Der Graue Star ist eine Augenkrankheit, die die Linse des Auges trübt. Wird sie nicht behandelt, kann sie schlimmstenfalls zur Erblindung führen. Medizinisch heisst die Erkrankung «Katarakt». Die gute Nachricht: Eine Katarakt kann operiert werden. Weltweit rund 15 Millionen Mal führen Ärztinnen und Ärzte diese Operation jedes Jahr durch. Dabei wird die eingetrübte Linse im Auge zerkleinert und entfernt, anschliessend wird als Ersatz eine neue künstliche Linse implantiert. Zum Zerkleinern der natürlichen Linse stehen heute entweder Ultraschall oder Laser als Technologie zur Verfügung. Beide Techniken sind sehr sicher und zeigen niedrige Komplikationsraten. Die Firma Oertli Instrumente AG entwickelt und produziert Instrumente für Augenoperationen. Sie konzentriert sich auf die Entfernung der Linse mit Hilfe von Ultraschall. Diese Methode ist vergleichsweise günstig und kann mit einem tragbaren Gerät durchgeführt werden. Besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern ist dies ein wichtiger Aspekt.
In einem von Innosuisse geförderten Projekt haben Oertli Instrumente AG und die Hochschule Luzern (HSLU) untersucht, wie sich die Effizienz der Operation bei gleichbleibender oder gar höherer Sicherheit steigern lässt. «Eine Verkürzung der Operationsdauer bedeutet immer, dass weniger am Auge manipuliert wird. Und damit wird auch das Risiko des Eingriffes verringert», sagt Silvio Di Nardo, Projektleiter am Institut für Medizintechnik der Hochschule Luzern. Darüber hinaus senkt eine kürzere Operationszeit die Kosten.
Bessere Operationsinstrumente erfordern mehr Grundlagenwissen
Zunächst ging es darum herauszufinden, was eigentlich im Auge während einer Operation geschieht: Bisher hat man versucht, der Antwort durch den Aufbau und die Untersuchung experimenteller Modelle aufwändig auf die Spur zu kommen. Die Expertinnen und Experten des Instituts für Medizintechnik der Hochschule Luzern wollten jedoch vor der aufwändigen experimentellen Arbeit zunächst die Physik der Katarakt-Operation in numerischen Modellen abbilden und simulieren. Deshalb arbeiteten sie mit den Spezialistinnen und Spezialisten der HSLU-Kompetenzzentren Autonomous Systems and Robotics sowie Fluidmechanik und Numerische Methoden zusammen.
Erkenntnisse dank Simulationsmodellen
Die Forschenden aus dem Bereich Fluidmechanik und numerische Methoden sind darauf spezialisiert, Simulationsmodelle zu erstellen, mit deren Hilfe sich komplexe Strömungen simulieren lassen. Diese Modelle helfen nicht nur bei der Entwicklung von Wasserkraftwerken, sondern können auch aufs menschliche Auge angewandt werden. Dank ihnen kann man nicht nur einen bestehenden Zustand simulieren, sondern auch das Verhalten unter veränderten Umständen und Einflüssen – zum Beispiel die Grösse oder Form der medizinischen Instrumente. In diesem Projekt wurden zwei Methoden zur Simulation der Fluidik verwendet und die Aussagen beider Modelle immer wieder experimentell validiert. Die Hauptergebnisse dieses Teilprojektes sind einerseits gesicherte, stabile Simulationsmodelle der Fluidik und andererseits aus diesen Modellen abgeleitete Vorschläge für optimierte Instrumente, welche eine effizientere Entfernung der Linse ermöglichen.
Die Zertrümmerung der Linse erfolgt mit Hilfe von Ultraschall. Hier waren die Experten des Kompetenzzentrums Autonomous Systems and Robotics gefragt. Sie erstellten Simulationsmodelle, mit denen sich die Ausbreitung des Ultraschalls im Auge untersuchen lässt. Diese Informationen sind sehr wichtig für die Beurteilung der Sicherheit dieses Eingriffes: der Ultraschall soll ja die Linse zertrümmern, dabei jedoch nicht noch weiteres Gewebe schädigen. In einem weiteren Teilprojekt untersuchten die Forscher in einer Kombination von Simulationen und Experimenten, wie genau die Zertrümmerung der Linse abläuft. Es zeigte sich: Die Zerkleinerung der trüben Linse erfolgt auf rein mechanische Weise – ganz ähnlich wie ein Presslufthammer funktioniert. Diese Erkenntnis ermöglicht es, die Katarakt-Operation mit noch weniger Ultraschall-Energie durchzuführen.
Effizienz senkt Risiken und spart Geld
Dank der Modelle haben die Forschenden nun ein präziseres Wissen darüber, was während einer Operation im Auge geschieht. Vor allem aber können sie mit Hilfe der Simulation berechnen, wie sich veränderte Instrumente oder eine veränderte Ansteuerung der Instrumente auf das Geschehen im Auge während der Operation auswirken werden. Der Leiter des Forschungsprojektes Silvio Di Nardo und sein Team haben auf der Basis der Simulationen Lösungsvorschläge für effizientere und sicherere Instrumente erarbeitet. Ein Team aus Biologinnen und Biologen hat die Ergebnisse aus dem Projekt in die Sprache und Denkweise der Medizinerinnen und Mediziner übersetzt und ein Verfahren entwickelt, mit dem experimentell eine Entfernung der Linse nachgestellt werden kann. Mit Hilfe dieses Verfahrens können jetzt die tatsächlich erreichten Effizienzsteigerungen von neuen Instrumenten nachgewiesen werden. Denn so wichtig die rechnerische Grundlage ist, so wenig kann sie die experimentelle und die klinische Überprüfung der Resultate ersetzen.
Aktuell prüft die Oertli Instrumente AG mehrere Optimierungsvorschläge, die aus dem Projekt entstanden sind. Und rechnet damit, dass diese Innovationen in den nächsten 24 Monaten auf den Markt gebracht werden können.
Das Oertli Ophtha Lab an der Hochschule Luzern
Das Oertli Ophtha Lab dient mit seiner biomedizinischen Expertise als Ideenlieferant für die Forschung und Entwicklung von Oertli. In den hochspezialisierten biomedizinischen Laboren des Instituts für Medizintechnik werden Entwicklungs-, Verifizierungs- und Validierungstätigkeiten wahrgenommen.
Das Lab verknüpft Forschung und Ausbildung: Studierende aus verschieden technischen, medizinischen und biologischen Fachrichtungen erhalten die Möglichkeit, ihre Bachelor- und Masterarbeiten in einem innovativen, kollaborativen und spannenden Forschungslabor durchzuführen.