Die Angebote für die frühe Förderung von Kindern unterscheiden sich von Gemeinde zu Gemeinde. Bisher war es in der Schweiz weitgehend unerforscht, wie Eltern von kleinen Kindern die Unterstützung in diesem Bereich nutzen. Die Hochschule Luzern hat gemeinsam mit der Karl-Franzens-Universität Graz die erste Studie veröffentlicht, welche die Sicht der Eltern zur frühen Förderung von Kleinkindern im Alter bis fünf Jahren umfassend aufzeigt. Dafür haben die Studienautorinnen bei 498 Familien aus neun Schweizer Gemeinden eine Befragung durchgeführt (siehe Info-Box). Befragt wurden Familien aus der Mittelschicht, Familien in Sozialhilfe und Familien mit Migrationshintergrund. Die Studie gibt Aufschluss darüber, wie Eltern die öffentlichen Angebote nutzen, inwiefern die Leistungen ihren Bedürfnissen entsprechen und wo Unterschiede bei der Nutzung zwischen den Bevölkerungsgruppen bestehen.
Medizinische Basisangebote werden am häufigsten genutzt
Besonders gut begleitet fühlen sich Familien in der Vorphase ihres Elterndaseins. Das medizinische Basisangebot der Schwangerschaftsvorsorge wird von rund 90% aller Familien genutzt. Hier unterscheidet sich auch das Nutzungsverhalten zwischen den Familien aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen kaum. Anders sieht es bei der nachgeburtlichen Betreuung aus. Während die Mittelschicht (82%) und Familien mit Migrationshintergrund (82%) das weiterführenden Angebot der Wochenbetthebamme noch häufig in Anspruch nehmen, nutzen es nur noch rund zwei Drittel der Familien in Sozialhilfe.
Eine deutliche Ungleichheit zeigt sich auch bei nachgeburtlichen Kurs- und Beratungsangeboten: Sowohl Mütter- und Väterberatungen als auch Rückbildungskurse werden markant häufiger von Familien in der Mittelschicht als von Familien in Sozialhilfe genutzt. Die Befragung hat gezeigt: Solche Angebote sind bei sozial schwächeren Familien entweder gar nicht bekannt oder mit einem zu hohen finanziellen oder organisatorischen Aufwand verbunden. «Diese Ungleichheit ist problematisch. Beratungsangebote und vor allem Wochenbetthebammen sind für die langfristige Entwicklung junger Familien wichtig und sollten von möglichst allen Eltern mit Neugeborenen besucht werden», sagt Prof. Dr. Claudia Meier Magistretti, Co-Autorin der Studie und Dozentin an der Hochschule Luzern.
Nur wenige nutzen die Entlastungsangebote
Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei weiterführenden Angeboten wie Kitas oder bei Hausbesuchsprogrammen. Letztere sollen die Familien entlasten. Während zwischen 30 und 43% der Familien im Mittelstand ihre Kinder in eine Kita schicken, sind es bei Familien in Sozialhilfe nur 20 bis 36%. Auch Hausbesuchsprogramme, welche die Betreuungskompetenzen der Eltern stärken, werden am häufigsten vom Mittelstand genutzt (5 bis 12%).
Obwohl diese Angebote eigentlich für benachteiligte Familien entwickelt werden, nutzen Eltern mit Sozialhilfe solche Leistungen nur selten (2 bis 10%). Noch tiefer liegt der Wert bei Familien mit Migrationshintergrund (2 bis 5%). Bei diesen Angeboten fällt auf: Die Nutzung bewegt sich insgesamt auf einem tiefen Niveau. Das liegt nach den Angaben der Eltern auch hier daran, dass die Angebote entweder nicht bekannt oder zu teuer sind.
Eltern wünschen sich bessere Unterstützung in Notsituationen
Aber welche Angebote werden vermisst? Und auf welche Unterstützung wären die Familien besonders angewiesen? Auch zu diesen Fragen konnten sich die Eltern in der Studie äussern. In den Antworten nahm die Tagesbetreuung von Kleinkindern einen grossen Raum ein. Sehr deutlich wurde der Wunsch nach bezahlbaren oder subventionierten Kita-Plätzen.
