Interdisziplinarität: Mit Forschung Grenzen überwinden
Forschung gehörte von Anfang an zum Leistungsauftrag der Fachhochschulen. Am Beispiel des Departements Technik & Architektur zeigt sich, wie sich dieser Bereich entwickelte und welche Rolle die Interdisziplinarität an der ganzen Hochschule Luzern spielt. Anfänglich umstritten, wurde sie rasch zu einem Erfolgsrezept.
Die meisten Menschen verbinden mit der «Bologna-Reform» die Umstellung auf das europaweit einheitliche Bachelor- und Mastersystem. Doch die Hochschulreform, die 2005 in der Schweiz eingeführt wurde, beeinflusste nicht nur die Ausbildung, sondern hatte auch grosse Auswirkungen auf die Forschung an den Fachhochschulen. Um ihre Master-Studierenden mit wissenschaftlichem Arbeiten vertraut machen zu können, müssen die Schulen nun «ihren Mittelbau» mit Assistierenden und Wissenschaftlichen Mitarbeitenden ausbauen und den Master- Studierenden entsprechende Aufgaben stellen. Nach 2005 soll eine Masterarbeit 800 Stunden umfassen – jede Menge Unterstützung für die Forschenden. «Forschung war vor der Bologna-Reform nur Beigemüse zur Lehre», sagt Zeno Stössel. Heute Leiter Wissens- und Technologietransfer am Departement Technik & Architektur, erlebte Stössel damals als erster Vizedirektor Forschung, wie mehr als zwölf Kompetenzzentren (CC) aufgebaut werden.
Gebäude als System ist gemeinsamer Nenner
Die Kompetenzzentren hätten der Forschung einen viel höheren Stellenwert gegeben, sagt Stössel rückblickend. «Unser Ziel war es, den Bereich Technik & Architektur von anderen Fachhochschulen unterscheidbar zu machen. Ein Plus war die Gebäudetechnik, sie existierte nur bei uns als eigenständige Abteilung.» Auch im Fassadenbau und im konstruktiven Ingenieurbau konnte man schon vor der Bologna-Reform auf Erfolge verweisen, und man ahnte das Potenzial der Forschung in Gebäudetechnik und Architektur. Gebäudeautomation und intelligente Gebäude waren schon damals «heisse Themen». Der Schwerpunkt «Gebäude als System» umfasste all diese Aspekte und ist doch offen genug für Neues, das die Zukunft bringen würde.
Interdisziplinäre Schwerpunkte
Die Hochschule Luzern hat in den vergangenen acht Jahren die Thematik Interdisziplinarität als strategisch wichtigen Bereich entwickelt. Nach der Pilotphase 2009 bis 2013 mit drei «Interdisziplinären Schwerpunkten» (IDS) wurde ab 2014 der «Bereich Interdisziplinarität» aufgebaut, der die IDS begleitet und das Gebiet strategisch ausbaute. In einer dritten Phase 2018–2023 werden die IDS durch zwei «Interdisziplinäre Themencluster» ersetzt: Gesucht sind jetzt zwei für Lehre und Forschung geeignete, übergeordnete Schwerpunkte mit interdisziplinärem und internationalem Potenzial.
1. Tourismus und nachhaltige Entwicklung (TunE):
Der IDS fördert einen umweltverträglichen, sozial gerechten und wirtschaftlich sinnvollen Tourismus. Forscher aus allen Departementen der Hochschule Luzern widmen sich den vier Hauptaspekten Ressourcen, Technologie, Gestaltung und Partizipation. Diese Aspekte sind zwar ausserhalb des Tourismus entstanden, können aber auf diesen übertragen werden und neue Lösungsansätze bringen.
2. Datenwelten:
Der IDS Datenwelten möchte anhand konkreter Beispiele aufzeigen, wie aus Daten Werte geschaffen werden können. Die Besonderheit des IDS liegt in seiner interdisziplinären Sicht auf die nachhaltige Wertschöpfung aus Daten. Der Begriff «nachhaltige Wertschöpfung» ist dabei sehr breit zu verstehen und steht für wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Dimensionen der Daten.
