Für die Familienfeier kommen die Tassen vom Nachbarn, ebenso Stühle und Teller. Für die Abholung der Kuchen beim Bäcker wird ein Mobility-Auto reserviert. Ein üblicher Vorgang, nicht neu, nicht alt. Einfach ganz normal.
Dennoch: Die Sharing Economy, die Wirtschaft des Teilens, gilt als Bewegung, die ganze Städte in Aufbruch brachte. Vor allem solche, die wenig Platz haben. In der südkoreanischen Hauptstadt etwa leben auf 606 Quadratkilometern zehn Millionen Einwohner. Seoul ist damit viermal dichter besiedelt als München oder Zürich. Platz ist Mangelware – und soll geteilt werden. Dafür stellt die Stadt ausserhalb der Bürozeiten die Parkflächen ihrer Angestellten den Anwohnern zur Verfügung. Im Gegenzug sollen diese ihre Flächen freigeben, wenn sie selbst auf der Arbeit sind. Würden nur schon fünf Prozent der leeren Stellflächen so geteilt werden, könnten bis zu 1’860 Parkplätze eingespart werden, rechnet Bürgermeister Park Won- Soon vor. Kostenpunkt: null Rappen.
Die Stadt als Sharing-Zentrum
Auch sonst wird in Seoul alles geteilt: Autos, Wohnungen, Büros und die passende Kleidung dafür. Die Metropole ist auch deshalb zur Sharing City geworden, weil die Koreaner die Kultur des Teilens, Pum-a-si genannt, seit Jahrhunderten kultivieren. Schon immer haben sie Essen mit den Nachbarn geteilt, sich gegenseitig Werkzeug ausgeliehen oder bei der Ernte geholfen.
Seoul zeigt zweierlei: Menschen haben schon immer geteilt. Und Städte haben das schon immer gefördert. Städte wurden zum Teilen gegründet, denn was ist Handel anderes als Tauschen? Auch ein Marktplatz ist Raum, den sich alle teilen. Noch heute sind Städte Zentren der Teil-Bewegung: In 600 Städten weltweit gibt es Car- oder Bikesharing, die Wohnungsvermittlungsplattform AirBnB bietet ihre Angebote vor allem in urbanen Räumen an. Auch die EU unterstützt Städte, die sich dem Teilen verschreiben, im Programm Sharingcities.eu mit 24 Millionen Euro.
Teilen über Kontinente hinweg
Doch etwas ist heute anders: Geteilt wird nicht mehr nur mit der Familie, dem Nachbarn und anderen Einwohnern. Geteilt wird über Länder und sogar über Kontinente hinweg. «Die alte Bewegung wird durch die Plattform des Internets verstärkt», sagt Dominik Georgi vom Institut für Kommunikation und Marketing IKM der Hochschule Luzern. «Entstanden ist ein neuer Markt, der 2015 schon 15 Milliarden Dollar umgesetzt hat und dem auch in der Schweiz über hundert Unternehmen angehören. Die Tendenz ist weiterhin steigend. » Trotzdem sagt Georgi: «Ich würde die Schweiz nicht als Vorreiterin des neuen Sharing-Trends bezeichnen. Die Konzepte sind meist auf kleinräumige Initiativen in Städten beschränkt. Dabei ist die Schweiz eine Sharing-Nation, Genossenschaften spielen seit jeher eine grosse Rolle. Und Mobility hat Carsharing quasi erfunden, und wächst seither stetig weiter. Eine Erfolgsgeschichte.»
«Eine Stadt kann Sharing- Initiativen gezielt unterstützen. Die Einbindung der bestehenden Angebote ist dabei wichtig.»
Gemeinsam mit Kollegen des Departements Wirtschaft hat Georgi das Forschungsprojekt «ShareCity» ins Leben gerufen. Sie haben Angebote analysiert, Entscheidungsfaktoren und Wirkungen untersucht und davon abgeleitet, wie Städte Sharing nutzen, fördern, aber auch reglementieren können. Denn natürlich sind die grossen Spieler auch hierzulande aktiv – und mit ihnen kommen grosse Probleme: AirBnB ist so erfolgreich, dass Wohnungen nicht mehr fallweise vermietet, sondern ganzjährig als Ferienwohnungen genutzt werden. Die Plattform schadet damit, wie der Fahrdienst Uber, etablierten Wirtschaftszweigen. Manche sehen das als Konkurrenz, andere als Aufweichen erkämpfter Standards – Stichwort Hygiene in Hotels oder geregelte Arbeitsplätze von Taxifahrern. Zudem bringen Firmen wie oBike die ganze Bewegung in Misskredit, wenn sie Städte mit Velos vollpflastern, aber in Wirklichkeit nur an den Kundendaten der Nutzer orientiert sind, die sie auch noch schlecht vor Missbrauch schützen.
