Heute braucht ein Paar in der Schweiz fast gleich viel Wohnfläche wie 1960 eine vierköpfige Familie. Dass die Menschen immer mehr Raum beanspruchen, ist problematisch, denn der Boden ist knapp, das Land zersiedelt, naturnahe Flächen mit ihrer Artenvielfalt gehen verloren, und der Energiebedarf, besonders fürs Heizen, steigt. Der Trend zu immer mehr Wohnraum hat viele Gründe, etwa die veränderte Altersstruktur, der Wohlstand oder die Zunahme von Kleinhaushalten. «Es gibt einen weiteren Grund: die mangelhafte Übereinstimmung zwischen Wohnflächenkonsum und -bedarf.» Das sagt Gabrielle Wanzenried vom Departement Wirtschaft der Hochschule Luzern, die zusammen mit Katia Delbiaggio im Auftrag des Bundesamtes für Wohnungswesen eine Studie zum Thema durchgeführt hat. Ihre Erkenntnis: In 350'000 Schweizer Wohnungen leben Menschen, die auch mit weniger Wohnfläche zufrieden wären.
Umgekehrt leben in rund 250'000 Haushalten Personen, denen die Wohnung zu klein ist. Würde man diese Wohnobjekte neu verteilen, könnte man Fläche sparen. Mit ihrer Studie wollten die beiden Ökonominnen herausfinden, wer die Menschen sind, denen die eigenen vier Wände zu gross sind, und wo sie leben. Denn: «Diese Menschen sind am ehesten bereit, Wohnfläche zu sparen.»
Grosses Sparpotenzial im Alter
Wie aber findet man jene, denen eine kleinere Wohnung reichen würde? Um diese Frage zu beantworten, mussten sich Delbiaggio und Wanzenried tief in die Statistik hineinknien. Sie arbeiteten mit den Daten des Schweizer Haushaltpanels, einer repräsentativen Stichprobe der Bevölkerung, die auch Informationen zur subjektiven Einschätzung des Wohnflächenkonsums enthält. Die Wissenschaftlerinnen filterten die Variablen heraus, die es ausmachen, dass eine Wohnung als zu gross empfunden wird.
Zentral ist das Alter. Je älter der Haushaltsvorstand, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass die Wohnung als zu gross beurteilt wird. «Die Wohnfläche wird dem Lebenszyklus zu wenig angepasst, besonders in der zweiten Lebenshälfte. Die Altersgruppe ab 65 Jahren beansprucht deutlich mehr Wohnfläche als der Schweizer Durchschnitt», weiss Wanzenried. Häufig sei es so, dass Eltern nach dem Auszug der Kinder in der grossen Familienwohnung wohnen blieben. Sterbe dann einer der Partner, finde der andere die Wohnung schnell zu gross. Alleinstehenden ist ihr Heim eher zu gross als Familien und Paaren ohne Kinder, Schweizern signifikant häufiger als Ausländern. Wer im Tessin wohnt, beurteilt seine Wohnung eher zu gross als ein Ostschweizer, Hauseigentümer eher als Wohnungsmieter.
Das Einkommen hingegen hat kaum eine Wirkung auf den subjektiven Bedarf; es sind nicht nur die Gutverdienenden, die in zu grossen Wohnungen bleiben. «Eine Besteuerung der Wohnfläche, um einen nach eigenem Empfinden zu hohen Verbrauch unattraktiv zu machen, würde deshalb kaum einen Effekt haben», sagen die Studienautorinnen.
Quartiergenaue Prognosen
Vielversprechender ist es deshalb, mit anderen Massnahmen als einer Steuer bei den Haushalten anzusetzen, denen eine kleinere Wohnung reichen würde. Doch wo sind diese? Das wollten die beiden Forscherinnen für die Stadt Luzern herausfinden. Sie teilten die Haushalte nach den erhobenen Einflussvariablen in Gruppen ein. Nachdem sie herausgefunden hatten, welche Eigenschaften ein typischer Haushalt mit einem zu grossen Wohnobjekt hat, schätzten Delbiaggio und Wanzenried anschliessend für jede Gruppe die Wahrscheinlichkeit, die Wohnung als zu gross zu beurteilen. So wissen sie nun relativ genau, in welchen Luzerner Quartieren besonders viele Haushalte als zu gross eingestuft werden: Es sind die privilegierten Wohnlagen links und rechts des Vierwaldstättersees. Der Anteil der Haushalte mit den zu grossen Wohnungen beträgt in der Stadt Luzern 6,06 Prozent, was tiefer ist als der Schweizer Durchschnitt mit 9,75 Prozent. Das liegt möglicherweise daran, dass in Luzern eher jüngere Leute und mehr Ausländerinnen und Ausländer leben als in anderen urbanen Regionen der Schweiz; zudem gibt es mehr Einpersonenhaushalte und Wohnungsmieter.
«Es könnte relativ viel Fläche eingespart werden, wenn Menschen und Wohnobjekte besser aufeinander abgestimmt wären. Tauschplattformen für Wohnungen, Umzugsdienste für Senioren, mehr Wohnungen für ältere Menschen und für Singles könnten dabei helfen», sagt Katia Delbiaggio.
Patrick Brünisholz, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesamt für Wohnungswesen, das die Studie in Auftrag gegeben hat, ist zufrieden: «Das Bundesamt wird die neuen Erkenntnisse den Kantonen und Gemeinden zur Verfügung stellen, damit diese Massnahmen ergreifen können, um den Wohnraum besser zu verteilen. Wir sehen in diesem Ansatz grosses Potenzial.»
Autorin: Eva Schümperli-Keller
Grafik und Quelle: Hochschule Luzern
Bild: Hochschule Luzern