Besonders bei finanziell schlechter gestellten Familien machte sich das Bedürfnis nach Tageseltern, die nicht zu teuer sind, bemerkbar. Auch für Kinder unter drei Jahren wünschten sich die Eltern mehr Betreuungsangebote wie Krabbelgruppen oder Spielräume im Quartier, wo sich die Eltern mit kleinen Kindern zum Spielen treffen können. Auch ein breiteres Angebot an Spielplätzen wurde gewünscht. Die meisten Familien haben zum Ausdruck gebracht, dass sie mit den vielfältigen Herausforderungen des Alltags nur knapp zurechtkommen.
Schwierig wird es dann, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht. Deshalb wünschen sich viele Eltern eine bessere Unterstützung in Notsituationen. Vorgeschlagen wurden beispielsweise ein Notfall-Nanny-Dienst bei Krankheit oder eine kostenlose Hotline, an die sich die Eltern in Ausnahmesituationen wenden können.
Frühe Förderung sorgt für bessere Gesundheit
Wie die Studie aufzeigt, hat die eher tiefe Nutzung vieler Angebote der frühen Förderung in erster Linie organisatorische oder strukturelle Gründe. Die Qualität der Angebote wurde von den befragten Familien selten bemängelt. Die Angebote müssten bekannter gemacht und insbesondere noch stärker an die Bedürfnisse der belasteten Familien angepasst werden. Aus der Sicht der Studienautorinnen wäre vor allem eine bessere Kontinuität bei den Angeboten der frühen Förderung wünschenswert. «Es braucht ein möglichst lückenloses Angebot von der Schwangerschaftsvorsorge bis hin zur Kita. Und zwar für alle Bevölkerungsgruppen», so Meier Magistretti.
Die grössten Mängel sehen die Studienautorinnen bei der Unterstützung für Familien in Sozialhilfe. Eine verstärkte Förderung von sozial schwächeren Familien wäre deshalb zentral. Schliesslich fördert die Nutzung von entsprechenden Angeboten sowohl die kognitive Entwicklung der Kleinkinder als auch die Gesundheit der ganzen Familie. Fühlt sich eine junge Mutter gesund, wirkt sich das positiv auf die Entwicklung der Kinder aus. Auch dazu liefert die Studie signifikante Ergebnisse: Das psychische und physische Wohlbefinden der Mütter in belasteten Familien wird durch die Nutzung von Angeboten der frühen Förderung verbessert.
Studie «Angebote der Frühen Förderung in Schweizer Städten»
Die Studie «Angebote der Frühen Förderung in Schweizer Städten – AFFiS» der Hochschule Luzern und der Karl-Franzens-Universität Graz hat die Nutzung, den Nutzen und Aspekte der längerfristigen Wirkung von Angeboten im Bereich der Frühen Förderung aus Sicht der Eltern untersucht. Das Forschungsprojekt wurde unterstützt durch den Integrationskredit des Bundes (SEM). Die Studie zeigt auf, wie Eltern von Kleinkindern Angebote der frühen Förderung in der Schweiz wahrnehmen und welchen Nutzen sie für ihre Familie daraus ziehen. Dazu wurden insgesamt 498 Familien aus drei Teilgruppen befragt: Mittelschichtfamilien, Familien in Sozialhilfe und benachteiligte Familien mit Migrationshintergrund. An der Studie haben sich neun Deutschschweizer Städte und Gemeinden beteiligt: Adliswil, Baar, Chur, Emmen, Horw, Luzern, Pratteln, Schaffhausen und Zug. Die Gemeinden wurden so ausgewählt, dass grössere, kleinere, städtische, ländliche, ärmere und kleinere Gemeinden bzw. Städte repräsentiert sind. Die Studie soll unter anderem dazu dienen, gemeinsam mit den beteiligten Gemeinden und weiteren Akteuren Lösungen zu erarbeiten, wie eine Kontinuität in der frühen Förderung hergestellt werden kann. Entsprechende Modelle haben sich unter anderem in Österreich bereits bewährt.