Am Beispiel St. Gallen durchgespielt
Um das Problem an einer Stadt durchzuspielen, haben Dominik Georgi und sein Team mehrere Schweizer Städte angesprochen. Am schnellsten hat St. Gallen reagiert und ist deshalb Modellstadt geworden. Bereits gab es verschiedene Workshops, die Wirtschaftsvertreter, Sharing-Organisationen und Stadtverwaltung an einen Tisch brachten. Als dritter Partner neben der Hochschule Luzern und Vertretern der Stadt nehmen der Schweizerische Städteverband und das Büro für Mobilität am Projekt teil. Diese Gruppe vertritt die Städteperspektive sowie die der Sharing Economy mit Organisationen wie der Crowdsourcing-Plattform crowdwerk.ch, den Fahrzeugverleihern Mobility und Sharoo, der Talentebörse skillharbour.com oder dem Netzwerk sharecon.ch. St. Gallen ist von Natur aus nicht unbedingt prädestiniert, Sharing City zu sein. Es gibt Städte, die ökologischer orientiert sind und schneller Trends aufgreifen. Aber auch hier zeigt sich wie im Kleinen: Es kommt auf die Einzelnen an. Und in der Stadtverwaltung St. Gallen finden sich Mitarbeitende, die innovative Ideen vorantreiben.
«Städte können auf verschiedenen Ebenen eingreifen», sagt Georgi. «Sie können eine Plattform bieten, Vertrauen fördern, Angebote bekanntmachen, selbst bereitstellen oder ihnen Raum geben.» «Wichtig ist, dass die Stadt nicht eigenmächtig eine Strategie entwirft, sondern die bestehenden Angebote in ihre Arbeit einbezieht.» Deshalb hat sein Team in einer repräsentativen Umfrage die Bevölkerung nach ihren Bedürfnissen gefragt, aber auch mit Experten gesprochen. «Im April bringt ein Sharing-Tag wieder alle Beteiligten zusammen und soll dem Thema zum Durchbruch verhelfen», so Karin Hungerbühler, stellvertretende Leiterin des Amtes für Umwelt und Energie der Stadt St. Gallen und Koordinatorin des Projektes in St. Gallen (siehe Interview).
«Sharing-Angebote müssen vertrauenswürdig sein. Prüfsiegel helfen dabei.»
Vertrauen ist sehr wichtig
Wichtigste Erkenntnis bisher: Sharing basiert auf Vertrauen. Man wird nur demjenigen sein Auto leihen, der damit ordentlich umgeht, und nur dessen Werkzeug nutzen, der es gut pflegt. «Ein Angebot muss vertrauenswürdig sein», so Georgi. «Zusätzlich kann auch ein Regelwerk oder ein Prüfsiegel Vertrauen schaffen.» Wenn es einer Plattform überdies gelingt, attraktiv oder «cool» zu wirken und ein Gemeinschaftsgefühl zu fördern, hat sie gute Chancen, erfolgreich zu sein. Doch Vorsicht: Zwar halten 80 Prozent aller Befragten Sharing für eine gute Sache und 70 Prozent glauben, dass die Angebote von anderen genutzt werden könnten, aber nur 40 Prozent gehen selbst davon aus, diese zukünftig zu nutzen.
