Am 16. Mai 2018 fand die 7. Luzerner Tagung zum Kindes- und Erwachsenenschutz zum Thema «Angehörige – Chance oder Risiko?» unter Leitung der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit statt. Fachpersonen aus der Sozialen Arbeit, dem Recht, der Psychologie und weiteren Disziplinen zeigten auf, inwiefern Angehörige oder Fachpersonen im Kindes- und Erwachsenenschutz die geeigneteren Helferinnen und Helfer sind.
Angehörige im Kindesschutz: Vor- und Nachteile
Andreas Jud, Hochschule Luzern sowie Universitätsklinikum Ulm, fokussierte in seinem Referat auf die Situation im Kindesschutz aus einer Forschungsperspektive. Seit dem Fall Flaach wird in der Öffentlichkeit die Frage diskutiert, inwiefern gefährdete Kinder bei Angehörigen oder in einem professionellen Setting platziert werden sollten. Vorteile einer Platzierung bei Angehörigen seien, dass die Kinder sich weiterhin zum Familiensystem zugehörig fühlten und zu Beginn zumindest geringere Anpassungsprobleme bestünden, u.a. auch weil die Eltern eher für eine Platzierung bei Angehörigen gewonnen werden könnten. Nachteile seien, dass mittelfristig mehr Schwierigkeiten im Umgang mit den Eltern entstünden und geringe Aufsicht über die Umsetzung der Erziehung bei Angehörigen erfolge. Dies auch, weil Angehörige weniger Unterstützung bei Fachleuten suchen würden. Zur KESB sagte er: «Die KESB ziehen Angehörige besonders häufig in ihr Verfahren mit ein. Das ist gut und wichtig.»
Angehörige im Erwachsenenschutz im Schweizer Recht
Christiana Fountoulakis, Universität Freiburg i.Ue., zeigte in ihrem Referat zur Angehörigenvertretung im Erwachsenenschutz auf, dass das revidierte Recht an vielen Orten die Selbstbestimmung und die familiäre Solidarität als wichtige Grösse betrachtet. Dazu gehören die Wahl des Beistandes, die der Betroffene weitgehend bestimmen kann, die Vertretung bei medizinischen Massnahmen, beim Abschluss eines Heimvertrages, in vermögensrechtlichen Angelegenheiten (Ehegatte), mittels eines Vorsorgeauftrages oder einer Patientenverfügung. Hinzu kommen allgemeine erbrechtliche und obligationenrechtliche Möglichkeiten, um nahestehende Personen zu begünstigen (z. B. das Testament, die Stellvertretung).
Zudem ging Christiane Fountoulakis auf die aktuell lancierte KESB-Initiative ein: «Die Initiative erinnert an die Familienvormundschaft des alten Vormundschaftsrechts, die praktisch kaum angewendet wurde, weil es die Familien selber nicht wollten.» Zudem gab sie zu bedenken: «Mehr Angehörigenvertretung bedeutet immer auch mehr Interessenkollisionen und damit häufigeres Einschreiten der KESB. Bei Interessenkollisionen entfallen nämlich die Vertretungsrechte immer automatisch».
Blick über die Schweiz hinaus
Daniel Rosch, Hochschule Luzern, beleuchtete die internationalen Trends zur Angehörigenvertretung im Erwachsenenschutz: Der Umgang des Rechts mit Angehörigen hängt auch mit dem Familienverständnis, den finanziellen Möglichkeiten und dem Staatsverständnis einer Gesellschaft zusammen. «Es ist davon auszugehen, dass Länder, welche auch im Staatsverständnis stark auf die Familienstruktur setzen (z. B. China, Japan) und eine zunehmend ausgebaute Staatsverwaltung haben, zunehmend auch Fachpersonen wegen Missbrauchserfahrungen einsetzen. Demgegenüber prüfen Länder, deren Gesellschaft sich vom kleinbürgerlichen Familienmodell durch die zunehmende Individualisierung schrittweise von der Familie entfernen (wie Deutschland, Österreich und die Schweiz), vermehrt automatische Vertretungsmöglichkeiten durch Angehörige» so Rosch. Begründet werde dieser Trend oft mit der Praktikabilität, der Familiensolidarität, aber auch mit der Entlastung des Staates, durchaus auch um zu sparen. Diese Entwicklungen untersucht Rosch zurzeit in einem Forschungsprojekt.
Zum Verhältnis von Angehörigen und Fachpersonen sagte er: «Angehörige können zweifellos eine Ressource sein». Nicht aber in jedem Fall: Es stellten sich hier Fragen, wie Übergriffe und Missbrauch verhindert werden können. Die KESB habe eine sorgfältige Interessenabwägung zu machen, ob im Einzelfall eher ein Angehöriger oder eine Fachperson eingesetzt wird. «Die aktuelle KESB-Initiative geht hier zu weit. Unsere idealisierten Bilder zur Familie behindern zuweilen einen nüchternen Blick auf die Tatsachen.»
Luzerner Tagung zum Kindes- und Erwachsenenschutz
Die Hochschule Luzern – Soziale Arbeit hat am 16. Mai 2018 zur 7. Luzerner Tagung zum Kindes- und Erwachsenenschutz unter dem Thema «Angehörige – Chance oder Risiko» eingeladen. Es wurde der Frage nachgegangen, welche Chancen und Risiken sich für die Betroffenen durch den Miteinbezug ergeben, worauf Forschungsergebnisse im Kindesschutz hinweisen und auf welchen rechtlichen Konzepten die Vertretung durch Angehörige im Erwachsenenschutz basieren. Neben Fachreferaten legten sowohl Betroffene als auch Angehörige ihre Sichtweise dar. Weitere Informationen sind hier zu finden.