3. Kooperation Bau und Raum (KoBRa):
Wie lassen sich Ressourcen im Zusammenhang von Bau und Raum optimal einsetzen, um geteilten Mehrwert zu erzielen? Mit dieser Frage setzt sich der Interdisziplinäre Schwerpunkt Kooperation Bau und Raum auseinander.
Interdisziplinarität schon im Namen
«Gebäude als System» trägt die Interdisziplinarität bereits im Namen und bietet die Möglichkeit, viele Spezialisten aus den Bereichen Bau, Technik und Architektur unter einem Thema zu vereinen. Anfänglich sehen Informatik- und Elektrotechnik- Ingenieure ein zu starres Korsett – aber Entwicklungen wie die Automation oder die Digitalisierung schaffen schon bald einen breiten Zugang zum Thema. So wird 2008 das iHomeLab eröffnet, in dem Forschende untersuchen, wie das Wohnen von morgen durch «intelligente» Gebäude komfortabler, sicherer und erst noch energiesparender werden kann.
Die Architektinnen und Architekten hatten anfänglich sogar Zweifel, ob es auf ihrem Gebiet überhaupt Forschung geben könne. Heute hat sich das Kompetenzzentrum Typologie & Planung in Architektur CCTP über die Schweizer Grenzen hinaus eine Expertise in der Erforschung von Arbeitswelten und von nachhaltigen Entwicklungsstrategien für Gebäude und Quartiere erarbeitet. Auf dem Gelände der Empa in Dübendorf im Forschungszentrum NEST (Next Evolution in Sustainable Buildings Technologies) wird in einer eigenen Gebäudeeinheit, dem Modul «Meet- 2Create», erforscht, wie die Bürowelten der Zukunft aussehen könnten, unter welchen Bedingungen Mitarbeitende kreativ und doch in Ruhe arbeiten können. Parallel dazu laufen in dieser Einheit Untersuchungen zur Steuerung von Gebäudetechnik und zu Energiekonzepten.
Solar Decathlon: Internationaler Wettbewerb
NEST und das Modul «Meet2Create» sind Paradebeispiele dafür, wie sehr die Idee der Interdisziplinarität in der Forschung zukunftsweisend war. «Bauen ist heutzutage so komplex, dass es ohne fächerübergreifende Zusammenarbeit schlicht nicht mehr geht», sagt Peter Schwehr, Leiter des CCTP. Deshalb wird Interdisziplinarität in der Forschung praktiziert und in der Lehre unterrichtet. Studierende aus acht Fächern – Architektur, Innenarchitektur, Bau- und Gebäudetechnik, Wirtschaftsingenieur | Innovation, Informatik sowie Elektro- und Maschinentechnik – entwerfen mit Partnern aus der Wirtschaft das Wohngebäude your+, um 2014 am internationalen Wettbewerb für innovative Solarhäuser Solar Decathlon teilzunehmen. Um das zu ermöglichen, werden sogar Lehrpläne umgestellt. «Diese Verbindung von Forschung und Lehre und ein starker Einbezug der Praxis entsprechen genau dem Berufsalltag, der unsere Studierenden später erwartet», sagte damals der Architekturdozent Hanspeter Bürgi, der das Atelier Solar Decathlon leitete. «Der Solar Decathlon war sicherlich ein weiterer Meilenstein in unseren Bemühungen, uns mit dem Thema Gebäude als System zu profilieren», sagt Zeno Stössel. Im Prototyp von your+ auf dem Campus in Horw können die Forscher bis heute so forschen, wie sie es aus Sicherheits- und Bauschutzgründen in ihren Gebäuden in Horw nicht können: «Im Prototyp ist viel Hightech drin», konstatiert Stössel, «darin können wir bis heute verrückte Sachen ausprobieren und umsetzen.»
