Vom Akkordeonunterricht über den Einzelgesang bis zum Bandprojekt: Jedes dritte Kind besucht hierzulande eine der vielen Musikschulen. Letztere haben während der Pandemie gleich wie die Volksschulen ihr Angebot aufrechterhalten. Sie mussten jedoch zeitweise auf Online-Formate umstellen und während der strengsten Covid-19-Massnahmen einzelne Formate, zum Beispiel den Grossgruppenunterricht, ganz ausfallen lassen. Um die Auswirkungen auf die Musikschulen per Herbstsemester 2020/21 genauer zu erfassen, haben der Verband Musikschulen Schweiz (VMS) und die Hochschule Luzern bei 391 Musikschulen, die dem VMS angeschlossen sind, nachgefragt. 219 Musikschulleiterinnen und -leiter aus der ganzen Schweiz haben im Rahmen der Umfrage Auskunft zur Situation gegeben.
60 Prozent ohne finanzielle Extra-Unterstützung
132 Musikschulen (rund 60 Prozent) gaben an, im Zusammenhang mit den Covid-19-Massnahmen bisher keine ausserordentliche finanzielle Unterstützung erhalten zu haben. Rund 21 Prozent der Musikschulen bekamen ausserordentliche Mittel der öffentlichen Hand und rund 13 Prozent erhielten Beiträge für Kurzarbeit. Knapp elf Prozent nutzten eigene Finanzreserven zur Überbrückung.
Rückgang der Anmeldungen von teilweise über zehn Prozent
Über die Hälfte der Musikschulen verzeichnete im Herbstsemester 2020/2021 Rückgänge beim instrumentalen und vokalen Einzelunterricht gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Diese Rückgänge betrugen zum Teil bis über zehn Prozent. Im Vergleich dazu fallen die Rückgänge bei anderen Unterrichtsformen geringer aus, etwa beim Gruppenunterricht, bei Angeboten für Ensembles und Grossformationen oder im vorschulischen Bereich: Hier gab etwa jede dritte Musikschule Rückgänge an. «Die Unsicherheiten über die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie spielen für einige Eltern sicher eine Rolle bei der Entscheidung, ob sie ihr Kind an einer Musikschule anmelden» sagt Projektleiter Marc-Antoine Camp von der Hochschule Luzern.
Abbildung 1: Über die Hälfte der Musikschulen verzeichnete im Herbstsemester 2020/2021 Rückgänge beim instrumentalen und vokalen Einzelunterricht gegenüber dem Vorjahreszeitraum. (zum Vergrössern anklicken)
Interesse an Blasinstrumenten und Gesang nimmt ab, Tasteninstrumente legen zu
Besonders viele Musikschulen gaben an, dass die Anmeldungen für Gesangsunterricht bedingt durch die Pandemie zurückgingen (rund 26 Prozent). Knapp elf Prozent der Musikschulen führten den Rückgang hingegen auf einen mehrjährigen Trend zurück. Rund die Hälfte der Musikschulen verzeichnete Anmelderückgänge bei den Holz- und Blechblasinstrumenten. Ein Drittel der Musikschulen ordnete dies zwar einem langjährigen Trend zu, doch mindestens 14 Prozent aller Musikschulen sehen die Pandemie als Grund für den Rückgang in diesen beiden Instrumentengruppen. Laut Projektleiter Camp sei das Singen im Chor und das Spielen von Blasinstrumenten besonders von erhöhten Schutzmassnahmen betroffen gewesen. Entsprechend waren mögliche Ansteckungsrisiken oft ein Thema in den Medien. «Das ist wohl auch ein Grund dafür, warum gerade hier die Rückgänge so hoch sind», erklärt er.
Ganz anders bei den Tasteninstrumenten: «Das Klavierlernen war schon vor der Pandemie im Trend, hat aber vom Lockdown nochmals profitiert», sagt Camp. So schätzten die Musikschulen die Covid-19-bedingte Zunahme bei den Anmeldezahlen auf fast zehn Prozent ein.
Online- und Offline-Massnahmen ergriffen
Um dem Rückgang entgegenzuwirken, haben die meisten Musikschulen spezifische Massnahmen ergriffen: So gewährten knapp drei Viertel der Anbieter flexible Anmeldefristen oder boten erweiterte Schnuppermöglichkeiten an (49 Prozent). Beiden Massnahmen wurde eine besonders positive Wirkung auf die Anmeldezahlen zugeschrieben. Rund die Hälfte der Musikschulen nutzte digitale Kanäle, damit Interessierte die verschiedenen Instrumente kennenlernen konnten. «Das Wesentliche solcher Präsentationsanlässe ist jedoch, dass man die Instrumente auch selbst ausprobieren kann. Daher wurden Online-Massnahmen von den meisten Musikschulen letztlich als weniger wirksam eingeschätzt», erläutert Camp.
Längerfristige Auswirkungen noch offen
«Die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie setzen den Zugang zur musikalischen Bildung als Teil einer umfassenden Bildung unter Druck und gefährden die Chancengleichheit», sagt Christine Bouvard Marty, Präsidentin des Verbandes der Musikschulen Schweiz. Sie sieht die im Rahmen der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse jedoch als gute Basis, um auf die Folgen der Einschränkungen weiter zu reagieren. Gleichzeitig ist die VMS-Präsidentin überzeugt, dass die von den Musikschulen während der Pandemie neu eingeführten Angebote und Massnahmen gewinnbringend in die laufende Weiterentwicklung des Musikschulangebots einfliessen werden.
Abbildung 2: Um dem Rückgang entgegenzuwirken, haben die meisten Musikschulen spezifische Massnahmen ergriffen, z.B. flexible Anmeldefristen oder erweiterte Schnupperangebote. Beiden Massnahmen wurde eine besonders positive Wirkung auf die Anmeldezahlen zugeschrieben. (zum Vergrössern anklicken)
Forschung «Netzbasierter Instrumental- und Vokalunterricht»
Die Umfrage bei den Musikschulen über die wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie ist Teil des Forschungsprojekts «Netzbasierter Instrumental- und Vokalunterricht: Erfahrungen, Herausforderungen, Chancen für die Zukunft» vom Verband Musikschulen Schweiz (VMS) und der Hochschule Luzern – Musik. In einem ersten Teil wurden im August und September 2020 rund 1'500 Musiklehrpersonen über den Unterricht während des Lockdowns befragt. Erste Resultate wurden im Newsletter des VMS im Februar 2021 publiziert.
Im nun vorliegenden zweiten Teil wurden im November und Dezember 2020 die Leitungspersonen der VMS-Mitgliedsschulen zu den musikpädagogischen und wirtschaftlichen Auswirkungen befragt. Zurzeit findet eine weitere Befragung der Musikschulleitenden statt. Die Erkenntnisse sollen dazu dienen, noch gezieltere Massnahmen gegen den Anmelderückgang vornehmen zu können. Die Ergebnisse der gesamten Forschung werden voraussichtlich im Herbst 2021 publiziert.