«Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Lohn? Und wie zufrieden sind Sie damit, wie Sie Ihr Vorgesetzter behandelt?» – wer glaubt, dass solche Fragen in Werkstätten für Menschen mit Behinderung nicht gestellt werden, liegt falsch. Mitarbeiterbefragungen haben sich auch in solchen Betrieben längst etabliert, denn die meisten Institutionen sind heute gesetzlich oder durch Qualitätsvorgaben der Kantone dazu verpflichtet. Wie sie die Arbeitszufriedenheit aber erfassen, wird den Institutionen überlassen.
Grosses Interesse bei Institutionen
«Viele der Institutionen waren mit den gängigen Befragungsinstrumenten nicht zufrieden», sagt Projektleiter René Stalder von der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Die Daten waren wenig aussagekräftig, Handlungsempfehlungen liessen sich daraus nur schwer ableiten. «Die Herausforderung ist, dass Menschen mit einer Behinderung ihre Arbeitszufriedenheit teilweise nicht gleich ausdrücken oder anders verständlich machen können, als Menschen ohne Behinderung», sagt Stalder. Auch stehen für sie womöglich andere Themen im Vordergrund. Deshalb haben er und sein Team ein Befragungsinstrument entwickelt, das die Bedürfnisse und Entwicklungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung besser abbildet.
Ein Ampelsystem weist den Weg
In enger Zusammenarbeit mit Fachpersonen und Betroffenen aus den drei Institutionen Stiftung Brändi, Triva Luzern und Zuwebe Baar entstand ein breit abgestützter Kriterienkatalog mit 22 Themen. Dazu gehören unter anderem physische und psychische Anforderungen, Lohn, Verhalten von Vorgesetzten oder Arbeitszeit. Anhand der Themen wurde ein neuer Fragebogen erarbeitet. Anders als bei herkömmlichen Befragungsinstrumenten werden dabei zu jedem Thema zwei Fragen gestellt: a) Wie zufrieden sind Sie mit diesem Punkt bei Ihrer Arbeit? und b) Wie wichtig ist Ihnen dieser Punkt? Dort, wo eine starke Gewichtung und eine schlechte Bewertung zusammenkommen, besteht Handlungsbedarf. Abgebildet wird dies in einem Ampelsystem: «Das System mit Markierungen in rot, orange und grün zeigt auf einen Blick, wo man individuell ansetzen oder innerhalb der Institution eine Veränderung herbeiführen muss», sagt Stalder.
Acht Institutionen testeten den Fragebogen im Frühling 2017 mit 750 Personen. Er richtet sich an Menschen mit leichter bis mittlerer Beeinträchtigung, und es gibt ihn in zwei Ausführungen: Für Personen, die ihn selbständig ausfüllen können und für Betreuerinnen und Betreuer, welche Mitarbeitende von Werkstätten befragen. Beide Varianten wurden durch ein auf «leichte Sprache» spezialisiertes Büro bearbeitet. Das Befragungsinstrument soll künftig schweizweit Anwendung finden.
Überraschende Befunde
Die Testbefragungen zeigten, dass die Mitarbeitenden in Werkstätten grundsätzlich sehr zufrieden sind. Als besonders wichtig erachten sie das Verhalten der Vorgesetzten, Wertschätzung und Unterstützung, aber auch die Möglichkeit, mitzureden und sich stark im Arbeitsprozess einzugeben. Es gab auch überraschende Befunde: «Im Unterschied zu vielen Menschen ohne Behinderung ist etwa «Job rotation», also viel Abwechslung, weniger gefragt», sagt Stalder. Auch der Lohn ist widererwarten ein grosses Thema für die Mitarbeitenden: «Das Thema Lohn wurde erst in den Befragungen oft gar nicht in Erwägung gezogen, da dieser grundsätzlich gesetzlich vorgegeben ist und nicht existenzsichernd, sondern als Zustupf gedacht ist», so Stalder. Die Befragung zeige, dass neue Ansätze, wie beispielsweise gewisse Handlungsspielräume in der Entlohnung für die Mitarbeitenden, durchaus zu prüfen sind.
Weitere Fragebogen und Online-Tool geplant
In einem nächsten Schritt will die Hochschule Luzern gemeinsam mit interessierten Institutionen auch ein Instrument für Menschen entwickeln, die schwer beeinträchtigt sind und sich schlecht artikulieren können. Zudem ist ein Online-Tool in Planung, um Erfassung und Auswertung der Fragebogen zu automatisieren.
Bild: Stiftung Brändi