Ich sitze im Zug auf dem Weg zum Flughafen und frage Poncho, ob ich in Edinburgh einen Regenschirm brauche. Denn dort fliege ich hin. «Hey Barbara! Nein, in Edinburgh scheint die Sonne, du hast Glück», antwortet Poncho, meine Wetter-App, umgehend. Wir plaudern noch ein bisschen, und er erzählt, dass er gerade Tee kocht. Wenn ich es nicht besser wüsste, käme ich kaum auf die Idee, dass ich mich mit einem Roboter unterhalte. Doch es ist einer, ein chattender Roboter, Chatbot genannt: Diese sprechen uns mit Namen an, mündlich oder schriftlich, und vermitteln den Eindruck, dass wir mit einem Menschen, ja vielleicht gar mit einem Freund, kommunizieren.
Chatbots sind keine ferne Zukunftsvision: Sie sind teilweise bereits im Einsatz und übernehmen bei immer mehr Firmen die Kundenkommunikation. Beispiele dafür sind Transportunternehmen wie Swiss, Banken wie Postfinance oder Credit Suisse, Online- Shops wie H&M und Zalando oder News- Dienste wie «Welt». «Allein im Facebook Messenger sind weltweit bereits über 100’000 Chatbots im Einsatz», sagt Darius Zumstein, Forscher und Dozent am Institut für Kommunikation und Marketing der Hochschule Luzern. Wie viele Chatbots zusätzlich in Apps eingesetzt werden, sei nicht bekannt. Zahlen dazu gebe es keine, auch nicht für die Schweiz. Aber Zumstein weiss: «Bei vielen grösseren Schweizer Firmen laufen derzeit Tests, und einige wenige setzen sie bereits produktiv ein.
Master-Arbeit zu BLS-Chatbot
Seit April 2017 hat das Bahnunternehmen BLS einen Chatbot im Einsatz. Fragt man in der BLS-App den Fahrplan ab, wird man mit Namen begrüsst und führt ein virtuelles Gespräch. Noch bietet die Anwendung keinen Mehrwert gegenüber einer herkömmlichen Fahrplan-Abfrage. Doch sie soll weiterentwickelt werden. Denn der Chatbot könnte viel mehr als über Fahrplan und Tickets Auskunft geben: Er weiss, wo sich die Reisenden befinden, und kann sie daher gezielt über Verspätungen informieren, Alternativrouten vorschlagen oder mitteilen, wo der Speisewagen ist.
96 Prozent der Kundinnen und Kunden wünschen sich einen solchen virtuellen Reisebegleiter. Dies hat die ehemalige Hochschulstudentin Sophie Hundertmark in ihrer Master-Arbeit zum Einsatz von Chatbots bei der BLS herausgefunden. Dafür hat sie Nutzer des Prototypen, BLS-Kunden und Mitarbeitende der Kundenzentren befragt. Die Studie wurde an einer internationalen Konferenz als «Outstanding Paper» ausgezeichnet und zeigt auch: Manche Nutzer fürchten eine Informationsüberflutung und wollen Meldungen nur auf Anfrage erhalten.
Viele der befragten Kunden wünschen sich einen digitalen Reisebegleiter, aber ohne Informationsüberflutung.
«Die Studie hat uns darin bestärkt, den Chatbot zu lancieren», sagt Produktmanagerin Jessica Jenni von der BLS. Vor allem, weil sie zeige, dass die Akzeptanz von Chatbots in der Bevölkerung steige und weil diese einfache und strukturierte Abfragen übernehmen könnten. «Die repetitiven Anfragen kann der Chatbot erledigen, während die Kundenberater sich auf komplexere Aufgaben konzentrieren können», sagt Jenni. Für den Chatbot spreche auch, dass das Format Ähnlichkeiten zu SMS oder Whatsapp aufweise und somit auch älteren Nutzern vertraut sei.
Die Kunden besser kennen
Die Chancen und Risiken dieser neuen Technologie sind vielfältig, sowohl für die Nutzer als auch für die Unternehmen. Als einen der wichtigsten Vorteile für Firmen erachtet Darius Zumstein den Zugang zu Kundendaten. «Die Kehrseite der Medaille ist, dass sensible Daten missbraucht werden können und die Firmen in Datensicherheit investieren müssen.» Ähnlich zweischneidig ist die Einsparung von Supportkosten, wenn Kundenberater an Schaltern oder Hotlines teilweise durch Chatbots ersetzt werden. «In gewissen Branchen wird das nicht ohne Stellenabbau oder Verschiebungen gehen», lautet Zumsteins Hypothese.
Das Chatten mit Robotern wird unsere Kommunikationskompetenzen nachhaltig verändern.
Soziale Isolation
Für die Kundinnen und Kunden bieten die Chatbots einen beeindruckenden Service: Rund um die Uhr und überall auf der Welt erhalten sie in Sekunden eine Antwort. Allerdings nur dann, wenn die Chatbots gut programmiert und ausgereift sind. Sonst lassen sie verärgerte Kunden zurück oder müssen gar zurückgenommen werden, wie etwa Tay, ein Chatbot von Microsoft, der innert Stunden zum Rassisten mutierte. Denn die meisten Chatbots lernen im Kontakt mit den Usern dazu. Dabei kann auch unerwünschtes Verhalten gelernt werden.
Doch was macht es mit uns, wenn wir immer mehr mit Robotern kommunizieren, die sich als Mensch ausgeben? Für Darius Zumstein ist klar: «Das Risiko der sozialen Isolation besteht, unsere Kommunikationskompetenzen werden verändert und auf die Probe gestellt.» Eine weitere Herausforderung sieht Zumstein im Umgang mit den digitalen Verweigerern: «Schliessen wir sie von den Angeboten aus?» Er geht davon aus, dass die Chatbots verstärkt Einzug halten werden in unserem Alltag. «Aber vielleicht werden sie sich nicht ganz so radikal durchsetzen, wie zurzeit erwartet wird.
Autorin: Barbara Spycher