzen im Vordergrund. Das gilt zum Beispiel für Projektleiterinnern und Projektleiter. Aus diesem Grund sollte das Curriculum modular aufgebaut sein. An der Hochschule Luzern arbeiten Fachpersonen mit unterschiedlichsten Schwerpunkten zusammen. Von dieser Interdisziplinarität werden unsere Weiterbildungsangebote profitieren.
Liebe Nathaly, wir danken dir vielmals für das interessante Gespräch.