In den letzten Jahren etablierte das Departement einen zweiten Schwerpunkt rund um Themen zur Energiewende. Die Entwicklung des «Gebäudes als System» setzt sich indes weiter fort. Das Forschungsgebiet wird zum Schwerpunkt des im Januar 2017 lancierten Projektes Zentralschweizer Innovationspark. «Unter dem Titel ‹Building Excellence› sollen Themen rund um den Bau erforscht werden – Innovationsprozesse im Allgemeinen und Bau und Digitalisierung etwa Building Information Modelling im Besonderen», erläutert Andrea Weber Marin, Projektleiterin und seit sechs Jahren Forschungsverantwortliche des Departements Technik & Architektur. Der Verein Innovationspark Zentralschweiz, präsidiert von V-Zug-CEO Dieter Hoffman, sieht sich als Schaltzentrale eines Netzwerks, das Forschung, Unternehmen und Kantone in Zukunft noch stärker vernetzen will.
Interdisziplinarität über Departementsgrenzen hinweg
Die Forschung entwickelt sich also immer mehr über Grenzen, erst innerhalb von Technik und Architektur, dann auch über die Grenzen der einzelnen Departemente hinweg. Aus «Gebäude als System» mit dem Haus selbst im Fokus wird «Gebäude im System», das die Häuser im grösseren Zusammenhang sieht. Der Interdisziplinäre Schwerpunkt (IDS) «Kooperation Bau und Raum» fördert heute Projekte, die komplexe Fragestellungen im Zusammenspiel verschiedener Disziplinen bearbeiten. Gemeinsam mit Kollegen aus dem Departement Soziale Arbeit geht es dabei etwa um die Entwicklung von Genossenschaften, Quartieren oder ganzen Orten. Kollegen des Departements Wirtschaft sind mit im Boot, da das Institut für Betriebs- und Regionalökonomie IBR sich unter anderem mit Fragen der Gemeinde- und Regionalentwicklung und der Förderung von Wohn- und Arbeitsstandorten befasst.
Die Ökonominnen und Ökonomen können auch ihre Kompetenzen zeigen, wenn es um touristische Fragestellungen oder um Immobilienmanagement geht. Derzeit untersuchen etwa alle drei Departemente zusammen mit dem Schweizer Heimatschutz die Siedlung St. Martin im Calfeisental SG. Unter touristischen, soziokulturellen und architektonischen Aspekten entwickeln sie Konzepte für eine nachhaltige Entwicklung des Walserdorfes. Aber auch gemeinsame Projekte mit dem Departement Musik gibt es, wenn etwa Architekten nach einfachen Lösungen für die anspruchsvolle Akustik in Musikproberäumen suchen.
Ähnlich arbeiten auch die anderen beiden Interdisziplinären Schwerpunkte «Tourismus und nachhaltige Entwicklung» und «Datenwelten». Interdisziplinarität führt zu Ergebnissen, auf die ein Spezialist allein nicht kommt, sie ist aber auch anstrengend. «Ja, es gibt Reibungspunkte», gibt Zeno Stössel unumwunden zu. «Am Anfang ist die Zusammenarbeit meist nicht so effizient », sagt auch Andrea Weber Marin. Wenn jemand relativ engstirnig sei, werde ihm die Zusammenarbeit mit Köpfen aus anderen Disziplinen nicht gelingen. Aber mit ein bisschen Geduld und einer positiven Einstellung stelle sich der Erfolg ein, sind sich Stössel und Weber Marin einig.
Autorinnen: Sigrid Cariola, Valeria Heintges
Bilder: Martin Vogel, Damian Poffet, Stefan Kunz
Forschungspartner der Hochschule Luzern
Das Ressort Forschung & Entwicklung leistet einen aktiven Beitrag zur Konkurrenzfähigkeit und Innovationskraft der Zentralschweiz. Viele Projekte werden in Zusammenarbeit mit in- und ausländischen Partnern aus Wirtschaft und Kultur, mit Bund und Kantonen sowie anderen Hochschulen durchgeführt. Im Jahr 2016 wurden 416 Forschungsprojekte neu gestartet. Das Forschungsvolumen belief sich auf 51.4 Mio. Franken, was einem Fünftel der Gesamtkosten der Hochschule entspricht. Die Projekte wurden durch Kantone, den Bund sowie Dritte mit rund 45.7 Mio. Franken finanziert. Der Finanzierungsanteil der Konkordatskantone betrug etwa 20 Mio. Franken. Die Drittmittel (Bund und Dritte) machten rund 25.7 Mio. Franken aus.
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