Digitale Technologien wie Blockchain lösen keine sozialen Probleme, könnten aber die Abläufe in der Sozialhilfe stark vereinfachen. Bild: Getty Images (Download: Bild anwählen, per Rechtsklick speichern)
Wer Sozialhilfe bezieht, überträgt dem Sozialamt eine Vollmacht über seine privaten Daten und verliert damit die Hoheit über sie. Datenschützer kritisieren dieses Verfahren zwar immer wieder, «gleichzeitig wäre es fürs Personal auf den Sozialämtern aber zu aufwändig, Klientinnen und Klienten jedes Mal um Erlaubnis zu fragen, bevor sie deren Daten an Dritte weitergeben», sagt Marc Zimmermann, Dozent am Departement Soziale Arbeit der Hochschule Luzern. Die Zunahme von Sozialhilfegesuchen in der Folge der Corona-Pandemie habe dieses Problem noch verschärft.
Linderung könnte die Einführung von Blockchain bieten, wie das Forschungsprojekt «Social Blockchain» der Hochschule Luzern zeigt. Gemeinsam mit Informatikprofessor Tim Weingärtner und dem Sozialamt Zug untersuchte Marc Zimmermann die Einsatzmöglichkeiten der Technologie im Sozialbereich. Blockchain, so das Projektfazit, könnte die Datenverwaltung nicht nur stark vereinfachen, sondern Sozialhilfebezügerinnen und -bezügern auch die Kontrolle über ihre Daten zurückgeben.
«Die Technologie eignet sich besonders für Anwendungen in sensiblen Gebieten wie dem Sozialwesen, wo der Datenschutz eine grosse Rolle spielt», erläutert Co-Projektleiter Tim Weingärtner. Eine Blockchain besteht aus einer dezentralen Datenbank. Alle daran beteiligten Parteien erhalten eine verschlüsselte Kopie dieser Datenbank, wobei sie nur Zugriff auf für sie freigegebene Bereiche haben. Versucht jemand, sich unerlaubt Zutritt zu den Daten zu verschaffen oder diese zu manipulieren, werden die anderen Parteien automatisch alarmiert.
Persönliche Datenbank verwalten statt Vollmacht erteilen
Das Forscherteam entwickelte das Konzept eines persönlichen Blockchain-basierten Falldossiers fürs Sozialwesen. Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger verwalten die darin vorhandenen Informationen selbst und geben diese bei Bedarf punktuell an die zuständige Behörde frei. Dies kann etwa das Weiterleiten eines Arztzeugnisses ans Sozialamt sein. Die Sachbearbeiterin, die das Zeugnis einfordert, hat keine Einsicht in die komplette Krankengeschichte ihres Klienten, sondern nur in diese eine elektronische Akte.
Der Ablauf der Verfahren in der Sozialhilfe werde durch solche technisch gestützten Mass-nahmen stark vereinfacht, so Tim Weingärtner. Bedürftige Personen müssten keine Voll-machten mehr erteilen, sie könnten sich rascher für soziale Dienstleistungen anmelden, und es bräuchte weniger Amtsgänge, weil sie vertrauliche Daten bei Bedarf selbst freigeben können.
Datenverwaltung erfordert viel Disziplin
Unter der Leitung Weingärtners programmierten Studierende des Master Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Luzern den Prototypen einer App, mit der die Klientinnen und Klienten des Zuger Sozialamts ihr Dossier verwalten können. Ob und wann eine solche App im Regelbetrieb eingesetzt wird, ist allerdings offen. Die Hürden dafür sind hoch, wie Marc Zimmermann sagt: «Viele Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger haben überhaupt keinen Zugang zu Smartphone oder PC.» Selbst wenn, fehlten ihnen oft schlicht die technischen Fähigkeiten und die Disziplin, um das Dossier selbst zu verwalten. Im Kanton Zug haben demnach rund ein Drittel der Sozialhilfe-Klientinnen und -Klienten Mühe, ihre persönlichen Daten verantwortungsvoll zu behandeln oder zu bewahren.
Laut Zimmermann sind auch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter oft nicht genügend versiert im Umgang mit digitalen Technologien, um ihre Klientel bei deren Benutzung zu unterstützen. Die Forschenden der Hochschule Luzern empfehlen daher, Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter auf den Sozialämtern zu sogenannten Datencoachs aus- oder weiterzubilden. Diese Coachs könnten ihren Klientinnen und Klienten dann sowohl das technische Know-how, als auch Management-Fähigkeiten im verantwortungsvollen Umgang mit persönlichen Daten vermitteln.
«Blockchain ist keine Lösung für gesellschaftliche Probleme»
«Der Sozialbereich ist von der Digitalisierung nicht ausgenommen, unabhängig davon, ob es nun um Blockchain geht oder um eine andere Technologie», sagt Marc Zimmermann. «Das Anforderungsprofil von Sozialarbeitenden muss sich somit in Richtung Ausbildner fürs Datenmanagement erweitern.» Führten Sozialdienste Blockchain oder andere digitale Systeme ohne solche flankierenden Massnahmen ein, riskierten sie, ihre Klientinnen und Klienten zu überfordern. Zimmermann betont: «Die technischen Vorteile von Blockchain im Sozialbereich sind klar. Die Technologie bietet aber weder Lösungen für gesellschaftliche Probleme, noch ist sie ein Ersatz für persönliche Gespräche zwischen Sozialarbeitenden und ihren Klienten.»
Hochschule Luzern fördert interdisziplinäre Forschung
An «Social Blockchain» waren die Departemente Soziale Arbeit und Informatik der Hochschule Luzern sowie das Sozialamt des Kantons Zug beteiligt. Die Hochschule Luzern fördert solche disziplinenübergreifenden Forschungsprojekte im Rahmen der Interdisziplinären Themencluster ITC.
Publikation zum Projekt
Das Forschungsteam hat die Erkenntnisse aus dem Projekt in der sozialwissenschaftlichen Buchreihe «Perspektiven Sozialwirtschaft und Sozialmanagement» publiziert:
Freier, C., König, J., Manzeschke, A., Städtler-Mach, B. (Hrsg.) (2021): Gegenwart und Zukunft sozialer Dienstleistungsarbeit. Chancen und Risiken der Digitalisierung in der Sozialwirtschaft, Wiesbaden: VS. springer.com/gp/book/9783658325558