Trotzdem ist das Angebot gross. Geteilt werden materielle Güter wie Immobilien oder Fahrräder, aber auch Essen wie bei der RestEssBar oder der Äss Bar in St. Gallen, die Lebensmittel aus Läden sammeln und weitergeben beziehungsweise weiterverkaufen. Die Reparierbar veranstaltet Treffen, an denen Geräte oder Textilien gemeinsam wieder in Stand gesetzt werden. Benevol St. Gallen vermittelt Freiwilligenarbeit. Die Leihenden und die Verleihenden können Privatpersonen sein oder Unternehmen. Mal wird ein Gut gemeinsam angeschafft und genutzt, mal nur an andere vermittelt. Mal ist dafür ein ausgefeilter Vertrag nötig, mal braucht es gar keinen, etwa wenn ein Ausflug geplant wird. Manchmal will die Plattform mit dem Vermieten Geld verdienen, manchmal arbeitet sie ehrenamtlich.
Ähnlich widersprüchlich ist auch die Sachlage, wenn man sich die Wirkung von Sharing anschaut. Zentral ist der Aspekt der Nachhaltigkeit, den Nutzer immer wieder für sich beanspruchen. Doch widersprechen sich die Aspekte der ökologischen, der ökonomischen und der sozialen Nachhaltigkeit. So ist es ökologisch, wenn durch Carsharing weniger Autos produziert werden und auf den Strassen rollen, aber es schadet der Wirtschaft. Es kann aber auch sein, dass jemand vom ÖV auf Carsharing umsteigt. «Dieser sogenannte Rebound- Effekt, der die positiven Effekte wieder aufhebt, schadet dann», sagt Georgi.
Zeit, Geld und Aufwand sparen
Gespart werden kann Geld, aber auch Zeit oder Aufwand – so werden etwa Sharing- Angebote nur genutzt, wenn der Aufwand nicht überdimensional zunimmt. Viele Nutzer von AirBnB begründen hingegen ihr Interesse am Angebot damit, dass sie an den Ferienorten Menschen kennenlernen würden, etwa wenn der Besitzer der Wohnung sich ausgiebig um seine Gäste kümmert. Wenn deswegen jemand aber öfter in die Ferien fährt oder sogar fliegt, weil er sich das jetzt finanziell leisten kann, dann hilft das der Ökonomie, aber nicht der Umwelt. Zum Aspekt des Aufwands kommt die Verfügbarkeit: Wo kein Bike ist, kann ich keines mieten, und wenn auf der Website der Zeitbörse in St. Gallen viele Menschen Freiwilligenarbeit anbieten, aber nur wenige sich trauen, sie zu nutzen, laufen die Angebote ebenfalls ins Leere.
Regeln können das Sharing begrenzen. So gehen Städte wie New York, Barcelona, München, Berlin und Hamburg, aber auch Mallorca mit Zweckentfremdungsverboten gegen AirBnB vor. Aber sie können auch positiv Einfluss nehmen: So gibt es in den USA 2000 Kilometer Fahrspuren nur für Fahrgemeinschaften, in Linz wurden Busstreifen geöffnet. Erreichen die Fahrgemeinschaften das Ziel schneller, kann das ein Ansporn sein, Mitfahrende zu suchen und damit auch Skeptiker zu überzeugen, von Teilangeboten Gebrauch zu machen.
In Nachbarschaften kann sich Vertrauen schneller aufbauen, weil man sich kennt. Deshalb hat die Stadt St. Gallen das Quartier Remishueb ausgewählt, um dort Sharing-Projekte zu testen. So wurde ein Standort von Carvelo2go etabliert, über die Lastenvelos ausgeliehen werden können. Und die «Remis-App» ist in Arbeit, in der die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Produkte und Dienstleistungen zum Tauschen platzieren können. Damit ist Sharing wieder dort, wo es angefangen hat: bei der Hilfe unter Nachbarn.
Wichtige Sharing-Treiber
Sharing-Angebote werden vermehrt genutzt, wenn das eigene soziale Umfeld diese kennt, die Angebote vertrauenswürdig sind und Spass machen. Auch sollte Sharing einen funktionalen, ökologischen oder sozialen Nutzen bringen. Zudem spielt die Persönlichkeit eine Rolle: Menschen mit hohem Umwelt- und sozialem Bewusstsein neigen eher zu Sharing.
Hier geht es zum Interview mit Karin Hungenbühler, Stv. Leiterin Amt für Umwelt und Energie der Stadt St. Gallen.
Autorin: Valeria Heintges
Fotos: Mobility Genossenschaft, Jean-Claude Jossen, Keystone / Gaëtan Bally, Airbnb