Pensionäre in der Viscosistadt
Der Master of Arts in Fine Arts an der Hochschule Luzern legt einen Schwerpunkt auf Arbeiten im öffentlichen Raum. Da liegt es nahe, dass sich die Studierenden in diesem Jahr mit der neuen Heimat des Departements Design & Kunst, der Viscosistadt in Emmenbrücke, auseinandersetzen. Margit Bartl-Frank hat zu der namengebenden Firma ein besonderes Verhältnis, schliesslich hat ihr Grossvater 40 Jahre in der Viscosuisse als Bleilöter gearbeitet. Allerdings nicht in Emmenbrücke, sondern in Widnau im St. Galler Rheintal, wo die Viscosuisse von 1924 bis 2005 eine Filiale hatte. Umso mehr interessiert sich Margit Bartl-Frank für beide Betriebsteile und vor allem für die Menschen, die dort gearbeitet haben. «Zusammen mit den ehemaligen Mitarbeitern der Viscosuisse aus Widnau und Emmenbrücke entwickle ich ein ‹Community-Projekt›», sagt sie. Für ihre Abschlussarbeit hat sie Pensionäre beider Betriebe mit der Methode der Oral History befragt, ob sie immer noch, wie es mal hiess, eine Familie sind. Daher der Titel «We are Family». Dank der Methode erzählen die Zeitzeugen frei und unbeeinflusst. Mit den transkribierten Interviews sowie alten Fotoalben, Plakaten, Broschüren und Farbbüchern gestaltet Margit Bartl-Frank ein Künstlerbuch und eine Ausstellung auf dem Gelände in Emmenbrücke. Sie ist fasziniert von der Oral History, weil sie Aspekte berücksichtigen könne, die die offizielle Geschichtsschreibung links liegen lasse. «Freundschaften etwa», sagt die Absolventin – so habe ihre Befragung ergeben –, «können wichtiger sein als die Definition von Beruf oder Arbeit.»
Margit Bartl-Frank aus Au (SG), Master of Arts in Fine Arts
Werkschau Design & Kunst:
Die Diplomausstellung des Departements Design & Kunst der Hochschule Luzern zeigt jedes Jahr Ende Juni in der Messe Luzern Abschlussarbeiten der Bachelor- und Master-Studierenden. Parallel präsentieren die Absolvierenden des Master of Arts in Fine Arts ihre Abschlussarbeiten im öffentlichen Raum von Emmenbrücke. Die Werkschau findet vom 25. Juni bis 3. Juli 2016 statt (Vernissage 24. Juni). hslu.ch/werkschau
Hilfe im Asylzentrum
Ursprünglich wollten sich Janina Peter und David Williner in ihrer Abschlussarbeit mit dem Campingbereich auseinandersetzen. Aber sie haben schnell gemerkt, dass ein anderes Thema derzeit wichtiger ist: die Flüchtlinge, die nach Europa kommen. Ihnen wollten die Textildesignerin und der Objektdesigner helfen, ihre Privatsphäre in den Schweizer Asylzentren zu verbessern. Die beiden Studierenden haben sich solche Zentren angeschaut, in Luzern, in Emmenbrücke und im Muotatal. Und festgestellt: «Über mehrere Monate beschränkt sich ihr Raum auf eine Standardmatratze in einem Stockbett», sagt Janina Peter. «Oft brennt das Licht rund um die Uhr, ein Abschirmen ist nur bedingt möglich. Und alles ist für alle gleich.» Und so entwickelte das Duo ein System nützlicher Utensilien zum Abschirmen, Abdunkeln, Verstauen oder Abstellen: eine Decke mit grossen Taschen, die an das Bett gespannt werden kann. Einen Stoff, der ähnlich einer Hängematte so festgesteckt wird, dass er als bequeme Rückenlehne dient. Abstellflächen – im Modell aus Wellpappe, später aus Holz – zum Herunterklappen. Diese Dinge wollen die beiden in Workshops mit den und für die Asylsuchen- den herstellen. «Kollegen fragten uns: ‹Braucht es das?› Wir finden: ‹Ja.› So schnell kann auch Textildesign politisch werden», sagt Janina Peter.
Janina Peter aus Rebstein (SG), Bachelor Textildesign, und David Williner aus Bürchen (VS), Bachelor Objektdesign
Alkoholismus im Film
Im Februar schloss Remo Scherrer seinen Master of Arts in Design and Film mit der Vertiefung Animation an der Hochschule Luzern ab. Im Mai zeigte er seinen Ab- schlussfilm, einen animierten Dokumentarfilm, an den Filmfestspielen Cannes. Der Aargauer schaff e mit 27 Jahren das, wovon viele ein Leben lang vergeblich träumen. Der Erfolg seines Films «Bei Wind und Wetter» hat viele Gründe. Da ist zuallererst das Thema Alkoholismus in Familien, das immer noch vernachlässigt wird. Da ist das bewegende Interview mit Wally Wagenrad, deren Kindheit von der Alkoholabhängigkeit der Mutter überschattet wurde und deren Stimme Remo Scherrer über seine Bilder legt. Da sind die harten, ganz in Schwarz-Weiss gehaltenen animierten Bilder, die Remo Scherrer aufwändig von Hand zeichnete und dann im Computer animierte. «Die Animation eignet sich besonders, um eine anonymisierte Geschichte zu erzählen», sagt Scherrer. Bewusst liess er Freiräume und Freiflächen. «Der Zuschauer muss die Geschichte fertig denken, die Leerräume füllen und die abstrakten Formen deuten.» Der Film zeigt die Ohnmacht des Mädchens, das mit der Trunksucht der Mutter nicht umgehen kann, in verwirrenden Bildern: hart geschnitten, stark in ihrer Reduktion. Remo Scherrer macht es seinen Zuschauern nicht leicht. Aber er überzeugt sie auf der ganzen Linie.
Remo Scherrer aus Oberwil-Lieli (AG), Master of Arts in Design and Film
Texte: Valeria Heintges
Bilder: Priska Ketterer