Ein gelbgrünes Auto fuhr die Baselstrasse in Luzern hinauf und hinunter. Darauf stand «Sprich mit mir. Ich fahre dich!». Wer sich herumkutschieren liess und mit den Künstlern Frank und Patrik Riklin der «Agentur für Sonderaufgaben» über Kunst im öffentlichen Raum und ihr Potenzial sprach, konnte Kunden des Coiffeurs, der Pizzeria oder des Schuhmachers eine Überraschung bereiten – denn alle zehn Kilometer gab es eine Pizza, einen Haarschnitt oder eine Reparatur gratis.
«Quatschmobil» nannte sich dieses künstlerisch-partizipative Projekt, das die Riklin-Brüder mit Geschäftsleuten an der Baselstrasse ins Leben gerufen hatten. Solche Projekte zielen darauf ab, zusammen mit der Bevölkerung mit künstlerischen Mitteln Wege zu entwickeln, wie die Lebensqualität in städtischen Quartieren verbessert werden kann. Der Künstler wird also nicht – wie bisher – erst am Schluss in den Prozess eingebunden, sondern ist von Anfang an dabei und reagiert mit seiner Arbeit direkt auf die Belange der Bevölkerung.
Das Quatschmobil ist eines von vier Projekten, die das Kompetenzzentrum Kunst, Design & Öffentlichkeit der Hochschule Luzern und die Zürcher Hochschule der Künste im KTI-geförderten Forschungsprojekt «Stadt auf Achse» mit den Städten Luzern und Zürich sowie dem Unternehmen Heller Enterprises begleiteten. Sie erforschten, was zum Gelingen oder Misslingen der Projekte führte, und leiteten daraus einen Kriterienkatalog ab, der jetzt in einem Handbuch veröffentlicht wurde.
Auf die Ergebnisse angesprochen, sagt Rachel Mader, Leiterin des Kompetenzzentrums: «Jedes Problem ist anders. Am wichtigsten ist es für die Künstler, den Menschen vor Ort zuzuhören, Bedürfnisse zu verstehen und sich präzise mit ihnen abzustimmen.» Immer wieder betonen die Autoren des Buchs, dass die Leute sehr gut wüssten, was sie brauchten. «Es bringt gar nichts, wenn Verwaltung oder Künstler mit einem fertigen Konzept kommen», sagt Mader. Je mehr die Interessen der Anwohner einfliessen, umso grösser sei die Chance, einen Langzeiteffekt zu erzielen. So habe im Quatschmobil im Testlauf nicht, wie geplant, auch ein Vertreter der Stadtverwaltung gesessen, der Effekt sei daher nicht langfristig gewesen.
Einer muss Angelpunkt sein
Um das zu vermeiden, rät Rachel Mader, eine Person zu bestimmen, die Dreh- und Angelpunkt des Projekts werde. «Die muss sich von Anfang bis Ende einsetzen. Sie ist Vermittlerin zwischen Quartierbewohnerinnen, Verwaltung und Künstlern.» Wichtiger als berufliche Eignung sind menschliche Qualitäten: «Sie muss eine hohe Frustrationstoleranz haben, gerne vermitteln, erklären, Verständnis zeigen.» Die Formel «Viel Geld, gutes Projekt – kein Geld, schlechtes Projekt» stimme nicht, hat Mader festgestellt. So habe sich etwa im Quartier Zürich-Affoltern der Skulpturen-Grill Smoky sehr bewährt, der vor dem Quartierzentrum an der verkehrsumfluteten Wehntalerstrasse aufgestellt wurde.
Im Handbuch ist beschrieben, wie die Bewohner und Bewohnerinnen des Viertels erst aus zehn Künstlergruppen fünf aussuchten, die in einem Workshop ihre Ideen für den kleinen Platz vorstellen konnten. Daraus wählte das «Quartierexpert_ innengremium» zwei Projekte, darunter Smoky der Künstler Bastien Aubry und Dimitri Broquard. Smoky, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Tiefbauamt und der Liegenschaftsverwaltung der Stadt Zürich, ist halb Skulptur, halb Grill – die Grillhälfte macht ihn zu einem beliebten Treffpunkt, da er leicht zu bedienen ist. «Die vielen Schritte waren zwar nicht der Durchbruch für die Menschheit», sagt Pia Meier vom Quartierzentrum Zürich- Affoltern, «aber wir sind sicher, dass wir für Affoltern etwas angestossen haben.»
Autorin: Valeria Heintges
Bild: Aubry Broquard
Tagungsprogramm 140 Jahre Design & Kunst
Anlässlich des Jubiläums gibt eine Tagungsreihe Einblick in aktuelle Diskurse, Themen und Erkenntnisse und setzt sie in Relation zur Geschichte des Departements.
21.4.2017: Kompetenzzentrum (CC) Kunst, Design & Öffentlichkeit
28.4.2017: CC Produkt & Textil
27.10.2017: CC Materialität@HSLU mit dem Departement Technik & Architektur
16. / 17.11.2017: CC Visual Narrative und Design & Management
Das gesamte Programm und weitere Informationen unter www.hslu.ch/dk140jahre
«Stadt auf Achse. Mit Kunst urbane Räume gestalten. Ein Handbuch», Redaktion: Rachel Mader, JRP Ringier Verlag 2016 Link zum Verlag