Kaum eine Kunst oder deren Verbreitung kommt heute ohne digitale Mittel aus. Dies kann den Kunstschaffenden einerseits neue Möglichkeiten eröffnen, ihre Kreativität auszudrücken, über die Grenzen des physischen Raums hinweg mit anderen zusammenzuarbeiten oder ihre Werke einem weltweiten Publikum zugänglich zu machen. Andererseits stellt es sie vor neue Herausforderungen: So nimmt mit der «digital gepowerten» Reichweite auch der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit ganz neue Dimensionen an. Und der Einzug der generativen Künstlichen Intelligenz in die Kunstwelt wirft die Frage auf, welche Rolle menschliche Leistung, Kreativität und Authentizität, im Sinne einer eigenen, unverwechselbaren Ausdrucksform, im Kulturschaffen künftig spielen sollen. Zudem könnte sich unter den Bedingungen der Digitalisierung die soziale und rechtliche Situation von Kulturschaffenden, die bereits heute prekär arbeiten, weiter verschärfen.
Ein facettenreiches Triptychon
Die drei Teilstudien des TA-SWISS-Projekts werfen einen differenzierten Blick auf die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Kulturschaffen und die Kulturförderung. Sie zeigen, wo Handlungsspielräume bestehen, um die Digitalisierung im Kulturbereich so zu gestalten, dass sie die kulturelle Vielfalt stärkt, gut zugängliche neue Reflexionsräume schafft und damit die kulturelle Teilhabe möglichst aller fördert.
Die Nutzung digitaler Anwendungen sehen viele Kulturschaffende ambivalent: Zwar können sie sowohl in der Kreativitätsphase als auch bei der Kommunikation und Vermarktung hilfreich sein, doch diese Vorteile sind nur mit zusätzlichem, oft von den Kulturschaffenden selbst getragenem, zeitlichem, finanziellem und emotionalem Aufwand zu haben. Diese Ambivalenz setzt die Hochschule Luzern (HSLU) mit fiktiven, aber realitätsnahen Künstlerpersonas in Szene. Sie stützt sich bei ihrer umfassenden Betrachtung der sozialen, wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Auswirkungen der Digitalisierung auf die Kunstsparten Musik, Theater und Visuelles Design auf Literaturrecherchen sowie mehrere qualitative Befragungen und Fokusgruppenworkshops mit Kulturschaffenden.
Diese qualitative Analyse wird durch die quantitative Studie des Schweizer Musikrates (SMR) ergänzt, welche die spezifischen Auswirkungen der Digitalisierung im Musikbereich beleuchtet und mittels zweier Befragungen eruiert, wie das Schweizer Musikschaffen von der aktuellen digitalen Entwicklung betroffen ist, sie wahrnimmt und mit ihr umgeht. Dabei zeigt sich, dass die meisten musikalischen Institutionen und Musikschaffenden einen sehr pragmatischen Umgang mit neuen technologischen Entwicklungen pflegen. Digitale Anwendungen, bei denen das Verhältnis von individuellem Aufwand und Ertrag stimmt, werden genutzt, alle anderen wieder fallen gelassen. Das gilt für digitale Notenprogramme genauso wie für Anwendungen der generativen künstlichen Intelligenz.
Die Gründe dafür sind nicht zuletzt auch ökonomischer Natur. Digitalisierung schafft neue Marktmechanismen, die insbesondere durch Aufmerksamkeit getrieben werden. Im globalen virtuellen Wettbewerb treffen IT-Giganten, Kunstschaffende und Amateure aufeinander. Im Kern sind Non-fungible Tokens (NFTs) der Versuch, die Marktmacht zu dezentralisieren und Käufer und Verkäufer direkt miteinander in Kontakt zu bringen. Der Think & Do Tank Dezentrum setzt sich in seiner Diskursanalyse mit dem Hype auseinander, den die Einführung dieser Blockchain- basierten Echtheitszertifikate im Kunstmarkt ausgelöst hat.
Digitalisierung gemeinsam gestalten
Auf unterschiedlichen Wegen gelangen die drei Teilstudien zum selben Schluss: Nur in Kombination mit den Stärken der analogen Welt, ihrer Verbindlichkeit, Nähe und Wärme, kann die digitale Sphäre ihre Vorteile zugunsten des Kunstschaffens ausspielen und dessen Rolle als gesellschaftlicher Reflexionsraum stärken. Daraus ergeben sich eine Reihe von Handlungsoptionen. Empfohlen werden beispielsweise Massnahmen zur Schaffung fairer Einkommensbedingungen, die kontinuierliche Überarbeitung und Anpassung des Urheberrechts, sowie gezielte Informations- und Schulungsangebote für Kulturschaffende.
Zentral ist die Feststellung, dass das Zusammenspiel von Kultur und Digitalisierung nicht zuletzt von strukturellen Faktoren abhängt. Die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Kulturschaffen und die Kulturförderung sollten deshalb zu einem mehrjährigen Schwerpunkt des Nationalen Kulturdialogs werden: Die politischen Entscheidungstragenden, Kulturorganisationen und Kunstschaffenden müssen die Entwicklung aktiv begleiten, um allenfalls Kurskorrekturen einleiten zu können.